Arzneipflanze des Jahres 2021: Myrrhe
Commiphora myrrha (T. Nees) Engl.; (syn. Commiphora molmol (Engl.) Engl. ex Tschirch); Burseraceae (Balsambaumgewächse)
Der „interdisziplinäre Studienkreis Entwicklungsgeschichte der Arzneipflanzenkunde“ an der Universität Würzburg hat mit dem Myrrhenbaum eine wahrhaft altehrwürdige Pflanzenart zur Arzneipflanze des Jahres 2021 gekürt.
I. Botanische Beschreibung
Der Myrrhenbaum (bzw. -strauch) ist in einem Gebiet heimisch, das sich vom Osten Afrikas (NO Kenia, Äthiopien, Dschibuti und Somalia) bis zur Arabischen Halbinsel (inkl. Oman bis zum Jemen) erstreckt. Dort wächst er im offenen Buschland, auf flachen Böden, meist über Sandstein, in Höhenlagen zwischen 250 und 1300 m.
Er wächst entweder als stämmiger, dorniger Strauch oder als kleiner Baum mit kurzem Stamm und knorrigen Ästen, der max. 4 m Höhe erreicht. An Lang– und Kurztrieben bildet er ledrige Fiederblätter aus, die in Größe und Form variabel sind. Die Blattfarbe variiert zwischen gräulich-grün und blau-grün. Die Blattränder sind glatt oder gezähnt und weisen 3 bis 4, nur schwach erkennbare, Blattadern auf.
Der Myrrhenbaum ist diözisch (zweihäusig), d.h. dass es ausschließlich rein weibliche oder rein männliche Myrrhenbäume gibt, dabei reifen die männlichen vor den weiblichen Blüten, diese Eigenschaft nennt man Metagynie. Die gelblich-grünen Blüten sind vierzählig und erscheinen vor der Regenzeit. Die Früchte sind glatte, rötlich-grüne Steinfrüchte, die einzeln oder zu zweit auf einem Stiel stehen. Sie sind eiförmig, abgeflacht und geschnäbelt. Bei der Fruchtreife zerfallen sie in zwei Teile und geben einen einzigen Samen frei, der ein fleischiges, glattes, leuchtend orange gefärbtes Anhängsel besitzt, ein sog. Pseudoarillus.
Die glatte, äußere Borke des Myrrhenbaumes, meist silbrig, weißlich oder bläulich-grau, schält sich in großen, pergamentartigen Stücken ab und gibt den Blick frei auf die grüne, ebenso glatte, untere Borke. Bei Verletzungen dieser unteren Borke, aber auch spontan, sondert der Myrrhenbaum ein flüssiges, kaum duftendes Exsudat ab, aus dem ein hartes, durchscheinendes, gelbliches Gummiharz entsteht.
II. Kulturhistorische Bedeutung
Der Name „Myrrhe“ ist abgeleitet von dem arabischen Wort مر „murr“ bzw. von dem aramäischen Wort ܡܪܝܪܐ „mriro“, beide Begriffe kann man mit „bitter“ übersetzen. Sie gehen auf den bitteren Geschmack des Harzes zurück. Myrrhe wurde schon in der Antike (nicht nur!) als Arzneipflanze genutzt. Bereits vor 3000 Jahren wurde Myrrhe in Ägypten zum Einbalsamieren von Verstorbenen verwendet. Der griechische Schriftsteller Plutarch beschreibt, dass im ägyptischen Isis-Tempel dreimal täglich Rauchopfer gebracht wurden – morgens Weihrauch, mittags Myrrhe und abends ein Gemisch von Räucherwerk, das „Kyphi“ genannt wurde. Außerdem wurde Myrrhe damals als Aphrodisiakum verwendet, Männer und Frauen verwendeten Myrrhe als Parfüm.
Erwähnung der Myrrhe in der Bibel
In der Bibel wird die Myrrhe an sehr vielen Stellen erwähnt (min. 16 Textstellen, Quelle: BibleServer.com)
Im zweiten Buch Mose (Exodus) des Alten Testamentes wird die Myrrhe als ein Bestandteil des heiligen Salböls beschrieben: „Der HERR sprach zu Mose: Nimm dir Balsam von bester Sorte: fünfhundert Schekel erstarrte Tropfenmyrrhe, halb so viel, also zweihundertfünfzig, wohlriechenden Zimt, zweihundertfünfzig Gewürzrohr und fünfhundert Zimtnelken, nach dem Schekelgewicht des Heiligtums, dazu ein Hin Olivenöl, und mach daraus ein heiliges Salböl, eine würzige Salbe, wie sie der Salbenmischer bereitet! Ein heiliges Salböl soll es sein." [2. Mose 30,22-25, Einheitsübersetzung 2016].
Zu dieser interessanten Rezeptur bleibt anzumerken, dass die Zutaten durchaus unterschiedlich übersetzt werden können (vgl. Tabelle 1).
Myrrhe findet auch mehrfach im „Hohelied Salomos“ Erwähnung (2 Beispiele):
- “Ein Beutel Myrrhe ist mir mein Geliebter, der zwischen meinen Brüsten ruht.“ [Hohelied 1:13]
- “Deine Gewächse sind wie ein Lustgarten von Granatäpfeln mit edlen Früchten, Zyperblumen mit Narden, Narde und Safran, Kalmus und Zimt, mit allerlei Bäumen des Weihrauchs, Myrrhen und Aloe mit allen besten Würzen." [Hohelied 4:13-14]
Im Psalm 45 heißt es schließlich "Nach Myrrhe, Aloe und Zimt duften alle deine Kleider. Saiteninstrumente erklingen zu deiner Freude, aus Palästen, verziert mit Elfenbein." [Psalm 45,9]
Auch im Neuen Testament wird Myrrhe erwähnt.
- Die Weisen aus dem Morgenland kommen nach der Geburt Jesu in den Stall nach Bethlehem, „taten ihre Schätze auf und schenkten ihm Gold, Weihrauch und Myrrhe.“ [Mt 2,11].
- Der Evangelist Markus berichtet in seinem Kreuzigungsbericht, dass Jesus direkt vor der Kreuzigung ein Mischtrank gereicht wurde, Jesus diesen aber ablehnte: „Und sie gaben ihm Myrrhe in Wein zu trinken; aber er nahm's nicht.“ [Mk 15,23]
- Nachdem Jesus am Kreuz gestorben war, brachte Nikodemus, ein Ratsherr, eine Mischung von „Myrrhe und Aloe“ mit, um damit den Leib Jesu, nach der Sitte der Juden damals, auf die anschließende Beisetzung vorzubereiten. „Es kam aber auch Nikodemus, der vormals in der Nacht zu Jesus gekommen war, und brachte Myrrhe gemischt mit Aloe, etwa hundert Pfund.“ [Joh 19,39f ] Die genannte Menge (100 Pfund) ist durchaus beachtlich, entspricht sie doch nach heutigem Maßstab ca. 32 kg. Sie diente als verwesungshemmender Duftstoff, mit denen man die Leichentücher tränkte, in die der tote Jesus gehüllt war. Nur Könige wurden sonst so aufwendig beigesetzt [1].
Kräuterbücher und traditionelle Verwendung
Um ca. 60 n.Chr. schrieb Dioskurides seine ´Materia medica´, die für sehr lange Zeit als maßgebliches Werk der damaligen Pharmazie galt. Nach Dioskurides wirkt Myrrhe u.a. gegen chronischen Husten, Seiten- und Brustschmerzen und gegen starken Durchfall, außerdem wandte man Myrrhe bei Heiserkeit und Mundgeruch an, sowie bei Darm-Würmern.
In Europa ´Avicenna´ genannt, war Ibn Sina, ein Arzt und Philosoph aus Afsana in der Nähe von Buchara im heutigen Usbekistan, vielleicht der bedeutendste Arzt des Mittelalters. Er hat sich ganz ausführlich mit Myrrhe auseinandergesetzt und zu ihren wichtigsten Anwendungsgebieten gehörten für ihn die Magenbeschwerden. Nach seinen Untersuchungen besitzt die Myrrhe auch „eine öffnende und lösende Kraft“ bei Blähungen, er wies weiter darauf hin, dass „reine Myrrhe den Magen erweiche und bei Aufblähungen des Magens hilfreich sei“. Außerdem sollte sie „gut für die Haare sein, Narben und Mundgeruch beseitigen, sowie bei Geschwüren und Wunden sehr hilfreich sein“. [2]
Im mittelalterlichen Europa entstand um die Mitte des 12. Jahrhunderts an der Medizinschule von Salerno eines der wichtigsten arzneikundlichen Werke der damaligen Zeit: „Circum instans“. Auch dieses Werk beschäftigt sich mit der Myrrhe (→ Kapitel 152) und legt dabei, ähnlich wie Avicenna, das Hauptaugenmerk auf die Behandlung der Verdauungsorgane. Weitere Einsatzgebiete waren Zahnfleischfäule und Wundbehandlung, inhalierter Rauch sollte das Gehirn stärken und „von unten aufgenommen, reinige Myrrhe die Gebärmutter, fördere die Empfängnisfähigkeit und lege den Stuhlzwang.“ [2]
Hildegard von Bingen, wohl die bekannteste Naturheilkundlerin, hat sich auch ausführlich mit der Myrrhe beschäftigt. Bemerkenswerterweise widmet sie sich in ihrem Buch „Physica“ zunächst der Wirkung von Myrrhe gegen die Zauberei und danach der eigentlichen Heilkunde: „Die Myrrhe hat die unverderbliche Kraft der Erde und duldet daher keine Windbeutelei (= Betrug), sondern verjagt alles Windige, und der Teufel verabscheut sie, weil ihre Natur nicht verderbt werden kann und nie ihre Kraft verliert.“ [2] und: „Den Trugbildern, Zauberei, Anrufung von Dämonen und Kräften verzauberter Kräuter widersteht die Myrrhe, sofern man davon stets etwas bei sich in den Taschen trägt.“ [3] In ihren Ausführungen zur Heilkunde spricht sie von Gelbsucht und Lähmungen, weiter empfiehlt sie z.B., dass: „Wer an Magenschmerzen leidet, die von schädlichen Säften herrühren, soll sich eine Salbe aus Myrrhe, Aloe und Fünffingerkraut mit Honig zubereiten, damit ein Hanftuch bestreichen, dass man sich auf den Bauch bindet.“ [2]
Im Lauf der Zeit sind noch viele Kräuterbücher erschienen, die sich u.a. auch mit Myrrhe als Arzneipflanze beschäftigt haben. Zum Abschluss noch einige Beispiele:
- 1485 erscheint in Mainz das Kräuterbuch „Gart der Gesundheit“, es ist das erste durchgehend bebilderte Kräuterbuch. Über die Myrrhe wird gesagt, dass sie, wenn sie mit Wein eingenommen wird, die Verdauung fördert und den Magen erwärmt. Auch die Empfängnis der Frauen sollte die Myrrhe verbessern und bei Stuhlzwang wirken.
- 1563 erscheint die deutsche Erstauflage des Kräuterbuches von Mattioli, einem italienischen Arzt, der von 1501 – 1577 gelebt hat. Mattioli sagt, dass Myrrhe „von der Größe einer Bohne genommen gegen Husten, schweres Atmen (= Asthma), Seitenschmerzen (= Lungen – oder Rippenfellentzündung), Durchfall und Ruhr helfe. Es nützt auch dem schwachen Magen, der von Blähungen belastet ist und Speisen nicht aufnehmen kann.“ [2]
- „Köhlers Medizinal-Pflanzen“, ein dreibändiges Werk, wurde 1887 in Gera veröffentlicht. Bei den Anwendungen wird der Einsatz von Myrrhe als Stomachikum bei Magenkatarrh und Verdauungsschwäche genannt.
- Gerhard Madaus veröffentlichte 1938 in Leipzig sein „Lehrbuch der biologischen Heilmittel“. Für die Myrrhe weist es „Erkrankungen der Mundhöhle“ als das zeitgenössische Hauptgebiet der Anwendungen aus. Weiter begünstigt Myrrhe die Wundheilung und „werde innerlich als Mittel bei Verschleimungen der Verdauungs – und Respirationsorgane und bei allen Schleimhautkrankheiten gerne gegeben.“ [2]#
Quellen:
[2] https://www.pflanzliche-darmarznei.de