
„Heute sind Universalgenies gefragt“
Wer kennt und liebt sie nicht – die gefühlvollen, russische Seele widerspiegelnden Klänge der Titelmusik von „Dr. Schiwago“ oder die aufwühlenden Rhythmen des „Tatort“-Leitmotivs? Ob Zuschauer und Zuhörer im Kino oder im Fernsehen – die meisten nehmen nach wie vor an, dass die einprägsamen Klänge, die sie hören, von einem Orchester erzeugt worden sind. Doch das ist schon seit Jahren nur noch selten der Fall, wie Ulrich Schultheiß, Professor für Musiktheorie an der Musikhochschule Münster, weiß. „Sehr viele Film- und Fernsehproduktionen verwenden keine Orchester mehr, weil es zu teuer ist“, betont der Experte. „Stattdessen kommen virtuelle Instrumente zum Einsatz, die so authentisch klingen wie richtige Instrumente. Jeder kennt sie, aber niemand erkennt sie.“ Im vergangenen Wintersemester hat Ulrich Schultheiß mit dem ungewöhnlichen Forschungsprojekt „Notenbild/Klangbild: Virtuelle Musikinstrumente in der Praxis“ kreative Konzepte zur Verbesserung der Klangergebnisse erarbeitet.
Ulrich Schultheiß, 1956 in Nürnberg geboren, kann auf eine umfangreiche klassische Ausbildung verweisen. Bereits mit vier Jahren erhielt er Instrumentalunterricht, zunächst Klavier und später Cello und Violine. Mit elf Jahren kam er als Jungstudent an das Konservatorium seiner Heimatstadt. Da er weder Solist noch Dirigent werden wollte, entschied er sich mit Anfang 20 für ein Studium der Musikpädagogik in Würzburg, das alle möglichen Disziplinen – wie Dirigieren, Chorleitung, Gesangsunterricht, Klavier und Violine – einschloss. Der Referendarzeit von 1985 bis 1987 – Ulrich Schultheiß ist ausgebildeter Schulmusiker fürs Gymnasium – schloss sich ein komplettes Kompositionsstudium mit Abschluss Diplom und schließlich das Konzertexamen im Fach Komposition an. Von 1989 bis 2002 war er Akademischer Direktor an der Hochschule in Würzburg und bekleidete dort eine Stelle für Musiktheorie, bevor er nach Münster wechselte – wo die heutige Musikhochschule damals noch eine Abteilung der Musikhochschule Detmold war. Heute komponiert der vielfach mit Preisen Ausgezeichnete zeitgenössische Musik, arrangiert Jazz- und Popmusik und schreibt Filmmusiken sowie funktionale Musik.

Hinzu kamen Dozenten im Studiobereich, die die Musik selbst sowie Geräusche, Sprache und Ton des Films zusammenfügen. Danach kamen die Herstellerfirmen an die Reihe, die die virtuellen Instrumente produzieren, darunter „ein paar kleine, feine Unternehmen in Deutschland“. Dabei bestätigte sich: Gute Software-Instrumente kosten richtig Geld; ein Klavier mit 50 Gigabyte Kapazität etwa 500 Euro. Ulrich Schultheiß: „Eine Spitzenfirma bevorzugt authentische Klänge und bietet ein gutes Instrumentarium. Die Frage ist dann immer, ob man auch damit umgehen kann.“
Die letzte befragte Gruppe im Rahmen des Projekts waren Entwickler von Studio-Software und Notationsprogrammen. Das Ergebnis der umfangreichen Recherche, bei der Ulrich Schultheiß sich nicht mit Rock- und Popinstrumenten, sondern ausschließlich mit Orchesterinstrumenten befasste und sich auf den Klang und nicht die Art der Musik konzentrierte, war eindeutig. Die Experten aus allen Bereichen stimmen darin überein, dass Komponisten heutzutage wahre Universalgenies seien und alles können müssen: Noten schreiben, Stimmen erstellen, mit IT- und Studio-Techniken umgehen und vieles andere mehr. „Derzeit gibt es noch zu viele Selfmade-Komponisten, die keine richtige Ausbildung haben“, kritisiert Ulrich Schultheiß, der bereits 150 Stücke komponiert hat. „Wer all das nicht richtig gelernt hat, wird aber selten zu einem vernünftigen Ergebnis kommen.“
Umgekehrt gilt: Virtuelle Instrumente sind für die Ausbildung hervorragend geeignet. Ulrich Schultheiß bildet im Rahmen des Masterstudiengangs derzeit sechs Studenten – drei Deutsche, einen Japaner, einen Kurden und einen Kolumbianer – in Komposition, Arrangement und Instrumentation aus, das Fach heißt „Musik im Kontext“. „Es gibt immer mehr Interesse an Software-Instrumenten“, freut er sich, „und in den jungen Musikern steckt doch viel mehr als das Interesse an nur einem einzigen Instrument.“
Autor: Gerd Felder
Dieser Artikel stammt aus der Universitätszeitung "wissen|leben" Nr. 7, 14. November 2018