BACKGROUND
" The border environment is diverse. Mountains, deserts, lakes, rivers and valleys form natural barriers to passage. Temperatures ranging from sub-zero along the northern border to the searing heat of the southern border effect illegal entry traffic as well as enforcement efforts.
Illegal entrants crossing through remote, uninhabited expanses of land and sea along the border can find themselves in mortal danger."
- Border Patrol Strategic Plan 1994 and Beyond: National Strategy
Hostile Terrain 94 und das US-mexikanische Grenzregime
„Hostile terrain“ („feindliches Gelände“) – mit diesem Begriff beschreibt die United States Border Patrol die „abgelegenen, unbewohnten Flächen entlang der Grenze“, die Mexiko von den USA trennt und von der Sonora-Wüste umfasst wird. In dem 1994 vorgelegten Border Patrol Strategic Plan wird dieses feindliche Gelände als natürliches und potenziell tödliches Abschreckungsmittel gegen Migrierende instrumentalisiert. Mit dem Ziel, illegalisierte Migration in die USA zu stoppen, wurde die Strategie "prevention through deterrence" ("Prävention durch Abschreckung") entwickelt, welche relativ sichere Migrationsrouten in der Nähe städtischer Grenzübergänge abriegelte. Durch den vermehrten Einsatz von Technologien und der Aufstockung des Kontrollpersonals steigt für die Migrant:innen an diesen Ports die Gefahr, erfasst zu werden.
Undokumentierten Migrierenden bleiben daher nur noch alternative Wege in die USA - und so machen sie sich auf die gefährliche Reise durch das feindliche Terrain der Sonora-Wüste. Die enormen Schwierigkeiten und (oftmals tödlichen) Gefahren, die in der Wüste auf Migrierende lauern, werden von Border Patrol bewusst in Kauf genommen, in der Hoffnung, dass dies letztlich viele Menschen davon abschrecken würde, die Reise überhaupt anzutreten.
Diese Strategie setzt Migrant:innen nicht nur vorsätzlich Gefahren aus, sondern erlaubt den USA auch, ihre Verantwortlichkeit für die Gründe, warum Menschen überhaupt in das Land migrieren, zu ignorieren. Migrierende würden mit der Wanderung durch die Wüste nicht ihr Leben aufs Spiel setzen, wenn sie Hoffnung auf eine sichere und glückliche Zukunft in ihren Heimatländern sähen. Dies sind oft diese Süd- und Zentralamerikanischen Länder, in denen die USA mit ihrer interventionistische Außenpolitik seit den 1960er Jahren demokratische Strukturen und Menschenrechte komplett missachten.
Viele Migrierende nehmen die Reise durch die Borderlands nur in Kauf, weil sie von ihrem Überlebenswillen getrieben werden, der Armut, Gewalt oder Verfolgung in ihren Heimatländern unter allen Umständen zu entfliehen. Deswegen versuchen sie weiterhin als letzten Ausweg, durch die Sonora-Wüste zu migrieren. "Prävention durch Abschreckung" verhindert undokumentierte Migration also nicht, sondern hat sich als eine weitere US-Politik herausgestellt, die von absoluter Verachtung für bestimmte Menschenleben und Menschenrechte geprägt ist. Seit 2000 haben mehr als sechs Millionen Menschen versucht, die Grenze durch die Wüste zu überqueren. Mindestens 3.200 von ihnen sind dabei verstorben, vor allem an Austrocknung und Überhitzung. Trotz des Scheiterns dieser Strategie wird „Prevention through Deterrence“ bis heute an der U.S.-mexikanischen Grenze angewandt.
Das partizipative Kunstinstallationsprojekt "Hostile Terrain 94" möchte die Aufmerksamkeit auf die Folgen und die vielen Opfer dieser grenzpolitischen Strategie der USA lenken. Kernstück des Projekts ist eine Installation aus circa 3.200 "toe tags" (Fußzettel, die zur Identifizierung von verstorbenen Menschen in der Pathologie dienen), die von Freiwilligen handschriftlich ausgefüllt werden, bevor sie auf eine Wandkarte der US-mexikanischen Grenze gepinnt werden. Jeder Fußzettel steht für eine an der Grenze verstorbene Person und wird mit Details über diese Person beschriftet, die anhand ihrer sterblichen Überresten in der Wüste gesammelt werden konnten. Während diese Informationen, die unter anderem Angaben zu Alter, Fundort, und Todesursache enthalten, die verstorbene Person in die Bürokratie des Staatsapparats platzieren, kann der Prozess des Ausfüllens der "toe tags" als eine gemeinschaftsbasierte Praxis des Bezeugens und Gedenkens an das verschwiegene Sterben in der Wüste betrachtet werden. Wenn alle Fußzettel ausgefüllt wurden, kartieren Freiwillige die Borderlands als einen heimgesuchten Raum, indem sie jeden "toe tag" an genau die Stelle pinnen, an der die sterblichen Überreste einer migrierenden Person gefunden wurden.
Initiiert wurde das Projekt durch das Undocumented Migration Project (UMP), einem Non-Profit-Kollektiv für Forschung, Kunst, Didaktik und Medien an der University of California, Los Angeles unter Leitung des Anthropologen Jason de León. Zwischen 2020 und 2021 realisieren es über 150 Organisationen und Institute weltweit in ihren jeweiligen Gemeinden, um eine öffentliche Debatte über Migration, Grenzpolitiken und gemeinsames Erinnern zu entfachen. In Münster wird das Projekt umgesetzt vom Englischen Seminar in Kooperation mit der Zentralen Kustodie der Universität.