Alle übrigen Vokale (a, e, i, o, u) und deren Umlaute (ä, ö, ü) werden kurz (sehr kurz!) ausgesprochen. Der Hauptunterschied zur neuhoch- deutschen Aussprache liegt hier in den – für die Metrik außer- ordentlich bedeutenden – kurzen offenen Tonsilben. Diese ver- schwinden in nachmittelhochdeutscher Zeit, da sie von der neuhochdeutschen Dehnung betroffen sind. So hieß es z.B. mhd. sagen mit kurzem a, gegenüber nhd. ‚sagen’ mit langem ‚a’.
Mittelhochdeutsch ist die Silbe sa- also kurz, da sie einen Kurzvokal enthält. Offen ist sie, weil sie nicht mit einem Konsonanten endet. Vgl. dagegen mhd. ‚helfen’: Hier schließt die einen kurzen Vokal enthal- tende Silbe mit einem Konsonanten hel-. Dementsprechend wird die Silbe zum Neuhochdeutschen nicht gedehnt, die neuhochdeutsche Aussprache ist identisch mit der Mittelhochdeutschen geblieben.
Der Unterschied zwischen kurzen offenen und geschlossenen Tonsil- ben spielt für die mittelhochdeutsche Metrik eine wichtige Rolle.
Darüber hinaus ist zu beachten, dass auch die meisten einsilbigen mittelhochdeutschen Wörter, die einen Kurzvokal enthalten, zum Neuhochdeutschen hin gedehnt werden, auch wenn sie auf Kon-sonant enden (z.B mhd. tac mit kurzem a wird zu nhd. ‚Tag’ mit langem a).
Nachfolgend einige Wörter mit Kurzvokal aus dem ›Armen Heinrich‹, die sie laut lesen sollten.
was, las, haben
lese, wese, gegeben
geschriben, vil, im
lobe, ode, bote
tugent, jugent, muge
hövesch, möhte, örteln
mügen, künec, kügellîn
trähene, tägelîch, mägede