Gescheiterte Friedensmissionen?

Kirchliche Diplomatie angesichts Russlands Kriegs gegen die Ukraine im Fokus einer Podiumsdiskussion in Berlin
Auf dem Podium (v. l. n. r.): Prof. Dr. Viktor Yelenskyi, Prof. Dr. Heinrich Bedford-Strohm, Prof. i.R. Dr. Thomas Bremer, Prof. Dr. Katharina Kunter und Prof. Dr. Regina Elsner
Auf dem Podium (v. l. n. r.): Prof. Dr. Viktor Yelenskyi, Prof. Dr. Heinrich Bedford-Strohm, Prof. i.R. Dr. Thomas Bremer, Prof. Dr. Katharina Kunter und Prof. Dr. Regina Elsner
© KTF | David Kulke

Am Abend des 25. Februars 2025 fand in der Katholischen Akademie Berlin unter dem Titel „Gescheiterte Friedensmissionen? Ökumenische Blockaden als Brandbeschleuniger in Russlands Krieg gegen die Ukraine“ eine hochkarätig besetzte Podiumsdiskussion zur Rolle und Bedeutung kirchlicher diplomatischer Bemühungen im Kontext von Russlands Krieg gegen die Ukraine statt. Im Mittelpunkt der Diskussion zwischen Prof. Dr. Viktor Yelenskyi, Prof. Dr. Heinrich Bedford-Strohm, Prof. i.R. Dr. Thomas Bremer und Prof. Dr. Katharina Kunter stand die Frage nach Chancen und Grenzen kirchlicher Diplomatie. Die Veranstaltung war als öffentliches Podiumsgespräch Teil des Berliner Werkstattgesprächs 2025 der Arbeitsgemeinschaft der Sozialethikerinnen und Sozialethiker des deutschsprachigen Raumes und wurde von Prof. Dr. Regina Elsner organisiert und moderiert.

Im Zentrum der Diskussion stand die Frage, wie mit der Russischen Orthodoxen Kirche (ROK) angesichts der offenen Unterstützung und religiösen Legitimierung des Angriffskriegs Russlands durch ihre Kirchenleitung umgegangen werden sollte. Während Heinrich Bedford-Strohm als Vorsitzender des Zentralausschusses des Ökumenischen Rats der Kirchen (ÖRK) für eine Beibehaltung des Gesprächsfadens plädierte, sahen andere Teilnehmer:innen darin ein gescheitertes Modell und sprachen sich für einen klaren Bruch aus.

Foto von Leichensäcken, ausgestellt in der St.-Andreas-Kirche in Butscha (Ukraine)
Foto von Leichensäcken, ausgestellt in der St.-Andreas-Kirche in Butscha (Ukraine)
© ÖRK
Kirchliche Diplomatie als „Mobilisierung des Gewissens“

Viktor Yelenskyi, Leiter des Staatlichen Dienstes der Ukraine für Ethnopolitik und Gewissensfreiheit und eigens für die Veranstaltung aus Kyjiw angereist, betonte in seinem Eingangsstatement, dass die Kirchen eine klare Haltung zugunsten der Ukraine einnehmen müssten, kritisierte die Zurückhaltung des ÖRK und sprach sich für eine konsequente Abgrenzung von der ROK aus. Er stellte heraus, dass kirchliche Diplomatie eine „Mobilisierung des Gewissens“ sein sollte, eines Gewissens, dass in diesem Krieg „unter einem noch nie dagewesenen Beschuss durch die russische Propagandamaschine“ stehe. Dabei ging er auch auf das umstrittene und in der jüngeren Vergangenheit mehrfach von Thomas Bremer und Regina Elsner kritisierte Gesetz „Über den Schutz der verfassungsmäßigen Ordnung im Bereich der Tätigkeit religiöser Organisationen“ ein, dessen alleiniges und legitimes Anliegen der Abbruch der Beziehungen religiöser Gemeinschaften zu Moskau sei.

Abstimmung während der Vollversammlung des Ökumenischen Rats der Kirchen 2022 in Karlsruhe
Abstimmung während der Vollversammlung des Ökumenischen Rats der Kirchen 2022 in Karlsruhe
© Albin Hillert | ÖRK
Der Ökumenische Rat der Kirchen und die Russische Orthodoxe Kirche

Die evangelische Kirchenhistorikerin Katharina Kunter von der Universität Helsinki wies darauf hin, dass der grundlegende Ansatz kirchlicher Diplomatie überdacht und reformiert werden müsse: Anstatt den Fokus alleine auf den Kontakt zwischen den Kirchenleitungen zu legen, müsste Grassroots-Bewegungen viel mehr Beachtung und damit auch anderen Stimmen Gehör geschenkt werden. Dies sei auch das Anliegen eines offenen Briefes gewesen, den sie im Juni 2022 zusammen mit der evangelischen Theologin Ellen Ueberschär verfasst hatte und der von zahlreichen kirchennahen Personen des öffentlichen Lebens mitunterzeichnet worden war. Darin hatten sie angesichts der bevorstehenden Vollversammlung des ÖRK in Karlsruhe Ende August 2022 ein bis zum Ende des Kriegs zeitlich befristetes Moratorium für die Mitgliedschaft der Russischen Orthodoxen Kirche im ÖRK sowie einen Fokus auf die Ukraine, weg von Russland gefordert. Viele hätten diese Kritik jedoch lapidar abgetan. Kunter betonte, dass sie es weiterhin für nicht vertretbar halte, Gesprächskanäle zur Russischen Orthodoxen Kirche offenzuhalten – es sei denn, sie verfolgten ganz konkrete humanitäre Ziele.

Treffen einer Delegation des Ökumenischen Rats der Kirchen unter Vorsitz des Generalsekretärs Jerry Pillay mit Patriarch Kyrill am 17. Mai 2023 in Moskau
Treffen einer Delegation des Ökumenischen Rats der Kirchen unter Vorsitz des Generalsekretärs Jerry Pillay mit Patriarch Kyrill am 17. Mai 2023 in Moskau
© ÖRK

Heinrich Bedford-Strohm hob hervor, dass den beiden ukrainischen orthodoxen Kirchen auf der Vollversammlung in Karlsruhe ein Abendpodium zur Verfügung gestellt wurde, man die ukrainische Perspektive somit sehr wohl berücksichtigt und breiten Raum gegeben habe. Er möchte, dass die Orthodoxe Kirche der Ukraine, der 2019 durch den Ökumenischen Patriarchen die Autokephalie verliehen wurde, so schnell wie möglich Mitglied des ÖRK werde. Zuvor hatte Bedford-Strohm bereits auf die Verurteilung der Invasion Russlands durch den ÖRK auf seiner Vollversammlung in Karlsruhe verwiesen. Der ÖRK wolle aber mit der Russischen Orthodoxen Kirche im Gespräch bleiben. Nichtsdestotrotz stelle er sich durchaus die Frage, ob es richtig sei, was man tue: „Ich möchte Rat, ich brauche Rat.“

Fokus auf die Ukraine, weg von Russland

Auf mögliche historische Parallelen zu den Jugoslawien-Kriegen angesprochen, zeigt Thomas Bremer sich skeptisch, ob kirchliche Friedensinitiativen kurzfristig politische Wirkung entfalten könnten. Manches würde sich aber nach dem Krieg als relevant erweisen. Mit Viktor Yelenskyi war sich Thomas Bremer einig, dass es mit Patriarch Kyrill, dem Oberhaupt der Russischen Orthodoxen Kirche, keine Ökumene mehr geben könne und mit Blick auf das diplomatische Agieren des Vatikans konstatierte Bremer, dass man in Rom offenbar versuche, sich beide Kanäle offen zu halten, sowohl in die Ukraine als auch nach Russland, wichtig sei es aber, eine klare Sprache zu finden.

Die Ukrainerin Oleksandra Kovalenko von der Orthodoxen Kirche der Ukraine spricht auf der Vollversammlung der Konferenz Europäischer Kirchen 2023 in Tallinn
Die Ukrainerin Oleksandra Kovalenko von der Orthodoxen Kirche der Ukraine spricht auf der Vollversammlung der Konferenz Europäischer Kirchen 2023 in Tallinn
© Albin Hillert | CEC

Die Konferenz Europäischer Kirchen (KEK) stellte Katharina Kunter als positives Beispiel für eine stärkere Fokussierung auf die Ukraine heraus. Sie kritisierte, dass der ÖRK der ROK weiterhin zu viel Aufmerksamkeit schenke, während eigentlich die Kirchen in der Ukraine gestärkt werden müssten. Auch die Haltung der finnischen Kirchen, die trotz ihrer engen historisch bedingten Verbindungen nach Russland ihre Kontakte dorthin vollständig abgebrochen haben, wurde von Kunter als alternativer Weg aufgezeigt, der den Kirchen eine große Freiheit eröffne.

Unüberbrückbare Gegensätze bei der Bewertung kirchlicher Diplomatie

Die Diskussion zeigte, dass sich in der Bewertung der kirchlichen Diplomatie angesichts Russlands Kriegs gegen die Ukraine unüberbrückbare Gegensätze gegenüberstehen: Während die einen das Gespräch mit der Kirchenleitung der ROK trotz aller Spannungen aufrechterhalten wollen, halten andere dies grundsätzlich für nicht vertretbar. Trotz signalisierter Lernbereitschaft war eine substantielle Annäherung der Positionen an diesem Abend nicht in Sicht.