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Münster (upm)
Prof. Dr. Ivan Berg<address>© WWU/Laura Schenk</address>
Prof. Dr. Ivan Berg
© WWU/Laura Schenk

Schlüsselenzym des Citratzyklus funktioniert auch "rückwärts"

"Science"-Studie widerlegt Lehrbuchwissen: Citratsynthase kann Citrat auch spalten, statt es aufzubauen

Vermutlich kennt fast jeder diesen Stoffwechselweg aus dem Biologieunterricht: den Citratzyklus. Er liefert zahlreichen Organismen durch den Abbau organischer Stoffe Energie und ermöglicht ihnen so das Leben. Organismen von Bakterien bis hin zu Menschen nutzen diesen Reaktionskreislauf und verbrauchen dabei Sauerstoff. Manche Mikroorganismen nutzen den Citratzyklus auch bei Abwesenheit von Sauerstoff, also unter anaeroben Bedingungen – zum Teil sogar in umgekehrter Richtung: Sie bauen Biomasse durch den „reduktiven“ Citratzyklus aus Kohlenstoffdioxid auf. Sie fixieren also anorganischen Kohlenstoff, wie Pflanzen es bei der Fotosynthese tun. Ein Forscherteam um den Biologen Prof. Dr. Ivan Berg von der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster (WWU) hat nun überraschend herausgefunden, dass ein zentrales Enzym des Citratzyklus „vorwärts“ und „rückwärts“ funktioniert. Die Citratsynthase sorgt für den ersten, namensgebenden Schritt im Citratzyklus – den Aufbau von Citrat. Dass dieser Schritt in lebenden Zellen auch umgekehrt funktioniert, galt als undenkbar – bis jetzt.

Die neue Erkenntnis: Bei bestimmten anaeroben Bakterien, die in der Lage sind, anorganischen Kohlenstoff durch den reduktiven Citratzyklus zu fixieren, funktioniert die Citratsynthase rückwärts und spaltet Citrat, statt es aufzubauen. Ihre Ergebnisse stellen die Wissenschaftler aktuell in der Fachzeitschrift „Science“ vor. „Den Studierenden in meiner Vorlesung habe ich noch kurz vor unserer Entdeckung beigebracht, dass die Citratsynthase-Reaktion unter physiologische Bedingungen, also in lebenden Zellen, nur in einer Richtung ablaufen kann“, erinnert sich Ivan Berg, Wissenschaftler am Institut für Molekulare Mikrobiologie und Biotechnologie der WWU. „Unsere neuen Erkenntnisse widerlegen jetzt Lehrbuchwissen, welches seit Jahrzehnten als gesichert galt.“ Neben dem münsterschen Team waren Forscher der Universität Freiburg, der Technischen Universität München (mitverantwortlicher Autor: Prof. Dr. Wolfgang Eisenreich) und vom Technologiezentrum Wasser in Karlsruhe an der Studie beteiligt.

Die neu entdeckte Variante des reduktiven Citratzyklus ist der energetisch günstigste Weg der Kohlenstoff-Fixierung. Im Gegensatz zu den bisher bekannten Varianten wird keine Energie in Form des Energieträgers Adenosintriphosphat (ATP) aufgewendet, um das Citrat in seine Bestandteile Acetyl-CoA und Oxalacetat zu spalten. Das Enzym, welches normalerweise die Citratspaltung im reduktiven Citratzyklus ermöglicht, ist eine sogenannte ATP-abhängige Citratlyase. Dieses Enzym galt als das Schlüsselenzym des „Rückwärts“-Wegs.

Experten bezeichnen Organismen, die sich von vorhandenen organischen Verbindungen ernähren, als „heterotrophe“ Organismen. Jene, die Biomasse mithilfe von Lichtenergie oder chemischer Energie aufbauen, sind „autotroph“. Die neuen Studienergebnisse haben Implikationen für ihre Evolution: „Mit der Möglichkeit, die Enzyme des ‚vorwärts gerichteten‘ oxidativen Citratzyklus auch für einen autotrophen Stoffwechsel zu nutzen, kann sich aus einem heterotrophen sehr einfach ein autotropher Organismus entwickeln“, sagt Ivan Berg. „Unsere Ergebnisse weisen darauf hin, dass sich die Fähigkeit zur Autotrophie in der Evolution mehrmals unabhängig entwickelt hat.“ Viele anaerobe Mikroorganismen haben nach Ansicht der Forscher das Potenzial für eine autotrophe Lebensweise.

Die Entdeckung der Wissenschaftler war ein Zufallsfund. „Bei der Suche nach dem autotrophen Kohlenstoff-Fixierungsweg in dem Bakterium Desulfurella acetivorans haben wir überraschenderweise eine ATP-unabhängige Citratspaltung gesehen“, sagt Erstautor Achim Mall aus der Arbeitsgruppe von Ivan Berg. Per Kernspinresonanzspektroskopie, also einer Untersuchung auf atomarer Ebene, wiesen die Forscher nach, dass die Citratsynthase diese Reaktion ermöglicht.

„Unsere Ergebnisse zeigen, dass unerwartete Entdeckungen auch bei der Untersuchung von besonders gut erforschten Stoffwechselwegen möglich sind. Wahrscheinlich warten in der Stoffwechselbiochemie noch weitere Überraschungen auf uns“, resümiert Ivan Berg.

Das Bakterium Desulfurella acetivorans wurde Ende der 1980er-Jahre in über 50 Grad Celsius heißen Quellen auf der nordostasiatischen Kamtschatka-Halbinsel entdeckt. Es ist ein sogenannter Schwefelatmer, der unter sauerstofffreien Bedingungen lebt. Es kann alternativ heterotroph leben und sich von Acetat ernähren oder autotroph anorganischen Kohlenstoff fixieren.

Die Arbeiten wurden durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft und die Hans-Fischer-Gesellschaft, München, unterstützt.

 

Originalpublikation:

Mall A. et al. (2018): Science  02 Feb 2018: Vol. 359, Issue 6375, pp. 563-567; DOI: 10.1126/science.aao2410

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