(Rechts-)Populismus und Christliche Sozialethik
Die Auseinandersetzung mit rechtspopulistischen Strömungen, insbesondere auch mit den Verflechtungen zwischen der politischen und der religiösen Rechten in Deutschland, verschiedenen europäischen Ländern und darüber hinaus, ist in den letzten Jahren zu einer unabweisbaren Herausforderung der Gesellschaftsethik geworden. Die Untersuchung ideologischer Muster, Welt- und Gesellschaftsbilder, Feindbilder und Modi der Ab- und Ausgrenzung sowie der Kommunikation sind für eine kritische Analyse unerlässlich. Dabei zeigen sich breite Schnittflächen zu (religiöser) Anti-Gender-Polemik und zu ausgrenzenden Diskursen gegenüber "Anderen" und "Fremden" – mithin sowohl zu religionspolitischen als auch zu migrationspolitischen Fragestellungen und deren ethischer Reflexion.
Die Auftragsstudie zur Programmatik der Partei Alternative für Deutschland (2017, s. u.) weiterführend, wurden in den zurückliegenden Jahren am ICS – teilweise eingebunden in die Arbeitsplattform "Religion, Politik und Geschlecht" des Exzellenzclusters Religion und Politik – verschiedene Studien zu rechtspopulistischen Diskursen an den Schnittstellen von Religion, Nation und Geschlecht durchgeführt, u. a. die Tagung "Gender – Nation – Religion", aus der eine gleichnamige Buchveröffentlichung hervorgegangen ist (herausgegeben von M. Behrensen, M. Heimbach-Steins, L. Hennig, Frankfurt: Campus 2019). Eine Reihe von Beiträgen zum einschlägigen Wissenstransfer wurden u. a. durch die Mitarbeit an den Positionsbestimmungen/Arbeitshilfen der Deutschen Bischofskonferenz zu den Themen Rechtspopulismus und Gender(-forschung), geleistet.
Die Programmatik der AfD – eine Kritik
In der ersten Jahreshälfte 2024 hat ein Autor:innen-Team des ICS und des Wiener Lehrstuhls für Sozialethik unter Leitung von Marianne Heimbach-Steins und Alexander Filipović eine neue Studie zur Programmatik der Partei "Alternative für Deutschland" (AfD) im Vergleich zu den Positionen der katholischen Kirche erarbeitet und die Ergebnisse aus der Perspektive der christlichen Sozialethik kommentiert. Das Projekt knüpft an eine Vorgängerstudie aus dem Jahr 2017 (s. u. Grundpositionen der Partei "Alternative für Deutschland" und der Katholischen Soziallehre im Vergleich). Im Unterschied zu dem damaligen Vorhaben ist die neue Untersuchung keine Auftragsarbeit, sondern basiert ausschließlich auf der Eigeninitiative der beteiligten Wissenschaftler:innen sowie auf Eigenmitteln des ICS und der Professur für Sozialethik an der Universität Wien.
Die Studie liefert Material und Argumente für eine vertiefte Auseinandersetzung mit den sozialen und politischen Positionen der AfD. Sie richtet sich an Christ:innen und Bürger:innen, die sich über die aktuellen politischen und gesellschaftlichen Entwicklungen Sorgen machen und eine informierte Position beziehen möchten. Die Studie basiert auf einer textnahen Analyse der programmatischen Dokumente der AfD, darunter das Grundsatzprogramm 2016, das Bundestagswahlprogramm 2021, das Europawahlprogramm 2024 sowie weitere Landtagswahlprogramme und Positionspapiere. Positionen der Partei werden den Dokumenten der Katholischen Soziallehre gegenübergestellt. Die Analyse erfolgt in einem dreistufigen Verfahren: Darstellung der AfD-Positionen, Darstellung der kirchlichen Positionen und abschließender Vergleich mit sozialethischer Kommentierung. Die Kritik zielt dabei nicht nur auf die Programmatik der AfD, sondern markiert, wo nötig, auch Klärungs- bzw. Änderungsbedarf bei den kirchlichen Positionen.
Die Ergebnisse der Analyse wurden veröffentlicht in dem ICS-Arbeitspapier Nr. 28. Es folgt eine Zusammenfassung des Themas und der Methode sowie der Ergebnisse der Studie:
Inhalt und Ergebnisse
Die Studie stellt zentrale Koordinaten der politischen Programmatik der AfD dar (Kapitel 2) und zeigt, wie diese mit statischen und rückwärtsgewandten Begriffen von Kultur, Identität, Werten und Geschichte verknüpft sind. Die Koordinaten werden als Deutungsrahmen verstanden, innerhalb dessen die AfD ihre Werturteile zu konkreten politischen Themenfeldern formuliert – etwa zum Geschlechter- und Familienbild, zu Fragen der Zuwanderung, zur Gesundheits- und Pflegepolitik, zur Energie-, Umwelt- oder Agrarpolitik. Der Populismus der AfD wird ebenfalls als Deutungsrahmen für die Auseinandersetzung mit der Programmatik der AfD verstanden. Die populistischen Strategien der AfD fördern eine spaltende und polarisierende Politik, die im Widerspruch zu den auf Inklusion und Dialog setzenden Prinzipien der Katholischen Soziallehre steht.
Im Zentrum der Studie stehen die Analyse und der Vergleich der politischen Positionen der AfD mit denen der katholischen Kirche (Kapitel 3). Die sozialethischen Kommentare in den einzelnen Themenfeldern beleuchten dieses Verhältnis aus wissenschaftlicher Perspektive.
- Hinsichtlich der Grundlagen des Sozialen wie Geschlecht, Familie und Reproduktion lehnt die AfD die "Gender-Ideologie" ab, propagiert traditionelle Geschlechterrollen und sieht die traditionelle Familie als Grundlage der Gesellschaft. Der Abtreibung steht sie kritisch gegenüber. Die katholische Kirche unterstützt ebenfalls traditionelle Familienwerte, betont aber die Gleichberechtigung der Geschlechter und mehr soziale Gerechtigkeit. Der sozialethische Kommentar kritisiert das starre Verständnis der Geschlechterrollen der AfD und betont die Notwendigkeit von Gleichstellung und Inklusion sowie einen umfassenden Lebensschutz. Kritik wird hier aber auch an den Positionen der katholischen Kirche vorgebracht, etwa wo "Gender" wissenschaftlich falsch oder verzerrt verwendet wird, ein hierarchisiertes bzw. differenzbetonendes Geschlechterverhältnis vorliegt oder grundsätzliche Ambivalenzen in Bezug auf Grundrechte, Menschenrechte sowie reproduktive Rechte bestehen.
- Im Bereich Zuwanderung, Asyl und Integration verfolgt die AfD eine restriktive Zuwanderungspolitik, betont die kulturelle Assimilation von Migrant:innen und lehnt eine liberale Asylpolitik ab. Demgegenüber betont die katholische Kirche die universelle Menschenwürde und die Solidarität mit Migrant:innen und Flüchtlingen und unterstützt eine offene und integrative Haltung. Sozialethisch wird die fremdenfeindliche Rhetorik der AfD kritisiert und die ethische Verpflichtung zur Unterstützung und Integration von Migrant:innen betont.
- In Bezug auf Religionen, Identitäten und Identitätspolitik sieht die AfD das Christentum als eine der kulturellen Grundlagen einer 'deutschen' Kultur und steht dem Islam, skeptisch bis explizit ablehnend gegenüber. Die katholische Kirche setzt sich für religiöse Vielfalt und interreligiösen Dialog ein und betont die Unvereinbarkeit von christlichem Glauben und nationalistischem Denken. Die sozialethische Stellungnahme hebt die Bedeutung des Schutzes der Religionsfreiheit und des interreligiösen Dialogs hervor und kritisiert die ausgrenzenden Tendenzen der AfD.
- In der Medienpolitik kritisiert die AfD die bestehenden Medien als einseitig und fordert mehr Meinungsvielfalt, während sie sich selbst häufig als Opfer von Zensur sieht. Die katholische Kirche setzt sich für eine freie und verantwortungsvolle Medienlandschaft ein, die zur Wahrheitssuche und zum Gemeinwohl beiträgt. Kommentierend hebt die Studie die Bedeutung freier Medien für die Demokratie hervor und warnt vor der Manipulation durch populistische Kräfte.
- In Bezug auf den Sozialstaat propagiert die AfD ein leistungsorientiertes Sozialstaatsmodell und betont die Eigenverantwortung, steht aber Sozialleistungen für Migrant:innen sowie für Personen, die selbst wenig leisten können, kritisch gegenüber. Die katholische Kirche betont die Solidarität und das Subsidiaritätsprinzip und sieht den Staat in der Verantwortung für soziale Gerechtigkeit und die Unterstützung der Schwachen. Die Studie setzt sich kritisch mit der restriktiven Sozialpolitik der AfD auseinander und unterstreicht die Notwendigkeit umfassender sozialer Unterstützung und Solidarität.
- In der Wirtschaftspolitik setzt die AfD auf nationale Wirtschaftsinteressen und einen freien Markt mit weniger staatlichen Eingriffen. Die katholische Kirche betont die soziale Verantwortung der Wirtschaft und ein ausgewogenes Verhältnis von Markt und staatlicher Regulierung. Der sozialethische Kommentar bekräftigt die Bedeutung einer sozial verantwortlichen Wirtschaftspolitik und kritisiert die einseitig nationalen Interessen der AfD.
- In Bezug auf Europa lehnt die AfD die EU in ihrer jetzigen Form ab und fordert nationale Souveränität, während die katholische Kirche die europäische Integration unterstützt und in der EU ein wichtiges Projekt für Frieden und Solidarität sieht. Aus sozialethischer Sicht wird die Bedeutung der europäischen Zusammenarbeit hervorgehoben, und die nationalistischen Positionen der AfD werden kritisiert.
- In der Außen-, Sicherheits- und Verteidigungspolitik setzt die AfD auf nationale Souveränität und eine starke militärische Verteidigungspolitik, während die katholische Kirche internationale Zusammenarbeit und friedliche Konfliktlösungen unterstreicht. Der sozialethische Kommentar kritisiert die militaristische Ausrichtung der AfD und bekräftigt die Notwendigkeit einer Politik des gerechten Friedens und internationaler Zusammenarbeit. Der Kommentar hebt dabei auch die Notwendigkeit hervor, die Grenzen der pazifistischen, Gewaltfreiheit fokussierenden Grundausrichtung der kirchlichen Friedenslehre zu erkennen und friedensethisch weiterzuentwickeln.
- Im ökologischen Bereich bezweifelt die AfD den anthropogenen Klimawandel und betont nationale Interessen in der Energie- und Umweltpolitik. Die katholische Kirche betont die globale Schöpfungsverantwortung und die Notwendigkeit eines globalen Klimaschutzes. Sozialethisch stellt die Studie die Klimapolitik der AfD als unzureichend dar und fordert die Notwendigkeit einer ökologisch nachhaltigen Politik.
Die Studie zeigt, dass die politischen Positionen der AfD und die Katholische Soziallehre in vielen ethischen Grundfragen unvereinbar sind. Insbesondere in den Bereichen Menschenwürde, Solidarität und Gerechtigkeit gibt es tiefgreifende Differenzen. Die Studie betont die Notwendigkeit einer klaren Abgrenzung gegenüber populistischen und menschenverachtenden Tendenzen und plädiert für eine verstärkte gesellschaftliche und kirchliche Auseinandersetzung mit den Herausforderungen der Zeit.
Die Studie schließt mit ethischen Orientierungen und Handlungsempfehlungen, die sich aus der Perspektive des christlichen Glaubens und der christlichen Sozialethik ergeben. Sie hebt die Unantastbarkeit der Menschenwürde und der Menschenrechte als zentrale ethische Orientierungen hervor, an denen sich politisches Handeln und gesellschaftliches Engagement messen lassen müssen. Christliche Ethik sieht eine universale Verantwortung für Gerechtigkeit und Solidarität, die sowohl individuelles als auch kollektives Handeln leitet, und unterstreicht die "Option für die Armen", die darauf zielt, die Bedürfnisse der Benachteiligten besonders zu berücksichtigen.
Die Studie wendet sich gegen populistische und extremistische Tendenzen, indem sie die Notwendigkeit unterstreicht, sich für eine inklusive und demokratische Gesellschaft einzusetzen, populistische Narrative kritisch zu hinterfragen und die Werte der Demokratie und des sozialen Zusammenhalts zu verteidigen. Abschließend wird aufgezeigt, wie wichtig es ist, langfristige Ziele und die Möglichkeit einer positiven Zukunft im Auge zu behalten, was Vertrauen in demokratische Prozesse und die Bereitschaft, sich aktiv für eine gerechte und solidarische Gesellschaft einzusetzen, voraussetzt. Das Kapitel dient als Leitfaden für ein gesellschaftspolitisches Engagement, das sich an christlichen Werten orientiert und versucht, den Herausforderungen unserer Zeit mit einer Haltung der Verantwortung und Solidarität zu begegnen.
Verantwortlich:
- Prof.'in Dr. Marianne Heimbach-Steins (ICS)
Kooperation:
- Prof. Dr. Alexander Filipović, Professor für Sozialethik am Institut für Systematische Theologie und Ethik an der Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien
Mitarbeit:
- Claudius Bachmann, Dr. rer. pol., Dipl. theol., wissenschaftlicher Mitarbeiter am ICS
- Celina Beck, M.A., Universitätsassistentinam Institut für Systematische Theologie und Ethik an der
Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien - Noreen van Elk, PhD, Universitätsassistentinam Institut für Systematische Theologie und Ethik an der
Katholisch-Theologischen Fakultät der Universität Wien - Lena Heskamp, B.A., studentische Hilfskraft am ICS
- Lena Höckerschmidt, B.A., studentische Hilfskraft am ICS
- Celine Holz, studentische Hilfskraft am ICS
- Fabian Jaskolla, M.A., studentische Hilfskraft am ICS
- Monika Kalb, B.A., studentische Hilfskraft am ICS
- Mara Klein, M.Ed., wissenschaftliche:n Mitarbeiter:in am ICS
- Josef Könning, Dr. theol., Bildungsreferent in der Katholischen Bildungsstätte Haus Ohrbeck
- Lea Quaing, Mag. theol, wissenschaftliche Mitarbeiterin am ICS
- Lukas Rehbach, studentische Hilfskraft am ICS
Finanzierung:
- Eigenmittel
Gender – Religion – Nation
Auf der Grundlage der im Juni 2017 durchgeführten Tagung der Arbeitsplattform "Religion, Politik und Geschlechterordnung" im Exzellenzcluster Religion und Politik zum Thema "Gender – Religion – Nation" wurde ein Buchprojekt unter dem gleichen Titel entwickelt, das von Maren Behrensen gemeinsam mit Marianne Heimbach-Steins und der Soziologin Linda Hennig (CRM – Centrum für Religion und Moderne) herausgegeben wird. Der Band fokussiert in international vergleichender Perspektive (mit Beispielen aus Deutschland, Russland, Südosteuropa und den USA) gesellschaftliche Debatten über den Wert von Ehe und Familie, die Frage der Abtreibung, rechte sexueller Minderheiten, Sexualkundeunterricht oder Gleichstellungspolitiken, die insbesondere aus (rechts-)populistischen und religiös-fundamentalistischen Quellen gespeist werden und so nationalistische Motive mit der Ablehnung der sogenannten "Gender-Ideologie" verknüpfen. Die Publikation ist im Frühjahr 2019 erschienen in der Reihe "Religion und Moderne" im Campus-Verlag , Frankfurt.
Zwischen diesem Vorhaben und der Analyse der Programmatik der Partei "Alternative für Deutschland" (familien- und geschlechterpolitische Aspekte), die wir im Frühsommer 2017 vorlegten, bestehen thematische breite Schnittstellen. Die beide Projekte verbindende Auseinandersetzung mit Genderfragen im Horizont rechtspopulistischer Anti-Gender-Diskurse führte im akademischen Jahr 2017/18 zu einer Reihe von Einladungen und Veranstaltungensbeteiligungen verschiedener gesellschaftlicher und kirchlicher Institutionen.
Verantwortlich:
- Prof.'in Dr. Marianne Heimbach-Steins
- Dr. Maren Behrensen
Mitarbeit:
- Josef Becker, Mag.Theol.
Kooperation:
- Arbeitsstelle Theologische Genderforschung der Katholisch-Theologischen Fakultät zur Homepage
Finanzierung:
- Exzellenzcluster "Religion und Politik" (2018)
- Programm Geschlechtergerechte Hochschule des Landes NRW (bis 12/2019)
- Eigenmittel (2019/2020)
Laufzeit: 2016 bis 2019
Grundpositionen der Partei "Alternative für Deutschland" und der Katholischen Soziallehre im Vergleich
Die folgenden Thesen fassen zentrale Ergebnisse einer Studie zur Programmatik der Partei "Alternative für Deutschland" zusammen; sie basiert vor allem auf der Analyse des Grundsatzprogramms, des Wahlprogramms für die Bundestagswahl 2017 sowie auf der Untersuchung ausgewählter Reden von Parteifunktionären und der Facebook-Nutzung der AfD. Die leitende Frage der Untersuchung ist: Wie verhalten sich grundlegende Positionen und politische Zielsetzungen der Partei zu den Positionen der katholischen Soziallehre? Ziel der Untersuchung ist es, Orientierungen für eine christlich fundierte Urteilsbildung und Hilfestellungen für den Umgang mit inhaltlichen und kommunikativen Herausforderungen anzubieten, denen Christinnen und Christen in der Auseinandersetzung mit den Positionen und dem Politikstil der AfD begegnen.
Die AfD definiert ihre Programmatik über Feindbilder und Krisen...
Die AfD ist als Partei aus einer Krise entstanden (der "Eurokrise"). Nach bilden Aspekte des Zeitgeschehens, die sie als krisenhaft wahrnimmt, die Dreh- und Angelpunkte ihres Programms. Islam, politische Eliten, Europa und Gender werden als diffuse Feindbilder entworfen und zu einer existenziellen Bedrohung Deutschlands überhöht. Innerhalb der einzelnen Feindbilder wird nicht differenziert (z. B. wird Islam nicht vom Islamismus abgegrenzt; die "Altparteien" werden als "Meinungskartell" dargestellt).
… und verweigert die Auseinandersetzung mit großen Zukunftsfragen,
Gesellschaftliche und weltpolitische Herausforderungen wie die Globalisierung, der Klimawandel oder die Veränderung sozialer Realitäten im Bereich der Familie werden entweder geleugnet oder ihnen wird durch das leere Versprechen, zu einer angeblich besseren Vergangenheit zurückzukehren, begegnet. Die AfD hat kein positives Verständnis von Verantwortung, Gerechtigkeit und Solidarität in einer global vernetzten Welt.
...ohne zukunftstaugliche politische Lösungen anzubieten.
Bestimmte Einzelforderungen der AfD lassen sich auch in politischen Programmen anderer Parteien finden oder stammen ursprünglich aus diesen. Sie werden jedoch in einen die programmatischen Gesamtrahmen gestellt, der im Vergleich zu anderen Parteien, vor allem aber im Vergleich zu einem christlichen Menschen-, Gesellschafts- und Geschichtsverständnis rückwärtsgewandt und hoffnungsarm ist. Das Weltbild der AfD ist zutiefst pessimistisch.
Die AfD möchte eine "deutsche Identität" sichern, ohne konkret zu sagen, was ihr an Deutschland eigentlich wichtig ist.
Die AfD verschreibt sich in ihrem Programm der Pflege deutscher Kultur, Identität und Sprache. Aber die allgemeinen Verweise auf abendländische Werte und Traditionen lassen im Unklaren, was genau sie bewahren möchte und weshalb. Auch in den kulturpolitischen Positionen der AfD wird eine vermeintlich bessere Vergangenheit beschworen, während eine ganzheitliche Auseinandersetzung mit der deutschen Geschichte zurückgewiesen wird. Die Stilisierung einer bestimmten ethnischen oder ethno-nationalen Zugehörigkeit als Wert an sich ist der katholischen Soziallehre mit ihren Orientierungen an der Würde jedes Menschen als Geschöpf, am (universalen) Gemeinwohl, an Solidarität und Gerechtigkeit fremd.
Die AfD steht für eine zutiefst unchristliche, ethno-nationale Bevölkerungspolitik.
Die AfD tritt zwar für die Unterstützung eines traditionellen Familienbildes und für den Schutz des ungeborenen Lebens ein. Diese Anliegen werden jedoch einem vorrangig bevölkerungspolitischen Interesse zugeordnet: Deutsche sollen zur Familiengründung angeregt, deutsche Familien und Kinder sollen gefördert werden, während in der Asyl-, Einwanderungs- und Integrationspolitik völlige Abschottung gefordert wird. Eine solche bevölkerungspolitische Verzweckung der Familie widerspricht (trotz mancher ähnlich klingender Einzelaussagen) sowohl dem katholischen Familienverständnis als auch dem Eintreten für einen umfassenden Lebensschutz.
Die AfD steht im Spannungsverhältnis mit der Religionsfreiheit.
Die AfD bekennt sich zwar zur Glaubens- und Bekenntnisfreiheit, bestreitet jedoch die Religionsausübungsfreiheit. Diese will sie für muslimische Mitbürgerinnen und Mitbürger stark einschränken. Mit ihrer religionspolitischen Position steht sie in erheblicher Spannung zum Grundrecht auf Religionsfreiheit. Diese selektive Auffassung ist mit der modernen katholischen Lehre über die Religionsfreiheit als Recht der Person – unabhängig vom konkreten Bekenntnis – nicht vereinbar.
Die AfD beruft sich auf die Soziale Marktwirtschaft, steht aber in ihren wirtschafts- und sozialpolitischen Positionen nicht klar dafür ein.
Die AfD hat sich die ursprünglich christdemokratische Rede von der sozialen Marktwirtschaft und das Versprechen vom "Wohlstand für alle" angeeignet, ohne entsprechende Inhalte klar zu vertreten oder darzulegen, wie ihre Versprechen eingelöst werden sollen. Ihre Einzelpositionen zu wirtschafts- und sozialpolitischen Themen sind ein unübersichtliches Gemisch aus marktliberalen und protektionistischen Forderungen. Dem Eintreten der katholischen Soziallehre für eine auf den Grundsätzen der Solidarität und der Subsidiarität gegründete Gesellschaftsordnung entsprechen weder marktliberale noch protektionistische Positionen.
Die AfD nutzt populistische Kommunikationsstrategien.
Die AfD nutzt einen populistischen Politik-Stil, der das Profil der Partei in eigener Weise unterstützt. Zwar sind nicht alle Formen des Populismus per se abzulehnen, ein antidemokratischer Populismus jedoch schon: Er ist charakterisiert durch einen antipluralistischen Anti-Elitarismus und eine bloß symbolische Repräsentation des 'wahren Volkes'. Für beides gibt es Belege im AfD-Populismus. Kriterien, mit denen populistische Redeweisen identifiziert werden können, sind etwa strategische Tabubrüche und verschwörungstheoretische Einordnungen. Vertreterinnen und Vertreter der AfD nutzen solche populistischen Kommunikationsstrategien. Am häufigsten sind dies eine Bestimmung von Identität durch Exklusion, ein Anti-Elitarismus, Strategien des Tabubruchs und der Widerstand gegen eine als "Meinungsdiktatur" interpretierte Political Correctness.
Die AfD nutzt intensiv die Sozialen Medien als Teil ihrer populistischen Strategie.
Die AfD nutzt die so genannten Social Media (vor allem Facebook) sehr intensiv und erzielt deutlich mehr Resonanz auf diesen Plattformen als andere Parteien. Zudem lassen sich für die AfD im Gegensatz zu anderen Parteien Echokammereffekte nachweisen: AfD-Sympathisanten auf Facebook bilden eine homogene, nur innerhalb "rechter" Gruppierungen vernetzte Gemeinschaft. Echokammern und Filterblasen haben gesellschaftlich gesehen eine antidiskursive Wirkung. Praktische Konsequenz für Internetnutzer ist medienethisch gesehen daher, eigene Einschließungen in Filterblasen zu vermeiden.
Die AfD behauptet für sich einen Alleinvertretungsanspruch für den "Mut zur Wahrheit".
Die AfD beansprucht, als einzige politische Kraft den „Mut zur Wahrheit" zu haben. Diesem Anspruch können und müssen Christinnen und Christen entgegentreten. Um Wahrheit muss gerungen werden. Wahrheit ist ohne die Achtung der Freiheit auch der Anderen, ohne den Einsatz für Frieden und Gerechtigkeit nicht glaubwürdig zu vertreten. Die Suche nach Wahrheit steht für Christinnen und Christen im Zeichen des Vorläufigen und der begrenzten menschlichen Einsichtsfähigkeit. Sie werden notwendige Auseinandersetzungen um Geltungs- und Wahrheitsansprüche im Geist des Respekts, nicht im Schema von Freund und Feind führen.
Die Ergebnisse der Analyse wurden veröffentlicht in dem ICS-Arbeitspapier Nr. 8.
Verantwortlich:
- Prof.'in Dr. Marianne Heimbach-Steins (ICS)
- Prof. Dr. Alexander Filipovic, Hochschule für Philosophie München, Zentrum für Ethik der Medien und der digitalen Gesellschaft (zem::dg)
Mitarbeit:
- Josef Becker (ICS)
- Dr. Maren Behrensen (ICS)
- Theresa Wasserer (zem::dg)
Finanzierung:
- Auftraggebende Bistümer
- Eigenmittel