"Aufbruch" oder "Zusammenbruch"? Die katholische Theologie und die Studentenbewegung von 1968

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1968 bedeutete für viele Katholikinnen und Katholiken einen Bruch, auch und gerade im Hinblick auf ihre Religiosität und Kirchlichkeit. Aber in welchem Verhältnis stand die 68er-Bewegung zu den ganz unterschiedlichen Formen des Katholischseins? Und vor allem: Welche Rolle spielte die katholische Theologie dabei? Diesen Fragen widmen sich Stephen Wißing und Benedict Dahm mit Prof. Dr. Dr. h.c. Hubert Wolf im von Dr. Michael Pfister koordinierten Projekt "Katholische Theologie und die Studentenbewegung von 1968". Unterstützt werden sie von Frieda Kries als Hilfskraft. Das Vorhaben gehört zur Forschungsgruppe "Katholischsein in der Bundesrepublik Deutschland. Semantiken, Praktiken und Emotionen in der westdeutschen Gesellschaft 1965-1989/90", die von der Deutschen Forschungsgemeinschaft gefördert wird und bei der Bonner Kommission für Zeitgeschichte angesiedelt ist.

Im Mittelpunkt des Interesses stehen nicht die binnentheologischen Diskurse, sondern die vielfältigen Kommunikationen zwischen der wissenschaftlichen Theologie und der kirchlichen sowie gesamtgesellschaftlichen Öffentlichkeit. Wie beantwortete die wissenschaftliche Theologie Fragen zum Katholischsein nach 1968? Rezipierte sie die Werte und die Sprache der sogenannten 68er? Ließ sie sich auf neue Diskursräume ein oder zog sie sich ins katholisch-theologische Ghetto zurück? Und inwieweit waren ihre Antworten zur Bewältigung des Umbruchs hilfreich?

Das Projekt nähert sich diesen Fragen auf zwei Wegen. Zum einen wird die Entwicklung der Ekklesiologien von Joseph Ratzinger und Hans Küng infolge ihrer Erfahrungen im Jahr 1968 rekonstruiert. Dabei geht es um die Rezeption politischer Begriffe wie Demokratie, Volk und Mitverantwortung sowie um die Wahrnehmung und Umsetzung der Kirchenbilder bei Klerikern und Laien. Zum anderen wird die fundamentale Herausforderung der katholischen Moraltheologie und des ethischen Handelns durch den Umbruch erforscht. Wie kann man in einer pluralistischen Gesellschaft ethische Normen begründen? Gibt es spezifisch katholische Normen? Oder können diese prinzipiell nur autonom auf der Basis der Vernunft begründet werden? Die Kontroversen waren heftig. Sie entzündeten sich an Alfons Auers "Autonomer Moral", der Bernhard Stoeckle als "Glaubensethiker" entschieden widersprach, und wurden von Franz Böckle und anderen weitergeführt.

Theologie erhielt, so die These, seit 1968 eine entscheidende Bedeutung für die Gläubigen, die Antworten auf ihre Fragen weniger im Lehramt der Kirche, sondern in wissenschaftlichen Entwürfen suchten. Theologinnen und Theologen gaben Sinnangebote, Deutungshorizonte, Distinktionsmöglichkeiten und Handlungsmuster vor. Theologische Werke wie Küngs "Christ sein" oder Ratzingers "Einführung in das Christentum" wurden Bestseller und bestimmten die Diskussionen weit über katholische Kreise hinaus. Sie waren für die Neuformierung ganz unterschiedlicher Varianten des Katholischseins sowie für ganz unterschiedlich geprägte Diskursräume entscheidend mitverantwortlich. Theologie begann das Leben zu bestimmen und das Leben Theologie.

Weitere Informationen finden Sie auf der Homepage der Froschungsgruppe unter
https://katholischsein-for2973.de/

DFG-Forschungsgruppe "Katholischsein in der Bundesrepublik Deutschland. Semantiken, Praktiken und Emotionen in der westdeutschen Gesellschaft 1965-1989/90"

Kaum eine Religionsgemeinschaft in Deutschland dürfte sich derzeit in vergleichbaren Turbulenzen befinden wie die Katholische Kirche. Und kaum eine wird in der Öffentlichkeit als ähnlich sperrig wahrgenommen. Mitte der 1960er Jahre war das signifikant anders:
Theologie wird eine soziale Praxis, Rollen und Rituale werden neu ausgehandelt und Religion vernetzt sich auf ungewohnte Weise mit Politik und Zivilgesellschaft.
Die DFG-Forschungsgruppe 2973 stellt die Frage: „Was kommt nach dem ‚katholischen Milieu‘?“ – religionskulturell, politisch, zivilgesellschaftlich, gendertheoretisch? Die These der Forschenden: Der überkommene Katholizismus löst sich nicht einfach in die Säkularisierung hinein auf. Vielmehr gehen aus der Sozialform des katholischen Milieus vielfältige Gestaltungen des „Katholischseins“ – des „doing Catholicism“ hervor. Dabei begreift die Forschungsgruppe kirchliche Zeitgeschichte nicht mehr nur als gesondertes Feld sondern zugleich als allgemeine Zeitgeschichte.