Bruch und Anreicherung filmischer Narrative. Serielle Narration am Beispiel SHERLOCK

Felicitas van Laak, Miriam Weyers

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Fernsehserien: Ein filmnarratologischer Definitionsversuch
In den frühen Achtzigern definiert Umberto Eco die Fernsehserie als „Wiederkehr des Immergleichen“ oder als „die Wiederkehr eines konstanten narrativen Schemas“ (Eco 1990: 60). Obwohl die Wiederholung ein wichtiger Bestandteil von Serialität ist, kann hier genauer differenziert werden. Stefan Tetzlaff unterscheidet zwischen vier Arten von Fernsehserien anhand von zwei Analysekriterien: der Verbundenheit der Episoden und der Konstanz des Figurenpersonals. So differenziert er zwischen einer sukzessiven und propositionalen Anreicherung von Episoden. Während Series nicht episodenübergreifend erzählen und isolierte, achronische Folgen aufweisen, bauen die Handlungsstränge eines Serials chronologisch auf den vorherigen Episoden auf, deren Handlungsstränge teils staffelübergreifend auf den story arc1 zurückzuführen sind. Obwohl die Episode eines Serials alleinstehend rezipiert werden kann, profitiert das Publikum vom (durch Horace Newcomb geprägten) Effekt der ‚cumulative narrative‘, wonach jede Folge Teil eines Paradigmas ist. Diese Formen der Serie kreisen um ein konstantes Figurenpersonal, wohingegen die Charaktere in Anthologien und Soap Operas ständig wechseln. Aus diesen Analysekriterien stellt Tetzlaff eine „Zwei-Achsen-Typologie des seriellen Erzählens“ (vgl. Tetzlaff 2018: 245–255) zusammen.

Obwohl neben Tetzlaffs Typologie wenig theoretisierende Forschung zu Fernsehserien vorliegt, gibt es ein inflationäres Definitionsangebot: Viele Theoretiker*innen entwickeln neue Begriffe, um eine Serie zu beschreiben, woran sich das von Markus Kuhn problematisierte Fehlen „einer erkennbare[n] lingua franca der Filmnarratologie“ (Kuhn 2011: 46) abzeichnet. Kuhns Beobachtungen gelten zwar in erster Linie der narratologischen Filmforschungen, sie können sich aber auf die narratologische TV-Forschung übertragen lassen. So führt etwa Fabian Kupper weitere Ausdifferenzierungen wie die ‚Mini-Serie‘ ein, während wiederum Markus Schleich und Jonas Nesselhauf die Kategorie der ‚stark progress Serie‘ sowie des ‚Flexi-Dramas‘ aufmachen. Die Mini-Serie hebt sich in narrativer Hinsicht von anderen Serials ab, indem sie „bereits bei ihrer Konzeption auf eine Schließungsfigur angelegt ist“ (Kupper 2016: 45) und ausschließlich eine Staffel mit wenigen Folgen hat. Im Gegensatz dazu steht die stark progress Serie, bei der der „erzählerische[ ] Eigenwert einer einzelnen Episode […] begrenzt“ (Schleich u. Nesselhauf 2016: 131) ist. Das Flexi-Drama hingegen ist eine Mischform aus Series und Serial mit einem übergreifenden story arc und nachhaltigen Handlungsfolgen, wobei die einzelne Folge einen abgeschlossenen Subplot aufweist (vgl. ebd.: 132).

Wie ihre Textvorlage von Arthur Conan Doyle kann beispielsweise die BBC Adaption Sherlock (UK, 2010–2017, Coky Giedroyc u. a.) als Flexi-Drama beschrieben werden, das in den beiden ersten Staffeln noch den Gesetzen der Mini-Serie folgt, spätestens aber mit der vierten Staffel zur ‚Maxi-Narrative‘ umgestaltet ist.

Seit den neunziger Jahren kreist die Serienforschung zunehmend um das Phänomen des ‚Quality Television‘. Obwohl vor allem Serials dieser Status zugeschrieben wird, haben auch Series das Potenzial zur Qualitätsserie. Nesselhauf und Schleich sehen den Begriff lediglich als Hilfsmittel, um aktuelle Entwicklungen auf dem Serienmarkt zu beschreiben (vgl. ebd.: 10). Obwohl die Qualitätsserie kein ‚besseres‘ Fernsehen ist, fordert sie in besonderer Weise die Sehgewohnheiten des Publikums heraus und zeichnet sich durch ihr „ästhetisch experimentell[es] und innovativ[es]“ (ebd.: 26) Erzählen aus. Allerdings verkörpert der aktuelle Kanon des ‚Quality TV‘ lediglich das Midcult-Phänomen nach Roland Barthes, dessen Effekt „immer der eines Faszinosums [ist], das zur Gemeinschaftsbildung geeignet ist und somit Markentreue generiert“ (Baßler 2018: 15). Der gleiche Effekt wird von Michael Rohrwasser als ‚Neue Serie‘ beschrieben, die sich durch ihre „Überforderung des Zuschauers“ (Rohrwasser 2015: 27) auszeichnet, oder wie die Journalistin Sabine Horst polemisch proklamiert: „Bügeln [beim Schauen] geht nicht mehr“ (Horst 2012). Tatsächlich bietet das Kriterium der Qualität aber keinen heuristischen Mehrwert für die Filmnarratologie und ist daher auszuklammern.

Bruch in der Narration: Der Cliffhanger – Struktur und Funktion in SHERLOCK
Es ist zwar heutzutage allgemein bekannt, was ein ‚Cliffhanger‘ ist, eine genaue Definition des Begriffs liegt bislang allerdings nicht vor. Im Wissenschaftskontext ist er mit Vorsicht zu genießen, da es sich um keinen wissenschaftlichen Begriff handelt – dessen ungeachtet ist er (wohl auch in Ermangelung eines besseren Terminus) dennoch in diversen Auseinandersetzungen auszumachen. Insgesamt gibt es erst sehr wenig Forschungsliteratur zum Cliffhanger, weshalb die dort „genannten Charakteristiken des Cliffhangers“ (Fröhlich 2015: 36) nur definitorisch zusammengefasst werden können. Dementsprechend könnte eine erste mögliche Definition für den Gebrauch in der Filmforschung sein: „Der Cliffhanger ist eine Unterbrechung der Narration an der spannendsten Stelle zum Zwecke der Spannungssteigerung“ (Fröhlich 2015: 36) oder um mit Weber und Junklewitz zu sprechen: „Ein Cliffhanger ist eine intendierte Unterbrechung der Narration, die im weitesten Sinne Interesse am Fortgang der Handlung weckt.“ (Weber u. Junklewitz 2010: 113) Der Cliffhanger ist damit nur zum Teil in der Narration also in der histoire zu verordnen, er ist nämlich auch vor allem eine Erzähltechnik im discours, die vor allem in Serien ihre Verwendung findet. Die Psychologin Bluna Zeigarnik argumentiert, dass unabgeschlossene Handlungen besser im Gedächtnis bleiben und deshalb der Cliffhanger eine Methode darstellt, die Rezipierenden dazu zu bringen, die Serie weiter zu verfolgen (vgl. Fröhlich 2015: 40–46). „[S]erielles erzählen [verlangt] nach Unterbrechungen“ (Wagner 2016: 8), um einerseits die zu rezipierende Menge übersichtlicher zu machen und andererseits die Spannung zu erhalten. Die Unterbrechung „ist damit immer schon ein Teil beziehungsweise das Alleinstellungsmerkmal der seriellen Narration“ (Fröhlich 2015: 57).

Auszumachen sind drei Arten von Cliffhangern: Der gefahrensituative Cliffhanger bricht die Handlung an einer Stelle ab, in der meist der Protagonist in (Lebens-)Gefahr ist. Es bleibt also ungewiss, ob er überlebt oder sich aus der Situation befreien kann. Der auflösende Cliffhanger enthüllt etwas für die Geschichte sehr Bedeutendes und bricht die Handlung dann ab. Der vorausdeutende Cliffhanger hebt Motive oder Figuren immer wieder hervor und setzt sie für die weitere Handlung relevant (vgl. ebd.: 475).

Neben dem Cliffhanger am Ende einer Episode kann ferner ein ‚Finalecliff‘ am Ende einer Staffel sowie ‚Mini-‘ oder ‚Binnencliffs‘ (werden synonym verwendet) innerhalb einer Folge oder eines Erzählsegments vorliegen. Letztere unterbrechen die Erzählung vor einem Werbeblock oder bei einem Wechsel des Handlungsstrangs (vgl. ebd.: 45–46). Der Binnencliff wird innerhalb derselben Folge aufgelöst. Der Finalecliff hingegen hat die Funktion, die Zuschauer über einen längeren Zeitraum, manchmal über Jahre hinweg, bei ‚der Stange zu halten‘, während eine neue Staffel produziert wird. Sollte keine Fortsetzung folgen, wird der „unaufgelöste Cliffhanger […] immer [zu einem] offene[n] Ende“ (ebd.: 81). Ein Cliffhanger ist im Umkehrschluss also immer auch nur dann ein Cliffhanger, wenn die Narration fortgesetzt wird. Damit ist der Cliffhanger auch „keine ‚beliebige Stelle‘, er ist aber ein Ende, das keinen Abschluss hat, sondern [erfüllt] im Gegenteil die dramaturgische Funktion eines Mittelteils“ (ebd.: 74).

Stellt der Cliffhanger damit eine notwendige Bedingung für Serialität dar? Die erste und zweite Folge der zweiten Staffel von SHERLOCK zeichnen sich vor allem durch Binnencliffs aus, während die dritte Folge und damit auch die Staffel mit einem Finalecliff endet. Dieser Finalecliff wird jedoch schon in der ersten und auch am Ende der zweiten Folge vorausgedeutet. Die erste Folge beginnt mit der Fortsetzung des Finalecliffs der ersten Staffel, der dann ironisch aufgelöst wird, indem Moriartys Handy klingelt – mit dem Klingelton „Stayin alive“ (SHERLOCK S2, E1: 00:00:00–00:01:50). „Besonders in Sherlock wird der Cliffhanger selbstreflexiv eingesetzt, ist sich der eigenen Konstruktion, Zielsetzung und Wiederholung bewusst“ (Fröhlich 2015: 567), weshalb hier auch die eher antiklimaktische und humoristische Auflösung realisiert ist. Moriarty verlässt das Schwimmbad, die Situation ist gelöst, er verspricht Sherlock aber ein erneutes Zusammentreffen. Auch dies ist als Vorausdeutung auf das eskalierende Ende der dritten Folge zu werten. Immer wieder werden Moriarty und sein kriminelles Netzwerk in dieser Folge relevant gesetzt. Am Ende der zweiten Folge, die ein gänzlich anderes Thema und einen eigenen abgeschlossenen hermeneutischen Code aufweist, wird Moriarty in Verbindung mit Mycroft gezeigt, der ihn anscheinend in seiner Gewalt hatte und verhört hat (S2, E2: 01:27:05–01:27:40) – erneut eine Vorausdeutung auf die dritte Folge und damit ein vorausdeutender Cliffhanger.

Auch die dritte Folge ist schließlich geprägt von Mini- und Binnencliffs sowie verrätselnder Hinweise, die den Ausgang der Folge sowohl dramatisieren als auch vorausdeuten. Moriarty selbst spricht mehrmals das ‚final problem‘ an, das hier anscheinend das entscheidende ist. Am Ende der Folge wird schließlich aufgelöst worin es besteht: „stayin alive“ – ein ironischer Hinweis auf Cliffhanger und Serialität. Sherlock steht nun scheinbar ausweglos vor seinem inszenierten Suizid, dann löst sich die Situation, spitzt sich aber erneut dramatisch zu, als Moriarty sich erschießt (S2, E3: 01:12:30–01:17:22). Sherlock ist entsetzt und gerät in Panik, auf discours-Ebene deutlich gemacht durch eine ‚unsichere‘ Kamera und Lichtbrechungen, begleitet von dramatischer Musik im Crescendo. Er fasst sich und stellt sich an den Rand des Hochhauses. Der Cliffhanger, der nun folgt, wird deutlich markiert: Sherlock stürzt sich vom Dach, man sieht ihn aufprallen, sieht die blutüberströmte Leiche, sieht das Grab. Und dann – völlig unerwartet – steht der lebendige Sherlock zwischen den Bäumen auf dem Friedhof (S2, E3: 01:19:00–01:27:39). Es folgt der Abspann. Alternativ hätte die Folge im Fall von Sherlock abrupt enden können (gefahrensituativer Cliffhanger), sodass die Zuschauer völlig im Ungewissen bleiben. Stattdessen ist der Cliffhanger gleichzeitig auflösend und proleptisch, denn der Zuschauer allein weiß nun,2 dass Sherlock noch lebt, während er zugleich weiß, dass John davon keine Kenntnis hat. Es wird also suggeriert, dass die Geschichte nicht vollständig abgeschlossen ist und es eine weitere Staffel geben wird. Der Finalecliff wird lange angedeutet und besteht letztlich aus einer Mischung mehrerer Varianten, denn der „Finalecliff kann als einzige Cliffhangerform aus verschiedenen Formen zusammengesetzt sein“” (Fröhlich 2015: 584). Der Cliffhanger hat hier eine auflösende und vorausdeutende Funktion, der die Zuschauer vor ein Rätsel stellt. Die Frage, wie Sherlock den Sturz, den die Zuschauer selbst mit angesehen haben, überlebt hat, muss die Rezipierenden zwei ganze Jahre beschäftigen und hinhalten, bis die neue Staffel erscheint. Somit kann der Cliffhanger also durchaus als notwendige Bedingung für Serialität gesehen werden.

Zu erforschen wäre nun, ob es nicht noch weitere Arten der Cliffhanger gibt und wie sie über die erläuterten Fälle hinausgehend funktional eingebunden sein können. Unklar etwa ist, ob eine Serie gar ohne Cliffhanger funktionieren würde beziehungsweise, was das Minimum an Cliffhangern ist, die eingesetzt werden müssen, um die Nachfrage hoch zu halten. Andererseits könnte untersucht, ob auch zu viele Abbrüche der Narration in Form von Cliffhangern eingebaut werden können, also die Erzählung dadurch vielleicht zu dramatisch gestaltet wird, sodass die Nachfrage wieder sinkt, weil die Erzählweise nicht gefällt. Für all diese Fragen müsste aber vor allem eine wissenschaftlich fundierte Definition für Cliffhanger aufgestellt werden, die mehr oder minder universell anwendbar ist. Jedoch ist dies aufgrund der Vielzahl von Cliffhangerarten und ihrem funktionalen Potenzial nicht einfach.

SHERLOCK und transmediales Erzählen
Das Narrativ überbrückt die zweijährige Pause zwischen der zweiten und dritten Staffel mit Erfolg durch die Ausweitung der Diegese. Annemarie Opp sieht die transmediale Erweiterung des SHERLOCK Universums als notwendig für die Bindung des Publikums und beobachtet: „Man lässt sich auf diese transmediale Erweiterung ein – was nicht obligatorisch ist, um der Narration der Serie folgen zu können“ (Opp 2016: 146). Generell weist SHERLOCK ein realistisches Setting auf. Mit dem Intro wird bereits jede Folge im realitätsgetreuen London der Gegenwart etabliert und zwischen einzelne Sequenzen werden Aufnahmen der Londoner Wahrzeichen geschnitten; Moriarty bricht sogar in den Tower of London ein. Hier wird die Diegese mit Baßlers Worten zur „Geschäftsidee“ (Baßler 2018: 11). Nicht mehr die Handlung einer Serie sei zielführend, sondern „man ist sozusagen immer schon am Ziel, sobald man die Diegese betritt“ (ebd.: 12). Das „Betreten der Diegese“ wird in SHERLOCK erleichtert, indem die Diegese mithilfe transmedialen Erzählens in das ‚echte‘ Leben rückt.

Transmediales Erzählen meint die Auffächerung der Diegese auf verschiedene Medien mithilfe der Rezipient*innen und SHERLOCK wendet diese Erzählmethode seit der ersten Staffel an: Die BBC verlinkt John Watsons persönlichen Blog3 auf der Programmwebsite (vgl. Söller-Eckert 2017: 108). Der intradiegetische Blog wird so zugänglich für das Publikum und erlaubt auch einen Einblick in die Erlebnisse der Charaktere, die nicht in den Episoden erzählt werden. So schreibt John in der ersten Folge der zweiten Staffel, die am 1. Januar 2012 in Großbritannien erstausgestrahlt wurde, am 30. Mai (2011) den Blogeintrag „Life Goes On“, der paratextual im Hintergrund eingeblendet wird (00:04:28). Derselbe Eintrag lässt sich unter demselben Datum auf der Website finden. Der titellose Post nach Sherlocks vermeintlichen Suizid wurde am 16. Juni (2012) ‚veröffentlicht‘: „He was my best friend and I’ll always believe in him.“ Danach folgen von April bis September (2013) sechs weitere Blogeinträge, bevor der Handlungsstrang der Mini-Episode MANY HAPPY RETURNS am 5. Oktober wieder aufgegriffen wird.4

MANY HAPPY RETURNS fungiert als Prequel der dritten Staffel und nimmt mit einer Länge von sieben Minuten eine Sonderstellung im SHERLOCK-Kanon ein. Die Mini-Episode wurde an Weihnachten 2013 mit dem Hashtag #sherlocklives auf YouTube veröffentlicht und zeigt Philip Andersons Versuch, Inspector Lestrade davon zu überzeugen, dass Sherlock lebt. Die Folge spielt hier metareflexiv auf die Fangemeinschaft an, die unter jenem Hashtag sowie #ibelieveinsherlock eigene Theorien zum Überleben des Detektivs im Internet austauschte. Diese Bildung „virtuelle[r] Gemeinschaften“ nennt Rohrwasser auch als Merkmal der Neuen Serie (vgl. Rohrwasser 2015: 30). Interessant ist, dass die extradiegetische Involviertheit der Fans belohnt wird, indem sie einen Platz in der Diegese erhalten. In der ersten Folge der dritten Staffel hat Anderson eine Gruppe gegründet, die Verschwörungstheorien austauscht, die in ihrer Absurdität an so manche Fanfiction erinnern.

Obwohl die Serie selbst aufgrund ihrer narrativen und semantischen Dichte genügend Stoff liefert, um dem Publikum die Pause zwischen den Staffeln zu versüßen, verstärkt die transmediale Erweiterung diesen Effekt (vgl. Opp 2016: 14). Was Newcomb unter cumulative narrative fasst und Tetzlaff als von der Rezeptionsfrequenz abhängige Anreicherung von Codes versteht, wird anhand des transmedialen Erzählens in SHERLOCK deutlich (vgl. Tetzlaff 2018: 256). Das Publikum muss weder die Diskussionen auf tumblr noch die ‚Johnlock‘-Fanfiction oder den Blog von John Watson gelesen haben, um die Handlung zu verstehen. Die transmedialen Texte sind jedoch Teil eines Paradigmas, das in den einzelnen Folgen immer wieder aufgegriffen wird. Ein*e Kenner*in von ‚Johnlock‘-Fanfiction wird so durch jede homoerotische Anspielung auf John und Sherlock in der Serie belohnt.

Ausblick: Serialität und Transmedialität
Letztlich stellen Transmedialität und Serialität zwei voneinander unabhängige Forschungsschwerpunkte der Filmnarratologie dar. Die vorangegangene Analyse sollte allerdings zeigen, dass beide Phänomene in zeitgenössischen Serien oft zusammengehen. Vereinfacht ausgedrückt tritt Serialität im Falle von Serials auf der syntagmatischen Ebene in Erscheinung. In Bezug auf Series spricht Tetzlaff allerdings bereits von figurenbezogener „Anreicherung“ auf paradigmatischer Ebene (vgl. Tetzlaff 2018: 254–256). In ähnlicher Weise können sich transmediale Erweiterungen auf der paradigmatischen Ebene anhäufen und die Diegese einer Serie verdichten wie John Watsons Blog in SHERLOCK demonstriert. Bildlich kann man von ‚Serialität in beide Richtungen‘ (horizontal und vertikal oder syntagmatisch und paradigmatisch) sprechen. Die Kombination dieser beiden Ansätze hat demnach großes Potenzial, vor allem wenn das Erkenntnisinteresse nicht explizit dem Aspekt der Fortsetzung auf syntagmatischer Ebene gilt.

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1 Als story arc, oder auch Handlungsbogen, wird der Verlauf der Handlung im episodischen Erzählen bezeichnet. Während viele Hollywoodfilme in ihrem narratologischen Aufbau auf Anfang, Mitte und Ende basieren, ‚biegt‘ sich die Handlung einer Fortsetzungsserie über mehrere Episoden.
2 Weiß er tatsächlich oder kann der Rezipierende es nur erahnen? Es gibt auch Anstöße dazu, dass der auf dem Friedhof stehende Sherlock zum Beispiel nur eine Projektion von John ist. Da in Sherlock aber generell ein konsistenter Erzähler verwendet wird, ist anzunehmen, dass der echte Sherlock John beobachtet.
3 The Personal Blog of Dr. John H. Watson, http://www.johnwatsonblog.co.uk/.
4 Da nicht nachzuvollziehen ist, ob die intradiegetischen Blogeinträge auch extradiegetisch zum Zeitpunkt der Ausstrahlung der Episode veröffentlicht wurden, kann über ihr transmediales Potenzial nur spekuliert werden.


Serie

SHERLOCK (UK, 2010–2017, Coky Giedroyc, Paul McGuigan, Euros Lyn, Rachel Talalay, Nick Hurran, Benjamin Caron).

Forschungsliteratur

Baßler, Moritz (2018): „Einführung: Short Cuts und Serialität“. In: Moritz Baßler u. Martin Nies (Hg.): Short Cuts. Ein Verfahren zwischen Roman, Film und Serie. Marburg, S. 7–19.

Eco, Umberto (1990): „Die Innovation im Seriellen“. In: Umberto Eco (Hg.): Über Spiegel und andere Phänomene. München, S. 155–180.

Fröhlich, Vincent (2015): Der Cliffhanger und die serielle Narration. Analyse einer transmedialen Erzähltechnik. Bielefeld.

Horst, Sabine (28. Juni 2012): Bügeln geht nicht mehr. https://www.zeit.de/2012/27/Fernsehen-Amerikanische-Serien (28.07. 2019).

Kuhn, Markus (2011): Filmnarratologie. Ein erzähltheoretisches Analysemodell. Berlin/New York.

Kupper, Fabian (2016): Serielle Narration. Die Evolution narrativer Komplexität in der US-Crime Show von 1950–2000. Würzburg.

Opp, Annemarie (2016): „The Game Is Never Over. Das Spiel transmedialen Erzählens in Sherlock“. In: Jonas Nesselhauf u. Markus Schleich (Hg.): Das andere Fernsehen?! Eine Bestandsaufnahme des ‚Quality Television‘. Bielefeld, S. 141–158.

Rohrwasser, Michael (2015): „Die Neue Serie. Serielle Momente der Literatur und Sherlock (Holmes)“. In: Stephanie Müller (Hg.): Serielle Formen. Wien 2015, S. 20–38.

Schleich, Markus u. Jonas Nesselhauf (2016): Fernsehserien. Geschichte, Theorie, Narration. Tübingen.

Söller-Eckert, Claudia (2017): „Transmediales Erzählen“. In: Matias Martinez (Hg.): Erzählen. Ein interdisziplinäres Handbuch. Stuttgart, S. 108–110.

Tetzlaff, Stefan (2018): „Serialität und Kybermetischer Realismus. ‚Doctor Who‘ als Meta-Series“. In: Moritz Baßler u. Martin Nies (Hg.): Short Cuts. Ein Verfahren zwischen Roman, Film und Serie. Marburg, S. 249–266.

Wagner, Birgit (2016): „Zur Einleitung: Serialität und Brucherzählung - Ein Paradox?“ In: Birgit Wagner (Hg.): Bruch und Ende im seriellen Erzählen. Vom Feuilletonroman zur Fernsehserie. Wien, S. 7–17.

Weber, Tanja u. Christian Junklewitz (2010): „To Be Continued… Funktion und Gestaltungsmittel des Cliffhangers in aktuellen Fernsehserien“. In: Arno Meteling (Hg.): Previously on… Paderborn, S. 111–132.