
Immer pünktlich von A nach B
Seit Ende September 2024 forsche ich als Doktorand des Organisch-Chemischen Instituts im japanischen Nagoya – ich nehme am Austauschprogramm des internationalen Graduiertenkollegs Münster-Nagoya teil. Nachdem ich bereits in den USA war, ist dies der zweite Auslandsaufenthalt meiner akademischen Laufbahn. Ich bin sehr froh darüber, erneut die Möglichkeit zu haben, für sechs Monate in einem anderen Land zu leben und viel über eine andere Kultur zu lernen.
Ich bin in einem Wohnheim in der Nähe der Universität eingezogen und habe mich schnell eingelebt. Mein Zimmer ist deutlich kleiner als meine Wohnung in Deutschland, aber diese Reduktion der Wohnfläche ist der japanische Weg, der Hand in Hand mit hoher Bevölkerungsdichte und guter Infrastruktur geht. Es gibt weniger Regeln, wo und wie gebaut werden darf, und urbane Zentren sehen etwas willkürlich aus, was den japanischen Stil in Städten ausmacht.
Von A nach B zu gelangen, ist in Japan dank der guten öffentlichen Verkehrsmittel sehr einfach. Die Busse und Bahnen sind immer pünktlich; ohnehin ist das Leben in Japan dank der guten Erreichbarkeit von Orten ohne Auto sehr komfortabel. Das gilt auch fürs Essen. Überall gibt es „convenience stores“, in denen man sich an 365 Tagen im Jahr rund um die Uhr versorgen kann. Hinzu kommen die allgegenwärtigen Getränkeautomaten.

Ich führe mit quantenchemischen Computerprogrammen Berechnungen an Molekülen durch, um chemische Fragestellungen zu beantworten und die Stärken und Schwächen der verwendeten Modelle besser zu ergründen. In dem Gebäude, in dem ich arbeite, sitzen die Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter verschiedener Arbeitsgruppen und Fächer gemischt, und die Labore im Stockwerk unter den Büros sind durch Wände aus Glas sichtbar. Das soll bei der eher verschlossenen Arbeitskultur in Japan zu Offenheit und Kooperation ermutigen.

Internationale Kooperation und interkultureller Austausch haben aus meiner Sicht unerwartete positive Effekte auf das eigene Leben und auch auf diejenigen, die man im Gastland kennenlernt. Ich nehme meine eigene Kultur mittlerweile anders wahr; ich ordne sie in einen größeren Kontext ein. Vieles, was man vorher für normal hielt und als gegeben annahm, hinterfragt man nun, und man versteht besser, wie man von Menschen anderer Kulturen wahrgenommen wird. Zum Beispiel versuche ich nun, bei Begrüßungen mehr zu lächeln.
Meinen Aufenthalt in Japan genieße ich jeden Tag. Und doch freue ich mich darauf, bald wieder nach Münster zurückzukehren. Mithilfe von Chatprogrammen und der sozialen Medien habe ich die gesamte Zeit über den Kontakt mit meinen Freunden und meiner Familie gehalten – das hat es mir erleichtert, mit dem Leben in der Heimat auch aus der Ferne mitzuhalten.
Dieser Artikel stammt aus der Unizeitung wissen|leben Nr. 2, 2. April 2025.
