Neue Publikation erschienen
Es wird polemisch! Aber was heißt eigentlich ‚polemisch'?
Religiöse Polemiken des Mittelalters wie etwa Religionsdialoge und Religionsdisputationen werden schon lange erforscht. Da das Mittelalter keinen eigenen Begriff der „Polemik“ kennt und sehr unterschiedliche Formen intellektueller und rhetorischer Angriffe auftreten, ist es jedoch bis heute schwierig, den Begriff der Polemik für die mittelalterlichen Jahrhunderte genau zu bestimmen. Viele Formen polemischer Auseinandersetzung finden sich zudem in Texte eingebettet, die nominell gar nicht dem Zweck der Auseinandersetzung mit einem religiösen Gegner gewidmet sind - also eher gewollt oder unversehens 'polemisch werden' als typische Formate der Disputation oder des Dialogs zu bedienen. Einschlägige Forschungen beschäftigen sich zudem oft mit spezifischen Diskurstraditionen - also etwa mit den Abgrenzungen zwischen Juden und Christen oder mit der christlichen Abwehr von Häresie oder mit der Ausgrenzung von Ungläubigen im Islam. Auf dem International Medieval Congress 2016 und 2017 setzten sich daher acht Wissenschaftler/innen aus sieben Ländern das Ziel, über Fachgrenzen hinweg unterschiedliche Formen christlicher Polemik zu diskutieren. Die englischsprachigen Beiträge sind aktuell als Themenheft der von der Österrreichischen Akademie der Wissenschaft herausgegebenen Online-Zeitschrift Medieval Worlds erschienen und sind in Open Access frei zugänglich.
Sita Steckel, Herausgeberin des Themenhefts, diskutiert einleitend die Forschungsgeschichte zu verschiedenen Formen religiöser Polemiken und bietet eine kritische Übersicht über Bestandteile und Definitionen von „Polemik" in verschiedenen Forschungstraditionen, die ausdrücklich zu weiterer interdisziplinärer Verständigung einlädt. Die folgenden Fallstudien thematisieren verschiedene Formen christlicher Polemik gegen äußere und innere religiöse Gegner, die zumeist die Eskalation von Konflikten oder die Einbettung polemischer Argumentation in andere, beispielsweise didaktische Textsorten nachvollziehen. Birgit Wiedl (St. Pölten) und Claudia Daiber (Amsterdam) beschäftigen sich mit Polemiken gegen Juden, Reima Välimäki (Turku) und Justine Trombley (Nottingham) mit Abwehr von Häresie und häretischen Texten. Andra Alexiu (Münster) diskutiert die Polemik Hildegards von Bingen gegen ‚falsche Lehrer‘, Melanie Brunner (Leeds) Polemiken innerhalb des Franziskanerordens. Bénédicte Sère (Paris X) widmet sich schließlich der Debattenkultur des Großen Abendländischen Schismas. Das englischsprachige Themenheft trägt den Titel "Verging on the Polemical: Exploring the Boundaries of Medieval Religious Polemic across Genres and Research Cultures“.