"Hier stimmt die Chemie – und die Physik"
MÜNSTER/TWENTE. Die Nanotechnologie gilt vielen Experten als Schlüsseltechnologie der Zukunft. Forscher aus dem In- und Ausland arbeiten an den Universitäten in Münster und Twente intensiv mit an dieser Zukunft, viele von ihnen arbeiten eng zusammen. "Ich halte zu etlichen Kollegen in Münster Kontakt", sagt Prof. Klaus Boller, Lehrstuhlinhaber und Leiter der Forschungsgruppe LPNO ("Laser Physics and Nonlinear Optics") an der Uni Twente. Er kooperiert besonders erfolgreich mit seinem Kollegen Prof. Carsten Fallnich aus dem Institut für Angewandte Physik.
Das ist lediglich ein Beispiel für die mustergültige Kooperation in der Nanotechnologie zwischen der Westfälischen Wilhelms-Universität Münster (WWU) und der niederländischen Universität in Enschede. Seit rund zehn Jahren besteht diese für beide Seiten vorteilhafte Zusammenarbeit. Gemeinsame Forschung, gemeinsame Projekte, aber auch gemeinsame Aus- und Fortbildung. "In Münster und Twente funktioniert das sehr gut“, sagt Prof. Cornelia Denz, Direktorin des Institutes für Angewandte Physik der WWU. Sie forscht auf dem Gebiet der optischen Informationsverarbeitung und der Nanobiophotonik. Gerade als Prorektorin für Internationales und wissenschaftlichen Nachwuchs ist sie mehr als zufrieden mit der positiven Entwicklung der "komplementären Forschung", wie sie es nennt. "Hier stimmt die Chemie – auch in der Physik". In Münster stehe die Grundlagenforschung im Vordergrund, die Kolleginnen und Kollegen in den Niederlanden seien stärker anwendungsorientiert.
Gute Verbindungen auf Ebene der beiden beteiligten Städte seien ebenfalls eine wichtige Voraussetzung für die Ansiedlung entsprechender Institute und die produktive Zusammenarbeit, so die Hochschullehrerin. Bürgermeister und die kommunale Wirtschaftsförderung beider Städte zögen an einem Strang.
Materie auf molekularer und atomarer Ebene untersuchen und gezielt verändern zu können, ist ein alter Traum der Naturwissenschaften. In der Nanotechnologie beginnt dieser Traum Realität zu werden.
Diese rasch wachsende Querschnittstechnologie eröffnet neue Möglichkeiten in nahezu allen Technologiebereichen einschließlich der Medizin- und Umwelttechnik. Weitere Anwendungsbeispiele sind Oberflächenveredelung, intelligente nanoskalige Materialien, schnellere Elektronik, Optik, Sensoren und Nanomotoren.
Die Welt der Nanoteilchen spielt sich in Größenordnungen ab, die unvorstellbar klein sind. Ein Nanometer ist eine Million Mal kleiner als ein Millimeter. In dieser Welt dominieren quantenphysikalische Effekte. Diese können völlig anders sein als die Phänomene, die wir aus unserer makroskopischen Welt kennen.
Für Untersuchungen und gezielte Manipulationen nutzen Nanoforscher und Nanoforscherinnen heute spezielle Mikroskope mit atomarer Auflösung, das klassische Lichtmikroskop hat dafür ausgedient. Und sie entwickeln neue Strategien in der Nanophotonik, um Teilchen sichtbar und handhabbar zu machen.
Neue Verfahren und Materialien kommen ständig hinzu. Experten erwarten einen Innovationsschub auf vielen Gebieten: Die Nanophotonik wird optische Pinzetten bereitstellen, mit deren Hilfe eine Vielzahl von Nanopartikeln zielgerichtet angeordnet und gesteuert werden können. Information wird in kleinsten Nanochips übertragen, wobei Licht eine besondere Rolle spielt: In der Nanophotonik zeichnet sich die Entwicklung einer neuartigen optischen Chip-Generation ab, bei der die Datenverarbeitung auf Licht und nicht mehr auf der Elektronik beruht. Das bedeutet einen enormen Zugewinn an Datengeschwindigkeit bei geringstem Energieverbrauch auf kleinstem Raum.
Die Kontakte zwischen Münster und Twente bestehen schon lange"
Die hohe Kooperationsbereitschaft der Nanotechnologen über Grenzen hinweg kann Prof. Harald Fuchs, Direktor des Physikalischen Institutes in Münster, nur bestätigen. Zumal als wissenschaftlicher Leiter des Zentrums für Nanotechnologie (CeNTech), einer außeruniversitären Forschungseinrichtung, an der neben der Kommune und dem Land Nordrhein-Westfalen auch die Universität beteiligt ist. Das Zentrum hat seit seinem Start in 2003 entscheidend dazu beigetragen, die Nanotechnologie als zentralen Bereich in der Forschungslandschaft Münsters und darüber hinaus zu etablieren. "Die Kontakte zwischen Münster und Twente bestehen schon lange – vor allem wegen des dort etablierten Nanotechnologiezentrums MESA+. Wir waren gemeinsam und von Anfang an auf internationale und auch europäische Wissenschaft und Forschung aus."
Speziallabors mit dem nötigen Equipment sowie Räume für Workshops und Meetings werden bewusst auch Gründungswilligen und Start-ups über die Grenzen hinweg geöffnet, damit diese ihre Forschungserkenntnisse per Technologietransfer in marktfähige Produkte umsetzen können. Wichtig ist Fuchs der interdisziplinäre Forschungsansatz: "Ohne die Kooperation zwischen Physik, Chemie, Biologie und Medizin sind viele Fragestellungen heutzutage nicht mehr zu beantworten."
Prof. Willem Vos, Leiter des Clusters "Applied Nanophotonics" und Physiker am MESA+-Institut auf dem Uni-Campus in Twente: "An bestimmten Fragestellungen interessieren uns oft komplementäre Aspekte. Wir wenden dazu aber häufig die gleichen Methoden an wie in Münster, sodass es sich anbietet, die dortigen Instrumente zu nutzen." Der Hochschullehrer arbeitet mit seiner Gruppe an Photonen mit dem Schwerpunkt Informationsübertragung und gemeinsam mit seiner Kollegin Denz an Innovationen mit Licht. Beide betreuen gemeinsam Promovenden, die in ihrer Ausbildung von beiden Einrichtungen profitieren können. Das MESA+ ist weltweit eine der größten Forschungseinrichtungen im Bereich der Nanotechnologie und die größte in den Niederlanden überhaupt. 525 Wissenschaftler betreiben hier Spitzenforschung auf internationalem Niveau.
Die Zusammenarbeit mit Fachkollegen in Münster halten Boller und Vos jedoch für weiter ausbaufähig. "Für gemeinsame Projekte braucht man Fördermittel und die gibt es bisher für eine solche innovative grenzüberschreitende Kooperation – mitten in Europa – leider nicht", kritisiert der niederländische Lichtforscher Vos. Alle früheren Antragsversuche in dieser Richtung seien gescheitert. Stattdessen hätten sie direkte persönliche Kontakte nach Münster aufgebaut – mit dem Schwerpunkt der Nachwuchsförderung. Dennoch hätte Boller "Lust auf einen grenzüberschreitenden Verband von optischen Forscherinnen und Forschern". Daher sein Wunsch für die Zukunft: "Das sollte viel stärker gefördert werden."
Autor: Thomas Krämer