Pendler geben Einblick in ihren Alltag
Für viele Arbeitnehmer gehört Pendeln zum Alltag. Was das für die Betroffenen bedeutet und wie Arbeitgeber ihre Beschäftigten unterstützen können, erklärt Prof. Dr. Carmen Binnewies, Psychologin und Expertin für Work-Life-Balance, im Interview mit Juliane Albrecht.
Was weiß man bislang in der Psychologie zu den Auswirkungen des Pendelns?
Insgesamt wird die Pendelzeit ähnlich wie die Arbeitszeit meist als zusätzliche Anforderung und entsprechend belastend erlebt. Dabei kommt es aber nicht nur auf die quantitative Pendelzeit an, sondern wie man das Pendeln qualitativ erlebt. Autofahren wird oft als anstrengender erlebt, als mit öffentlichen Verkehrsmitteln unterwegs zu sein. Zusätzlich spielen unvorhersehbare Ereignisse wie Staus, Zugausfälle oder Verspätungen eine große Rolle. Je planbarer die Pendelzeit ist und je mehr Freiheiten man während des Pendelns hat – beispielsweise die Möglichkeit, im Zug zu arbeiten oder etwas zu lesen – desto weniger belastend wird die Zeit erlebt.
Wie können Pendler für ein gutes Mit- und Nebeneinander von Arbeit, Familie und Pendeln sorgen?
Zum einen kann man überlegen, ob man Stress beim Pendeln minimieren kann: Kann ich außerhalb der Hauptverkehrszeiten pendeln? Lohnt es sich für mich, mit öffentlichen Verkehrsmitteln zu fahren, da mich das Autofahren sehr beansprucht? Allerdings gibt es hier viele externe Einschränkungen, zum Beispiel Arbeitszeitregelungen, Öffnungszeiten von Kitas und Schulen sowie die Verkehrsangebote. Daher ist eine zweite Überlegung, wie man die Pendelzeit positiv gestalten kann und wie man mit Verzögerungen umgeht. Eventuell kann man die Zeit nutzen, um zu arbeiten, was viele Wissenschaftler gern im Zug tun. Damit Verzögerungen eine perfekte Planung nicht kaputt machen, sollte man sich im Vorfeld einen Notfallplan überlegen.
Wie sollten Arbeitgeber auf die speziellen Bedürfnisse von Pendlern eingehen?
Hilfreich sind Möglichkeiten zur Flexibilisierung der Arbeitszeiten und Arbeitsorte, da Berufstätige dann den Pendelstress vermeiden oder abmildern können. Hier bieten Universitäten – vor allem im wissenschaftlichen Bereich – schon sehr viele Möglichkeiten an. Telearbeit wäre eine Option, den Pendelstress komplett zu umgehen. Das ist jedoch nicht in allen Bereichen möglich. Da das Pendeln auch einen Kostenfaktor darstellt, können vergünstigte Jobtickets oder kostenfreie Parkmöglichkeiten ebenfalls eine wichtige Unterstützung seitens des Arbeitgebers darstellen.
Zwei Pendler berichten aus ihrem Alltag
Dr. Nils Bahlo, Studienrat im Hochschuldienst am Germanistischen Institut:
"Bestimmte Arbeitsfelder fordern den Arbeitnehmern ein hohes Maß an Flexibilität ab. In der Wissenschaft ist das schon immer so gewesen und wird eventuell auch immer so sein. Oftmals kommt man erst nach mehreren Stellen an unterschiedlichen Universitäten auf die begehrten Dauerstellen. Bis es soweit ist, bleibt das Leben außerhalb der Universität jedoch nicht stehen: Partnerschaften entstehen, die Partner haben Arbeitsstellen in einer anderen Stadt, eventuell kommen Kinder hinzu und das Pendeln wird plötzlich zur Notwendigkeit.
Aus genau diesen Gründen pendle ich seit sechs Jahren mit dem Zug aus Berlin nach Münster und wieder zurück. Knapp 1000 Kilometer, acht Stunden und eine Menge Ärger bei regelmäßigen Verspätungen begleiten meine Woche. Die psychische und auch körperliche Belastung betrifft jedoch nicht nur mich als Pendler. Meine Frau ist von Montag bis Donnerstag in der Nacht alleinerziehend, mein Sohn fragt häufig nach, wann ich denn nun endlich nach Hause komme.
Dennoch hat das Pendeln auch positive Seiten. Die Zeit in Münster bin ich voll und ganz für die Arbeit da. Im Zug bereite ich den Unterricht vor, lese Abschlussarbeiten, verfasse Artikel. In der vorlesungsfreien Zeit steht die Familie im Vordergrund. Wichtige Termine legen wir mit organisatorischem Geschick in diesen Zeitraum. Planungstalent gehört einfach zum Pendeln dazu. Ohne die Flexibilität des Arbeitgebers würde es jedoch nicht funktionieren. Zumindest an meinem Institut stelle ich sehr dankbar fest, dass der Vereinbarkeit von Familie und Beruf ein hoher Stellenwert beigemessen wird. Kein System ist jedoch so gut, dass es nicht verbessert werden kann: Die WWU könnte bei der Planung der Vorlesungszeit die Schulferien stärker berücksichtigen."
Bernward Schmidt, Juniorprofessor am Seminar für Mittlere und Neuere Kirchengeschichte der Katholisch-Theologischen Fakultät:
"Als Handlungsreisenden in Sachen Wissenschaft bezeichnet mich ein Kollege an der WWU gern. Damit meint er nicht nur Tagungsreisen, sondern auch das Pendeln, in meinem Fall zwischen Münster und Frankfurt am Main. Meine Frau arbeitet dort als Wissenschaftlerin in einem bekannten Museum – und das geht nur vor Ort bei den Bildern. Für mich ist es leichter, auch zu Hause zu arbeiten und für alle in Münster erreichbar zu sein.
Glücklicherweise haben nicht nur die Studierenden, sondern auch Kolleginnen und Kollegen überall bisher mein Pendeln klaglos ertragen, erst recht, wenn es am Dienstort keine "Reibungsverluste" gibt. Es ist wichtig, dass mit dem Ortswechsel die Kommunikation nicht abreißt. Viel erledige ich per Mail und per Telefon, was möglich ist, auch persönlich vor Ort. Damit kommen alle Beteiligten gut zurecht, auch wenn es von manchen Kollegen, die viel Wert auf Präsenz vor Ort legen, eine gewisse Gewöhnung verlangt.
Am Pendeln werde ich aber auch weiterhin nicht vorbeikommen: Die Orte, an denen es zumindest theoretisch Stellen für meine Frau und mich gäbe, lassen sich an weniger als zehn Fingern abzählen – vom Wunschtraum einer unbefristeten Stelle gar nicht zu reden. Wenn wir beide nicht pendeln wollten, müsste eine(r) von uns den Beruf aufgeben; das aber kommt nicht in Frage. Den Preis des Pendelns zahlt allerdings die gesamte Familie mit: Die Ehe braucht besondere Aufmerksamkeit, ein Kind vermisst seinen Papa manchmal sehr ... Das Fahren an sich empfinde ich aber kaum als Belastung: Als Profi-Bahnfahrer weiß ich genau, wie ich mir die Fahrten angenehm und effizient gestalte."
Dieser Artikel stammt aus der Universitätszeitung "wissen|leben" Nr. 1, 25. Januar 2017.