"Das Urteil ist der Tod moderner gentechnologischer Verfahren in der Pflanzenzüchtung"
Der Europäische Gerichtshof (EuGH) hat am 25. Juli ein lang erwartetes Urteil zu neuen Verfahren der Pflanzenzucht gefällt: Diese modernen Verfahren, so die Entscheidung der Richter, fallen unter die strenge EU-Gesetzgebung zur Regulierung von gentechnisch veränderten Organismen. Pflanzen, die mit den neuen, „Genom-Editierung“ genannten Verfahren erzeugt wurden, müssen also beispielsweise vor der Zulassung auf ihre Sicherheit geprüft werden, und für derart veränderte Lebensmittel gelten Kennzeichnungspflichten. Über das Urteil sprach Christina Heimken mit Prof. Dr. Dirk Prüfer, Pflanzen-Biotechnologe an der WWU.
Viele Experten hatten erwartet, dass Veränderungen, die im pflanzlichen Erbgut mit neuen Genom-Editierungs-Verfahren wie Crispr/Cas9 erzeugt werden, künftig nicht unter die bisherige Gesetzgebung zur Regulierung von gentechnisch veränderten Organismen fallen würden. Ein Argument: Die so gezüchteten Pflanzen seien von solchen, die auf natürlichem Wege entstehen, nicht unterscheidbar. Stattdessen sagen die EuGH-Richter jetzt: Doch, diese modernen Zuchtverfahren gelten sehr wohl als Gentechnik …
… Das hat mich tatsächlich geschockt. Dieses Urteil hatte ich nicht erwartet, und ich halte die Entscheidung der Richter für falsch. Ich würde gerne die Unterlagen sehen, auf deren Basis die Richter geurteilt haben, um ihre Entscheidung nachvollziehen zu können. Von außen betrachtet sieht es für mich so aus, als sei das Urteil auf der Basis mangelnder Sachkenntnis gefällt worden.
Viele Fachleute sagen, genetische Veränderungen durch neue Verfahren wie Crispr/Cas9 seien „naturidentisch“. Was bedeutet das?
Mit Crispr/Cas9 haben wir Pflanzen-Biotechnologen drei Möglichkeiten. Erstens: Wir können die DNA, also das Erbgut, an einer beliebigen Stelle durch ein Enzym schneiden. Bei der anschließenden Reparatur durch zelleigene molekulare Mechanismen werden ein oder mehrere DNA-Bausteine nach dem Zufallsprinzip ausgetauscht oder gehen verloren. Durch diese Mutationen kann es passieren, dass ein Gen „ausgeschaltet“ wird.
Möglichkeit zwei: Wir tauschen ein Gen der Pflanze aus – und zwar gegen das gleiche Gen, mit dem einzigen Unterschied: Es trägt eine Mutation, die zuvor ganz gezielt im Labor erzeugt wurde und deren Auswirkungen wir kennen. Möglichkeit eins und zwei führen zu Resultaten, die prinzipiell auch in der Natur vorkommen.
Drittens kann man mit Crispr/Cas9 sogenannte transgene Pflanzen erzeugen, also Pflanzen, die ein Gen in sich tragen, das ursprünglich aus einem anderen Organismus stammt. Um diese transgenen Pflanzen ging es in dem heutigen EuGH-Urteil allerdings nicht – diese Differenzierung ist sehr wichtig. Es ging nur um die Mutationen – also um die Veränderungen, die genauso auch in der Natur passieren können. Ein Beispiel sind die zahllosen Kohlsorten, die einst durch Mutationen auf natürlichem Weg entstanden.
In der konventionellen Pflanzenzucht werden radioaktive Strahlung und Chemikalien genutzt, um solche Mutationen zu erzeugen …
... ja, und zwar in der Hoffnung, dass zufällig Pflanzen mit den gewünschten Eigenschaften entstehen. Mit moderner Genom-Editierung könnte man Bestrahlung und Chemie sparen, um genau das Gleiche viel schneller und effizienter zu erreichen. Auch vor diesem Hintergrund ist das EuGH-Urteil nicht nachvollziehbar, zumal in den Pflanzen mit den durch Crispr/Cas9 erzeugten Mutationen – also in den fertigen Produkten – kein fremdes Gen drin ist.
Als Pflanzen-Biotechnologe sind Sie von dem Urteil direkt betroffen. Welche Auswirkungen wird das Urteil auf die Pflanzenforschung in Deutschland haben, auch auf Ihre eigene Forschung?
Es ist auf jeden Fall ein Rückschlag für die angewandte Forschung – man kann sagen, das Urteil ist der Tod moderner gentechnologischer Verfahren in der Pflanzenzüchtung innerhalb der EU. Wir Wissenschaftler hatten uns erhofft, nach dem Urteil grundlegende Erkenntnisse über Gene und ihre Funktionen in die Anwendung umsetzen zu können. Die neuen Verfahren hätten die Pflanzenzüchtung revolutioniert, und sie werden es zumindest außerhalb Europas tun.
Nehmen wir das Beispiel Mehltau. Dieser Pilz ist hierzulande ein riesiges Problem im Getreideanbau, er befällt zum Beispiel Weizen. Die Wahrscheinlichkeit, durch konventionelle Züchtung resistente Pflanzen zu schaffen, ist extrem gering. Mit Crispr/Cas9 dagegen geht das, wie jüngste Forschungsarbeiten aus China eindrucksvoll belegen. Man hätte damit künftig den Einsatz von Fungiziden gegen Mehltau minimieren können. Und es ist ja so: Jeder möchte Nahrungsmittel haben, die möglichst unbehandelt auf dem Teller landen. Dafür muss man aber etwas tun.
Zum Hintergrund:
Auslöser des Verfahrens war eine Klage, die Bauern und Bio-Verbände im Jahr 2016 beim obersten Gericht in Frankreich eingereicht hatten. Sie hatten verlangt, neue gentechnische Verfahren im Sinne der bestehenden Gesetze als Gentechnik zu regulieren. Das französische Gericht hatte die Klage an den Europäischen Gerichtshof weitergereicht, wo die Richter der Klage nun stattgaben.