"Die Brücke" – Eine Heimat fern der Heimat
Wenn es einen Ort gibt, an dem internationales Flair an der Universität Münster spür- und erlebbar ist, dann ist es "Die Brücke". Wie keine zweite steht diese Einrichtung mit ihrem "Café Couleur", den vielen Lesungen, Länderabenden und Musikveranstaltungen für ein offenes, herzliches Miteinander von deutschen und ausländischen Studierenden. Bernadette Winter sprach mit dem langjährigen Leiter der Brücke, Joachim Sommer (67), und der aktuellen Leiterin, Dana Jacob (35), darüber, wie sich die Internationalität an der Uni im Laufe der Zeit entwickelt hat.
"Die Brücke" hat eine bewegte Geschichte hinter sich. Herr Sommer, Sie waren über 30 Jahre Leiter der Einrichtung. Wie haben Sie zu Beginn Ihrer Arbeit "Die Brücke" erlebt?
Joachim Sommer: "Die Brücke" war sehr bekannt in Münster. Als Schüler haben wir uns hier englischsprachige Bücher ausgeliehen. Außerdem gaben in der "Brücke" die ersten Jazzgruppen ihre Konzerte, was während des Krieges noch verboten war. Bis Mitte der 60er Jahre hatte "Die Brücke" eher eine soziale Funktion, die Studenten veranstalteten unter anderem Singkreise und Filmabende. Mit dem Schah-Besuch in Deutschland 1967 und der 68er-Bewegung änderte sich das schlagartig. Die Studenten wurden richtig politisiert. Für sie war es wichtig, einen Platz zu haben, an dem sie die Situation in ihren Heimatländern verarbeiten konnten. Für deutsche Studierende war "Die Brücke" immer auch ein Ort, wo sie Internationalität erfahren konnten, ohne selbst ins Ausland zu gehen. Das war ja damals noch längst nicht so üblich wie heutzutage. Die größeren deutschen Gruppierungen hatten damals alle hier ihren Treffpunkt.
An welche Begebenheit erinnern Sie sich besonders gern?
Sommer: Für mich war es immer sehr beeindruckend, dass die ausländischen Studierenden mit ihren unterschiedlichen politischen Hintergründen in der "Brücke" miteinander umgegangen sind als gäbe es diese Hürden nicht. Also etwa Kurden und Türken oder Palästinenser und Juden. Die Palästinenser haben in der Vergangenheit zwar für die Intifada gesammelt, aber wenn sich in der "Brücke" Gäste des Institutums Judaicum, auch aus Israel, trafen, haben die Palästinenser für sie gekocht, weil sie die einzigen waren, die wussten wie und was Juden essen. Das hat mich auch motiviert, von mir selbst viel einzubringen. Ich war hier von morgens bis abends sehr gern, weil es immer so spannend war und wir von den vielen Nationalitäten sehr viel lernen konnten.
Hat sich die Zielsetzung der "Brücke" im Laufe der Jahre verändert?
Dana Jacob: In den letzten zehn Jahren hat sich "Die Brücke" auch zum Beratungsanlaufpunkt entwickelt. Sobald die Studierenden Hilfe brauchen, zum Beispiel bei Behördengängen oder Anträgen, sind wir da. Das gehört mittlerweile allerdings zum normalen Standard jeder Universität. "Die Brücke" war hier Vorreiter, was die Betreuung ausländischer Studierender angeht, inzwischen haben die anderen aber aufgeholt. Außerdem ist das Angebot viel breiter geworden, weil sich mehr studentische und kirchliche Einrichtungen um die Studierenden bemühen. Wir kämpfen schon darum, dass die Studierenden uns wahrnehmen.
Sommer: Ich glaube die Zielsetzung war immer gleich oder ähnlich. Es ging immer um eine soziale Integration und professionelle Beratung ausländischer Studierender. Damals waren allerdings die Studenten selbst und die Studentenvereine sehr viel aktiver. Durch diese Nähe zur Zielgruppe gab es schon sehr früh Betreuungsformate, die an anderen Hochschulen erst sehr viel später angeboten wurden. Zum Beispiel Sprachtandems, Ämterbegleitung, Patenschaften und – in Kooperation mit Partnern der Stadtverwaltung – die gezielte Integration in die Stadtgesellschaft. Seit Ende der neunziger Jahre muss das Team der "Brücke" sehr viel mehr Input geben, mehr organisieren.
Jacob: Der Student von heute hat – so platt das klingen mag – Skype, er hat die Verbindung nach Hause. Wer heute Heimweh hat, setzt sich an seinen Computer. Sie brauchen keinen Ort, an dem sie Heimatgefühle kriegen könnten.
Sommer: Das stimmt. Früher hatte "Die Brücke" ein Alleinstellungsmerkmal, deutschlandweit. Der Welcome-Gedanke war in Münster etwas Besonderes. Auch dafür wurden wir vom DAAD 1999 ausgezeichnet. Heute würde jeder sagen, das ist doch völlig normal. Vom Student aus gesehen, hat sich ja auch einiges verändert. Er kommt nicht mehr hierhin und will eine Heimat in der Fremde finden. Früher war "Die Brücke" Vater und Mutter in einem. Mir hat mal ein Student berichtet, er habe hier in der "Brücke" zum ersten Mal demokratische Wahlen erlebt, das ist ja heute nicht mehr denkbar. Der Student von heute kommt gezielt nach Münster, der weiß, was er will und hat einen Plan im Kopf.
Frau Jacob, welche Pläne gibt es für die Zukunft? Was wollen Sie anders machen als Ihr Vorgänger?
Jacob: Den Grundgedanken, das positive Erleben des Miteinanders, gilt es zu erhalten. Klar ändern sich heute die Rahmenbedingungen noch schneller als früher. Daran müssen wir unsere Beratungen anpassen. Aber es ist mir ganz wichtig, dass das Erbe, die Geschichte, erhalten bleibt. Für die Zukunft wollen wir "Die Brücke" noch mehr in die Studierendenschaft integrieren und auch deutsche Studierende, die sich für internationale Themen interessieren, gezielt ansprechen.
Sie kamen von der TU Dortmund, auch dort gibt es ein internationales Begegnungszentrum. Was ist bei der "Brücke" anders?
Jacob: "Die Brücke" hat eine Geschichte. Hier ist der Raum täglich offen und füllt sich mit Leben. Das Café ist geöffnet, es ist jederzeit für jeden eine internationale Atmosphäre erlebbar, nicht nur bei Veranstaltungen.
Wie läuft die Organisation der verschiedenen Veranstaltungen ab, übernimmt das jede Gruppe selbst und Sie stellen den Ort?
Jacob: Viele der regelmäßigen Treffen organisieren unsere studentischen Mitarbeiter. Hauptziel ist natürlich, dass sich internationale und deutsche Studierende begegnen, kennenlernen und austauschen. Dabei sollte eine möglichst natürliche Integration stattfinden. Wir wollen den defizitären Ansatz umgehen, der davon ausgeht, dass ausländische Studierende ein Problem haben, wenn sie hierher kommen und ihnen geholfen werden muss. Wir wollen einen ungezwungenen Austausch.
Funktioniert denn die Durchmischung von deutschen und internationalen Studierenden in der Praxis oder kommen zum spanischen Abend nur Spanier, die froh sind, wieder einmal ihre Sprache sprechen zu können?
Jacob: Gerade der spanische Abend ist ein Beispiel für eine Veranstaltung, bei der die Durchmischung gut gelingt. Auch der brasilianische Abend, weil sich viele hier in Deutschland für Brasilien interessieren. Es gibt aber auch Veranstaltungen, zu denen die Leute eher kommen, weil es etwas mit ihrem Studium zu tun hat oder wo nur wenige deutsche Studierende anwesend sind. Das ist aber auch nicht schlimm. Die Teilnehmer lernen trotzdem Kommilitonen aus anderen Fächern kennen und unsere studentischen Mitarbeiter, die auch aus aller Herren Länder kommen.
Wie wichtig ist die Internationalisierung hier an der Uni? Wie hat sie sich entwickelt?
Jacob: Auslandsaufenthalte gehören heute zu einem Lebenslauf dazu, daher sind ausländische Studierende für Unis völlig normal. Vielleicht muss das alles wieder ein bisschen spezieller werden, also nicht der Ansatz, aber wir müssen klar machen, dass wir einen Ort haben, der Internationalisierung symbolisiert.
Sommer: Es ist schon etwas Besonderes, dass die Universität einen solchen Ort der Internationalisierung jetzt schon seit fast 60 Jahren fördert. Sie hat immer dahinter gestanden, auch wenn hier über Wochen Hungerstreiks stattfanden und das zu einer Zeit, in der das Thema Internationalität noch nicht so präsent in den Köpfen war.
Hintergrund - "Die Brücke"
"Die Brücke" existiert seit 1946. Damals wurden von den Siegermächten in mehreren deutschen Städten so genannte "Brücken" eingerichtet, um den Deutschen die Demokratie näherzubringen. In Münster gehörte "Die Brücke" bis 1956 zum British Council, dann übernahm sie die Universität und richtete dort ihr Internationales Welcome Centre für ausländische Studierende ein. Die münstersche "Brücke" war die einzige, die von einer Universität übernommen wurde. Seit 1970 sitzt das Team in der Wilmergasse und organisiert unter anderem Themenabende oder Kennenlern-Wochen und hilft den Studierenden bei Anträgen oder Behördengängen. Neben Deutsch, Englisch und Spanisch sprechen die Mitarbeiter Türkisch, Portugiesisch, Polnisch und Vietnamesisch. "Die Brücke" wird von verschiedenen Institutionen, darunter der Deutsche Akademische Austauschdienst, unterstützt.