Konzept der Lernunterstützung

Was versteht man unter Lernunterstützung?
Lernen ist nach neueren Erkenntnissen der Lernpsychologie keine einfache Aufnahme von weitergegebenen Informationen; Lernende müssen ihr Wissen vielmehr selbst konstruieren. Die Lehrperson hat die Aufgabe, die Schülerinnen und Schüler in diesem Prozess zu unterstützen. Die Unterstützung des Lernens ist sehr bedeutsam, da Lernende häufig mit teilweise tief verankerten und naiven Vorstellungen über naturwissenschaftliche Phänomene in den Unterricht eintreten. Der Unterricht soll(te) den Lernenden ermöglichen, ihre Vorstellungen in Richtung wissenschaftlich angemessener Vorstellungen zu verändern (Duit, 1997; Möller, 2010; Möller et al., 2011).

Die Unterstützung der Lernenden in diesem Prozess durch die Lehrperson besteht einerseits darin, die Lernenden kognitiv herauszufordern, d.h. zum Nach- und Weiterdenken anzuregen, um die aktive Konstruktion und Veränderung von Vorstellungen zu ermöglichen (Merkmal der kognitiven Aktivierung). Andererseits muss die Lehrperson die Komplexität von Lernsituationen so reduzieren, dass Verstehensprozesse ermöglicht werden und die Lernenden dem Unterrichtsablauf folgen können (Merkmal der inhaltlichen Strukturierung).

Forschungsergebnisse zeigen, dass die Qualität der Lernergebnisse auf Seiten der Schülerinnen und Schüler von der Qualität der kognitiven Aktivierung und der inhaltlichen Strukturierung im Unterricht abhängen (Lipowsky, 2006). Die Fähigkeit, Unterricht auf die Realisierung dieser beiden Merkmale hin zu analysieren, ist deshalb für eine Lehrperson von großer Bedeutung. Das Projekt ViU-Early Science fokussiert auf diese beiden Merkmale der Lernunterstützung. (Informationen zum 1. Förderabschnitt und zum 2. Förderabschnitt des Projektes finden Sie unter den angegebenen Links.)

Die folgenden Ausführungen zeigen auf, wie die Lehrperson den Aufbau und die Veränderung von Vorstellungen bei den Lernenden durch die Anregung kognitiver Aktivitäten und durch inhaltliches Strukturieren konkret unterstützen kann (für eine ausführlichere Beschreibung solcher Maßnahmen, siehe Kleickmann, 2012; Meschede et al., 2015; Möller, 2016). Dazu werden verschiedene Maßnahmen beschrieben, die die Lehrperson im Unterricht ergreifen kann.

In diesem pdf sind die Maßnahmen zur Lernunterstützung zusammenfassend dargestellt: Maßnahmen der Lernunterstützung im naturwissenschaftlichen Sachunterricht – Kognitiv anregen und inhaltlich strukturieren

  • 1. Kognitiv anregende Maßnahmen der Lernunterstützung (KA)

    Im Folgenden werden Maßnahmen beschrieben, die die kognitive Aktivierung von Schülerinnen und Schülern unterstützen sollen. Ob es mit diesen Maßnahmen wirklich gelingt, kognitive Aktivitäten bei den Lernenden auszulösen, hängt unter anderem auch von individuellen Voraussetzungen auf Seiten der Lernenden und der konkreten Situation ab. Auch lässt sich die kognitive Aktivität von Lernenden nicht direkt feststellen. Die im Folgenden beschriebenen Maßnahmen haben also das Potential, die Lernenden kognitiv zu aktivieren, stellen aber keine Garantie für die Nutzung der Lerngelegenheiten durch die Lernenden dar.

    Vorhandene Vorstellungen erschließen
    Um an das Vorwissen der Lernenden anknüpfen zu können, sollte die Lehrperson deren Vorstellungen und zugrundeliegenden Denkprozesse ermitteln. Das kann z.B. dadurch geschehen, dass die Lehrperson die Klasse, eine Schülergruppe oder einzelne Lernende dazu anregt, ihre Vorstellungen zu einem dargestellten Problem/ Versuch/ Phänomen zu äußern und diese zu begründen.

    Kognitive Konflikte auslösen
    Um den Aufbau wissenschaftlich angemessener Vorstellungen zu ermöglichen, sollte die Lehrperson Lernende darin unterstützen, Unzulänglichkeiten in ihren Vorstellungen zu erkennen. Dies kann sie dadurch erreichen, dass sie z.B. widersprüchliche Vorstellungen von verschiedenen Lernenden gegenüberstellt oder auf Vorstellungen der Lernenden mit provokanten Thesen reagiert.

    Vorstellungen aufbauen bzw. weiterentwickeln
    Wenn die Lernenden Unstimmigkeiten in ihren bisherigen Vorstellungen erkannt haben, sollte die Lehrperson den Aufbau eines neuen Konzepts anbahnen. Die Lernenden sollen  die Möglichkeit erhalten, ihre Vorstellungen weiterzuentwickeln und Regelmäßigkeiten sowie Zusammenhänge entdecken, indem sie neue Informationen mit bereits vorhandenem Wissen verknüpfen.

    Anwenden von Konzepten ermöglichen
    Um die Flexibilität des neu erworbenen Wissens zu erhöhen, sollte die Lehrperson die Anwendung des erarbeiteten Konzepts anregen. Dies kann z.B. dadurch geschehen, dass die Lehrperson Fragen oder Aufgaben stellt, die die Lernenden mit Hilfe des Gelernten beantworten oder lösen sollen. Sie kann auch die Lernenden dazu auffordern, Situationen zu beschreiben, auf die das Gelernte übertragen oder in denen es wiederentdeckt werden kann.

    Austausch über Vorstellungen und Konzepte anregen
    Zudem sollte die Lehrperson die Kommunikation und das Aushandeln von Bedeutungen anregen. Dies kann z.B. dadurch geschehen, dass die Lehrperson die Lernenden auffordert, aufeinander zu reagieren, indem sie zu geäußerten Vorstellungen Stellung beziehen oder diese mit ihren eigenen Vorstellungen vergleichen. Eine anspruchsvollere Form des Reagierens stellt das ‚einander Widerlegen‘ dar. Dies kann durch das begründete Formulieren eines wahrgenommenen Widerspruchs und den Versuch, andere vom Gegenteil zu überzeugen, geschehen.

    Über Lerninhalte und -wege nachdenken
    Die Lehrperson sollte während bzw. am Ende eines Lernprozesses Gelegenheit geben, über die Entwicklung und ggf. Veränderung des  eigenen Wissens und Könnens nachzudenken. Sie sollte die Schülerinnen und Schüler auch dazu anregen, über eigene (Lern-)Erfahrungen und Interessen nachzudenken und hilfreiche Strategien beim Lernen zu überlegen.

    Herausfordernde Aufgaben stellen
    Die Lehrperson sollte Aufgaben wählen, die für die Lernenden in der „Zone der nächsten Entwicklung“ (Vygotski)  liegen; das heißt, die Aufgaben sollten an das Vorwissen und Können der Lernenden anknüpfen, sie nicht überfordern und alleine bzw. mit Hilfe von Anderen bewältigbar sein. Bewährt haben sich anregungsreiche, herausfordernde, für die Lernenden interessante und problemhaltende Aufgaben, die in vielfältiger Weise die Lernenden kognitiv und motivational anregen.

  • 2. Inhaltlich strukturierende Maßnahmen der Lernunterstützung (IS)

    Um Lernende in einem kognitiv anregenden Unterricht zu fordern, aber nicht zu überfordern, sind inhaltlich strukturierende Maßnahmen erforderlich. Diese zielen darauf ab, Verstehensprozesse zu unterstützen, indem die Komplexität von Lernsituationen reduziert wird.

    Sequenzieren
    Um den Lernenden das Verstehen des Lerngegenstandes zu ermöglichen, ist es bei vielen Lerninhalten wichtig, den Inhalt in sinnvolle und aufeinanderfolgende Teilinhalte zu gliedern, damit geeignete Lernvoraussetzungen geschaffen werden können und Lernprozesse kumulativ aufeinander aufbauen können.

    Zielklarheit schaffen
    Damit die SuS ihr Lernen auf die Ziele und Aufgaben des Unterrichts ausrichten und zielorientiert arbeiten können, sollte die Lehrperson eine Zielklarheit schaffen. Dies kann z.B. dadurch geschehen, dass die Lehrperson das Ziel der Stunde, aber auch einzelner Unterrichtsabschnitte und Aufgaben, benennt und so den „roten Faden“ im Unterricht für die Schülerinnen und Schüler verdeutlicht.

    Auf sprachliche Klarheit achten
    Um beim Aufbau neuer Konzepte sowie beim Aushandeln von Vorstellungen ein gegenseitiges Verstehen zu ermöglichen, sollte die Lehrperson eine inhaltliche Klarheit von Lehrer- und Schüleräußerungen sicherstellen. Dies kann z.B. dadurch geschehen, dass die Lehrperson selbst klare Formulierungen nutzt, verständliche Arbeitsanweisungen gibt und auch die Lernenden auffordert, sich präzise auszudrücken. Ebenso können Bezeichnungen, die aus der Fachsprache stammen und in der Alltagssprache der Lernenden kaum verwendet werden, (zunächst) durch kindgerechte Formulierungen ersetzt werden.

    Hervorheben
    Damit die Lernenden ihre Aufmerksamkeit gezielt auf diejenigen Aspekte richten, die für das Nachvollziehen und Verstehen relevant sind, sollte die Lehrperson das Gespräch durch Maßnahmen des Hervorhebens strukturieren. Dies kann z.B. dadurch geschehen, dass die Lehrperson bestimmte Beobachtungen, Begriffe, Schüleraussagen etc. hervorhebt und auf Wichtiges aufmerksam macht.

    Zusammenfassen
    Um die Lernenden dabei zu unterstützen, das neu erworbene Wissen zu organisieren, sollte die Lehrperson das Gespräch durch Maßnahmen des Zusammenfassens strukturieren. Dies kann z.B. dadurch geschehen, dass die Lehrperson erarbeitete Inhalte oder (Teil-)Ergebnisse auf den Punkt bringt. Dies muss so geschehen, dass die Zusammenfassung für die Lernenden verständlich ist und das Erarbeitete klar macht. Ebenso kann die Lehrperson die Lernenden dazu anregen, Zusammenfassungen selbst zu formulieren.

    Veranschaulichen
    Da das Denken bei jungen Lernenden in hohem Maße an Anschauung gebunden ist, sollte die Lehrperson mündliche Gesprächsbeiträge durch geeignete Veranschaulichungen unterstützen. Dies kann durch enaktive (aktionale) oder ikonische Repräsentationen geschehen. Beispielsweise können Erfahrungen zu Naturphänomenen (Auftrieb im Wasser oder in der Luft) ermöglicht werden, Skizzen, Bilder, Symbole oder Gegenstände genutzt werden, um den Lernenden das Nachvollziehen von Gesagtem zu erleichtern, oder Vermutungen/ Ergebnisse auf Karten festgehalten werden.

    Modellieren
    Bei anspruchsvollen Lerninhalten kann es sinnvoll sein, Lösungen oder Teile einer Lösung zunächst modellhaft vorzumachen und zu erläutern,  um die Lernenden in der Zone der nächsten Entwicklung zu unterstützen. Anschließend kann diese Unterstützung – dem Konzept des scaffoldings (van de Pol) entsprechend  – schrittweise abgebaut werden, so dass die Lernenden den Lösungsweg selbst vollziehen können.

  • Literatur

    Duit, R. (1997). Alltagsvorstellungen und Konzeptwechsel im naturwissenschaftlichen Unterricht - Forschungsstand und Perspektiven für den Sachunterricht in der Primarstufe. In W. Köhnlein, B. Marquardt-Mau & H. Schreier (Hrsg.). Forschungen zur Didaktik des Sachunterrichts, Band 1 (S. 233-246). Bad Heilbrunn: Klinkhardt.

    Kleickmann, T. (2012). Kognitiv aktivieren und inhaltlich strukturieren im naturwissenschaftlichen Sachunterricht. Handreichung im Projekt Sinus an Grundschulen. http://www.sinus-an-grundschulen.de/fileadmin/uploads/Material_aus_SGS/Handreichung_Kleickmann.pdf

    Lipowsky, F. (2006). Auf den Lehrer kommt es an. Empirische Evidenzen für Zusammenhänge zwischen Lehrerkompetenzen, Lehrerhandeln und dem Lernen der Schüler. Zeitschrift für Pädagogik, 51, 47-65.

    Meschede, N., Steffensky, M., Wolters, M., & Möller, K. (2015). Professionelle Wahrnehmung der Lernunterstützung im naturwissenschaftlichen Grundschulunterricht. Theoretische Beschreibung und empirische Erfassung. Unterrichtswissenschaft, 43 (4), 317 - 335.

    Möller, K. (2010). Lernen von Naturwissenschaft heisst: Konzepte verändern. In P. Labudde (Hrsg.), Fachdidaktik Naturwissenschaft. 1. - 9. Schuljahr (S. 57 - 72). Stuttgart: Haupt Verlag.

    Möller, K., Kleickmann, T., & Sodian, B. (2011). Naturwissenschaftlich-technischer Lernbereich. In W. Einsiedler, M. Götz, A. Hartinger, F. Heinzel, J. Kahlert & U. Sandfuchs (Eds.), Handbuch Grundschulpädagogik und Grundschuldidaktik. 3. vollst. überarb. Auflage (pp. 509-517). Bad Heilbrunn: Klinkhardt.

    Möller, K. (2016). Bedingungen und Effekte qualitätsvollen Unterrichts - ein Beitrag aus fachdidaktischer Perspektive. In McElvany, N.; Bos, W.; Holtappels, H.; Gebauer, M.; Schwabe F. (Hrsg.):  Bedingungen und Effekte guten Unterrichts, S. 43-64. Münster: Waxmann.

    van de Pol, J., Volman, M. & Beishuizen, J. (2010). Scaffolding in Teacher-Student Interaction: A Decade of Research. Educational Psychology Review, 22(3), 271-297.

    Vertiefende Literatur

    Einsiedler, W. & Hardy, I. (2010). Kognitive Strukturierung im Unterricht. Einführung und Begriffsklärungen. Unterrichtswissenschaft, 38(3), 194-209.

    Harlen, W. (1999). Effective Teaching of Science: A Review of Research. Edinburgh: The Scottish Council for Research in Education.

    Kleickmann, T., Vehmeyer, J., & Möller, K. (2010). Zusammenhänge zwischen Lehrervorstellungen und kognitivem Strukturieren im Unterricht am Beispiel von Scaffolding-Maßnahmen. Unterrichtswissenschaft, 38(3), 210-228.

    Reiser, B. (2004). Scaffolding complex learning: The mechanisms of structuring and problematizing student work. The Journal of the Learning Sciences, 13(3), 273-304.

    Roth, K. J., Garnier, H. E., Chen, C., Lemmens, M., Schwille, K., & Wickler, N. I. (2011). Videobased  lesson analysis: Effective science PD for teacher and student learning. Journal of Research in Science Teaching, 48(2), 117-148.

    Windschitl, M., Thompson, J., Braaten, M., & Stroupe, D. (2012). Proposing a core set of instructional practices and tools for teachers of science. Science Education, 96(5), 878-903.