Transkulturelle Außenbeziehungen in der Sattelzeit: Die britische Diplomatie mit Persien und Marokko und die Verstaatlichung der Außenbeziehungen, ca. 1750-1850

Das Projekt untersucht in vergleichender Perspektive die britischen Außenbeziehungen mit Persien und Marokko von ca. 1750 bis 1850. Im Unterschied zu Forschungen über christlich-muslimische Kulturkontakte und damit verbundene Diskurse über Identitäten und Alteritäten soll hier nach der konkreten Interaktion zwischen britischen, persischen und marokkanischen Akteuren gefragt werden. Im Mittelpunkt steht somit die Praxis der Außenbeziehungen.

Diplomatie wird in diesem Projekt nicht als europäische Erfindung und Machtstrategie behandelt, auf die islamische Gesellschaften lediglich mit Anpassungsdruck reagierten, sondern als eine vor Ort von allen Beteiligten gleichermaßen konturierte Praxis, die formale ebenso wie informale Akteure integrierte. Die mikrohistorischen Befunde sollen Aufschluss über Institutionalisierung und Verstaatlichung von Außenbeziehungen geben – und damit über Staatsbildungsprozesse in allen drei untersuchten Gesellschaften.

Grundlage des Projekts bilden bislang wenig genutzte britische Quellenbestände, wobei insbesondere die Korrespondenzen der britischen Gesandten, Konsuln, Residenten und Agenten untersucht werden. Auch sollen iranische und marokkanische Archive besucht werden, um Erkenntnisse über die Herausbildung moderner staatlicher Institutionen und die Professionalisierung von Außenpolitik in Persien und Marokko gewinnen zu können.

Das Projekt wird für eine Laufzeit von 2 Jahren (2017-2019) von der Gerda Henkel Stiftung gefördert.


Projektleiter: PD Dr. André Krischer

Projektteil Persien
Bearbeiter: Benedikt Fausch, M.A.

Das Dissertationsprojekt untersucht Funktions- und Verfahrensweisen der Diplomatie zwischen Großbritannien und Persien von ca. 1750 bis 1850. Im Mittelpunkt stehen die an den Außenbeziehungen beteiligten Akteure. Dazu gehören neben den britischen Gesandten und Residenten der East India Company ebenso persische, armenische und arabische Kaufleute, Minister, Höflinge, Sekretäre, Ärzte und lokale Herrscher am Persischen Golf.

Hierbei wird gefragt, inwiefern der Erfolg der Beziehungen auf informellen Akteuren, transkulturellen Netzwerken und Patronageverhältnissen beruhte. Auch wird gefragt, inwiefern sich sowohl auf persischer als auch auf britischer Seite eine zunehmende „Verstaatlichung" der Außenbeziehungen durch die Einrichtung von Behörden und die Ausbildung von Fachpersonal feststellen lässt. Die Untersuchung stützt sich auf die umfangreichen Quellen britischer Provenienz. Neben den Archiven in London sollen aber auch iranische Archive besucht werden, um verstärkt persische Perspektiven berücksichtigen zu können.

Projektteil Marokko:
Bearbeiter: PD Dr. André Krischer

Die Untersuchung fokussiert vor allem das 1761 eingerichtete englische Konsulat in Tanger, das faktisch ein Einmannbetrieb war. Noch 1850 hatte sich dieser geringe Grad an Institutionalisierung nicht grundsätzlich geändert. Daher mussten die Konsuln in besonderer Weise ihr Amt verkörpern, kam der Interaktion von Angesicht zu Angesicht maximale Bedeutung zu, was auch in ihren Berichten nach London reflektiert wurde.

Die in großer Zahl vorliegenden Berichte im britischen Nationalarchiv (FO 52) bilden die Basis des mikrohistorisch ausgerichteten Unterprojekts. Marokko wurde um 1800 von den europäischen Mächten, den Vereinigten Staaten und Russland als wichtiger Handels- und Allianzpartner wahrgenommen. Daher ist es nicht sinnvoll, diese Phase lediglich als Vorgeschichte der Kolonialzeit zu behandeln, sondern als Beispiel für bislang kaum beachtete globale Verflechtungen im Maghreb.

© Gerda Henkel Stiftung