Münster ist ein gutes Pflaster für Frauen

Wer sind die Frauen hinter den kritischen Editionen des griechischen Neuen Testaments?
From left to right: Katrin Landefeld, Megan Burnett, Marie-Luise Lakmann, Annette Hüffmeier, Dora Panella, Katharina Sandmeier
Katrin Landefeld, Megan Burnett, Marie-Luise Lakmann, Annette Hüffmeier, Dora Panella, Katharina Sandmeier (v.l.)
© INTF

Frauen im Neuen Testament und ihre Bedeutung für die Verbreitung der Botschaft Jesu werden von der theologischen Forschung mehr und mehr in den Blick genommen. Am Institut für Neutestamentliche Textforschung spielen Frauen seit Jahrzehnten eine entscheidende Rolle bei der Edition des griechischen Textes des Neuen Testaments – aktuell stellen sie 50 Prozent des wissenschaftlichen Teams. In keiner anderen Institution der Welt gibt es derzeit mehr Textkritikerinnen im neutestamentlichen Bereich als hier in Münster. Im neuen Beitrag des INTF-Blogs stellen Dr. Marie-Luise Lakmann, Dr. Megan Burnett, Dr. Annette Hüffmeier, Dr. Katrin Maria Landefeld und Dr. Katharina Sandmeier die Schwerpunkte ihrer Arbeit vor.

Dr. Marie-Luise Lakmann ist bereits seit 22 Jahren am INTF beschäftigt und damit die dienstälteste wissenschaftliche Mitarbeiterin. Die klassische Philologin begann Anfang der 2000er, an einem damals vollkommen neuen Forschungsgebiet mitzuarbeiten: der digitalen Erfassung der griechischen Handschriften des Neuen Testaments. Dazu gehört(e) zum einen die digitale Transkription, zum anderen die Erstellung eines kritischen Online-Handapparates. Nach wie vor widmet sie sich der Abschrift und dem EDV-gestützten Vergleich der griechischen Handschriften, inzwischen im Rahmen der beiden wissenschaftlichen Editionen "Editio Critica Maior (ECM)" und "Nestle-Aland (NA)". Ihre Fachkenntnis bringt sie auch bei der Erschließung und Pflege des virtuellen Handschriften-Lesesaals (NTVMR) und der "Kurzgefassten Liste" ein. "Eine besonders angenehme Aufgabe ist die Koordinierung und Betreuung der studentischen Mitarbeiter*innen an unserem Institut. Dazu gehört auch die Schulung in griechischer Paläographie und im Umgang mit digitalen Werkzeugen zur Erstellung von Transkriptionen und zum Hochladen von Mikrofilmen und digitalen Bildern von Manuskripten", sagt Lakmann.

Die Bibelwissenschaftlerin Dr. Megan Burnett kümmert sich vor allem um die Revision der weltweit führenden neutestamentlichen Handausgabe NA für ihre neue, 29. Auflage. Aus dem umfangreicheren kritischen Apparat der ECM wählt sie die Informationen aus, die für das wissenschaftliche Studium und die Auslegung des Neuen Testaments relevant sind, und aktualisiert auf deren Grundlage zugleich den Text. An den Sitzungen der Redaktionsteams des NA und des Greek New Testament (GNT) der United Bible Society (UBS) nimmt sie als Protokollantin teil . "Es ist faszinierend, die Entscheidungsprozesse der Redakteure aus erster Hand zu erfahren. NA und UBS GNT haben unterschiedliche Zielgruppen und Zwecke, was sich darin widerspiegelt, wie die Redakteure festlegen, welche Informationen sie in den Apparat aufnehmen", erläutert Burnett, die in den USA studiert hat und dann nach Deutschland gezogen ist. "Obwohl ich sicherlich einige kulturelle Unterschiede wahrnehme, habe ich festgestellt, dass meine Arbeit als Textkritikerin weitgehend unverändert geblieben ist. Diese Arbeit bringt es mit sich, mit Menschen aus der ganzen Welt zusammenzuarbeiten. Egal, wo wir sind, wir sind alle im selben Team."

"Lass Dich als Frau nicht entmutigen auf Deinem Weg (vor allem nicht durch Männer). Wenn Du ihn für Dich erstrebenswert findest, arbeite kontinuierlich, aber ohne Dich kaputtzumachen, setze Dir überprüfbare (Zwischen-)Ziele und suche Dir Hilfe, vernetze Dich möglichst breit und vergiss nicht, auch mal nach rechts und links zu schauen, lerne immer dazu, aber überleg‘ Dir möglichst früh, was Du (nicht) für Deinen Werdegang zu opfern bereit bist." Dr. Annette Hüffmeier weiß, wovon sie spricht, wenn sie junge Frauen ermutigt, den Weg in die Wissenschaft einzuschlagen. Ursprünglich studierte sie Griechisch, Geschichte, Deutsch und Mathematik auf Lehramt, doch nach ihrem Referendariat war ihr klar, dass sie auf wissenschaftliches Arbeiten nicht verzichten wollte. Dank der Unterstützung ihres Mannes, der seine eigene Vollzeitstelle reduzierte, konnte sie Familie und Beruf miteinander vereinbaren. Heute ist sie nicht nur Mitglied im Editionsgremium der ECM, sondern vertritt das INTF auch in verschiedenen externen Gremien wie dem "International Greek New Testament Project (IGNTP)" und der "Society of Biblical Literature (SBL)". Mit Vorträgen auf lokaler und (inter)nationaler Ebene informiert sie über die Arbeit an der ECM, denn den meisten Menschen ist nicht bewusst, dass der Bibeltext, den sie in der Hand halten, immer wieder nach neuesten wissenschaftlichen Erkenntnissen aktualisiert wird.

Dr. Katrin Maria Landefeld promovierte in klassischer griechischer Philologie und begann in dieser Zeit in der Abteilung Patristik des INTF zu arbeiten, indem sie Zitate aus Kirchenväterausgaben sammelte. "Die Kirchenväter sind oft frühe Zeugen für den Text des Neuen Testaments, daher ist es wichtig, diese Informationen in die ECM aufzunehmen. Da wir oft wissen, wann und wo die Kirchenväter gelebt haben, sind sie wertvoll für das Verständnis der Überlieferung und der Rezeption des Neuen Testaments." Seit 2020 ist sie Teil des Projekts "Theorie der Variantenentstehung auf der Basis einer offenen digitalen Ausgabe des griechischen Neuen Testaments", in dem das Entstehen von Varianten in der Apostelgeschichte untersucht wird. Neben ihrer Arbeit in der Patristik arbeitet Landefeld derzeit an ihrer Habilitation über Augustinus‘ "De musica" Buch 6, in dem der Autor Musiktheorie mit Theologie verbindet. "Ich habe das INTF während meines Studiums in Münster kennengelernt und war fasziniert von der Kombination aus Theologie und klassischen Sprachen, die dort angewandt wird. Ich habe mich für diesen Bereich entschieden, weil ich die Idee, in diesem interdisziplinären Team zusammenzuarbeiten, sehr inspirierend fand, und ich bin dankbar, dass ich jetzt hier arbeiten kann."

Dr. Katharina Sandmeier arbeitet in einem sprachlichen Spezialbereich der ECM, nämlich in der Koptologie. Das Koptische ist die jüngste Form des Ägyptischen und noch heute die Liturgiesprache der koptischen Kirche. Etwa im vierten oder frühen fünften Jahrhundert wurde das Neue Testament aus dem Griechischen in verschiedene Dialekte des spätantiken Ägyptens übersetzt. "Das Koptische ist für eine kritische Ausgabe wichtig, weil wir herausfinden können, welche der verschiedenen Texttraditionen innerhalb des Griechischen als Ausgangstext für die koptische Übersetzung verwendet wurde. Die koptische Unterstützung einer bestimmten Variante im griechischen kritischen Apparat hilft uns festzustellen, dass diese Lesart schon recht früh festgelegt wurde", erklärt Sandmeier. "Auch die Suche nach Parallelen in den Versionen, wie den alten lateinischen, syrischen, gotischen oder äthiopischen Übersetzungen des Neuen Testaments, macht mir großen Spaß. Ähnlichkeiten zwischen den Versionen, die sich von den griechischen Varianten unterscheiden, können auf eine Lesart hindeuten, die in der griechischen Tradition verloren gegangen ist. Die Suche danach sorgt für einige großartige Heureka-Momente."