Winter School „Social Turn in der Literatur(wissenschaft)?“

Antragsteller: Dominic Büker
Projektbeteiligte: Dominic Büker, Haimo Stiemer, Christian Badura, Lena Hoffmann
Fachbereich, Studienrichtung: Fachbereich 09 Philologie
Projekttitel: Social Turn in der Literatur(wissenschaft)?
Fördersumme: 4600€
Kontakt:  dominic.bueker@uni-muenster.de

Projektbeschreibung: Die interphilologische Winter School „Social Turn in der Literatur(wissenschaft)?“ vom 3. bis zum 5. Dezember 2014 setzte sich das Ziel, einen Dialog zwischen Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchswissenschaftlern verschiedener Philologien zu initiieren, um einerseits die von der literatur- und kulturwissenschaftlichen Forschung nach wie vor ungeklärte Frage nach dem Verhältnis von Literatur und Gesellschaft neu zu stellen und andererseits gesellschaftskritische Tendenzen in der Gegenwartsliteratur zu diskutieren. Ausgangspunkt der Tagung war die Beobachtung, dass der ‚cultural turn‘ und die sogenannte „Hornbrillen-Literatur“ (Florian Kessler) zu einem Verlust des Sozialen in der zeitgenössischen Literatur/wissenschaft geführt haben. Es sollten demnach Möglichkeiten ausgelotet werden, das literaturwissenschaftliche Interesse an sozialgeschichtlichen und literatursoziologischen Fragestellungen zu revitalisieren, um zugleich die These  zu prüfen, dass die zeitgenössische Literatur von einem Desinteresse an sozialen, politischen und ethischen Fragestellungen geprägt sei.

Die internationale Winter School wurde von Promotionsstudierenden der Graduate School ‚Practices of Literature‘ und des Promotionskollegs ‚Literaturtheorie als Theorie der Gesellschaft‘ organisiert und mit Erfolg umgesetzt. Dabei hat das Projekt seine Ziele erreicht und zur Sichtbarkeit der Universität Münster beigetragen. Das hat sich bereits deutlich an den zahlreichen Einsendungen, den Publikationsangeboten und den Reaktionen der Presse gezeigt (vgl. den Artikel „Armutszeugnisse“ in „derFreitag“ vom 21. Januar 2015). Nachwuchswissenschaftlerinnen und Nachwuchwissenschaftler aus Deutschland und dem internationalen Raum (u.a. Ägypten und England) haben Beitragsvorschläge aus den verschiedenen Philologien eingereicht und verdeutlicht, dass die Frage nach einem möglichen ‚social turn‘ in der Literatur/wissenschaft durchaus legitim war. Die achtzehn Beiträge diskutierten aktuelle Tendenzen in der internationalen Literatur und verhandelten neue Perspektiven einer Literaturwissenschaft nach dem ‚Kulturalismus‘, um die Frage nach den sozialen Bedingungen und dem gesellschaftsdiagnostischen Potenzial der Literatur, die in den vergangenen Jahrzehnten zunehmend aus dem Diskurs verdrängt worden ist, neu zu stellen. Das interphilologische Interesse an der Kategorie des ‚Sozialen‘ hat sich dabei nicht zuletzt an den Beiträgen der Keynote-Speaker Elke Brüns, Enno Stahl, Innokentij Kreknin, Guido Graf und Lisette Gebhard gezeigt, die sich den Möglichkeiten eines ‚social turn‘ in der Literatur und Literaturwissenschaft widmeten.

Die präsentierten Beiträge und Keynotes inspirierten zahlreiche und zum Teil kontroverse Diskussionen, die Sprecher und Publikum gleichermaßen involvierten. Die angebotenen Workshops haben den Teilnehmern und Teilnehmerinnen dabei zugleich die Möglichkeit gegeben, die gewonnenen Erkenntnisse näher zu diskutieren. Bemerkenswert ist, dass sich angesichts der verschiedenen Konzepte und Perspektiven der Beiträge doch gemeinsame Bezugspunkte herauskristallisiert haben: die Darstellung der Finanzkrise, der Armut und des Prekären in der Literatur, das Politische in der Popkultur, die Rolle der Literaturkritik und des Feuilletons, die gesellschaftliche Funktion der Literatur und ihr sozialer Elitarismus, die Macht des Buchmarkts und der sozial privilegierten Klassen über die Literaturproduktion sind u.a. regelmäßig diskutiert worden. Dabei ist deutlich geworden, dass die These vom Desinteresse der Autor/innen an sozialen und politischen Sachverhalten kaum haltbar, doch zugleich nicht zu leugnen ist, dass die sozialen, politischen und ökonomischen Bedingungen der Literatur einen ästhetischen Opportunismus forcieren und einen Buchmarkt hervorgebracht haben, der den gesellschaftskritischen Diskurs in der zeitgenössischen Literatur zunehmend marginalisiert. Konsens war, dass die Literaturwissenschaft ihrerseits zwar eine ausgezeichnete historische Disziplin ist, doch nach neue Strategien suchen und neue Positionen einnehmen muss, um einerseits der sozialen Eingebundenheit der Literatur gerecht zu werden und andererseits ihre gesamtgesellschaftliche Relevanz zu behaupten.

Die wissenschaftliche Qualität der Beiträge, die aus den Diskussionen gewonnenen Erkenntnisse und das allgemeine Interesse an einem ‚social turn‘ haben uns ermutigt, einen Tagungsband zu publizieren. Das positive Feedback der Teilnehmerinnen und Teilnehmer, des Publikums und der Forschung insgesamt verdeutlichen zudem, dass eine Fortführung des Projekts durchaus vielversprechend ist und das Fragezeichen im Titel unserer Tagung schon bald der Vergangenheit angehören könnte. Das von der Hans-Böckler-Stiftung geförderte Promotionskolleg „Literaturtheorie als Theorie der Gesellschaft“ plant in diesem Sinne eine internationale Tagung, die an die Ergebnisse der Winter School anschließt, um den Wirkungskreis der von uns eingenommenen Forschungsperspektive zu vergrößern.