![Die Doktorandin in weißem Kittel mit Schutzbrille beugt sich über die Knopfzelle und baut sie zusammen.<address>© Uni MS - Johannes Wulf</address>](http://www.uni-muenster.de/news/data/img/2025/01/web-s78sHAt4-webL.png)
Der Umgang mit Energie entscheidet über unsere Zukunft
Vibrotrucks rollten Ende vergangenen Jahres durch Münster, um mögliche Erdwärme-Standorte zu identifizieren; das sogenannte Heizungsgesetz wird anhaltend kontrovers diskutiert; Russlands Krieg gegen die Ukraine wirkt sich auf die Stromversorgung in Europa aus. Kurzum: Das Thema Energie ist mit seinen vielfältigen Aspekten allgegenwärtig. Und das aus gutem Grund. Der Energiesektor verursacht etwa drei Viertel aller klimaschädlichen Treibhausgase, meldet das Bundesministerium für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (BMZ). Einerseits muss der Kohlendioxid-Ausstoß drastisch sinken, um den Klimawandel buchstäblich nicht weiter anzuheizen, andererseits könnte laut BMZ der weltweite Bedarf an Primärenergie bis zum Jahr 2040 um ein Drittel steigen. „Wie gelingt uns eine klimaneutrale, verlässliche und ressourcenschonende Energiewende? Welche Technologien nutzen wir dazu schon heute, und was erwartet uns?“ fragt die Initiative des Bundesministeriums für Bildung und Forschung unter dem Motto „Zukunftsenergie“. Große Fragen, die in ihrer Wucht und Relevanz an die industrielle Revolution erinnern.
„Die Energiewende steht im Zeichen der Dekarbonisierung, also der Reduktion von Treibhausgasemissionen“, sagt Prof. Dr. Martin Winter vom MEET (Münster Electrochemical Energy Technology) Batterieforschungszentrum, wo Batterien als Speichermedien für erneuerbare Energien entwickelt werden. „Wir brauchen nicht nur eine grüne Energieerzeugung, sondern auch nachhaltige Speicherung. Damit können wir längere Dunkelflauten abdecken, in denen weder die Sonne scheint noch der Wind weht“, betont er. Batterien seien effizienter als Wasserstoffspeicher, die für eine bestimmte Menge dreimal so viele Windkraftwerke bräuchten. Ein interdisziplinäres Team aus der Biologie, den Wirtschafts- und Geisteswissenschaften sowie der Chemie arbeitet außerdem an der Nachhaltigkeit der Materialien, aus denen die Batterien hergestellt werden.
Das ist die eine, die technisch-industrielle Seite der notwendigen energetischen Neuausrichtung. Mindestens ebenso wichtig ist es jedoch, möglichst viele Menschen daran zu beteiligen, um Akzeptanz und Mitwirkung zu werben. Prof. Dr. Antonia Graf, die am Institut für Politikwissenschaft unter anderem zur Partizipation an der Energiewende forscht, kennt die Ausgangslage. „Aktuell stehen nach Angaben der Bundesregierung 90 Prozent der deutschen Bevölkerung der Energiewende positiv gegenüber, aber nur 20 Prozent bewerten die Umsetzung als gut.“ Zentral für die Akzeptanz sei eine verhältnismäßige Belastung – doch was ist verhältnismäßig? „Ärmere Haushalte sind mit Energiekosten proportional viel stärker belastet als Gutverdiener“, gibt die Wissenschaftlerin zu bedenken. Um die Bevölkerung in die Energiewende einzubinden, verabschiedete die nordrhein-westfälische Landesregierung 2023 das Bürgerenergiegesetz. Es sieht eine finanzielle Beteiligung von Gemeinden und ihren Einwohnerinnen und Einwohnern an der Wertschöpfung von neuen Windenergieprojekten vor. „Wenn die Menschen aktiv teilnehmen und profitieren können, sind sie für das Projekt zu begeistern. Mit dem Gesetz geht das Bundesland neue Wege.“
Die Herausforderungen, die ein breiter gesellschaftlicher Wandlungsprozess mit sich bringt, sind jedoch mit einer besonderen Verantwortung verbunden, die eine globale Perspektive erfordert. Der Philosoph Prof. Dr. Michael Quante hat mit seiner gleichnamigen Arbeitsgruppe das Buch „Energieverantwortung“ publiziert. „Jede und jeder Einzelne trägt eine individuelle Verantwortung, sich die Folgen des eigenen Handelns bewusst zu machen und nachhaltig mit Energie umzugehen“, unterstreicht er. Darüber hinaus brauche es ein kollektives Verantwortungsbewusstsein auf institutioneller Ebene, das auch über Staatsgrenzen hinausgehe. Es bedürfe einer Zukunftsethik, die auch soziale und politische Vorgaben berücksichtigt und zu pragmatischen Problemlösungen beiträgt. „Energieverantwortung ist nur ethisch angemessen umgesetzt, wenn die Chancen und Risiken, die damit einhergehen, innerhalb eines Staates und international gerecht verteilt werden“, betont Michael Quante.
Bisher wird Energiepolitik primär auf nationalstaatlicher Ebene verhandelt. Die Spannbreite ist enorm. Einige Schlaglichter: Donald Trump hat angekündigt, in seiner zweiten US-Präsidentschaft die Förderung fossiler Energieträger deutlich auszuweiten. Mit Chris Wright will er einen Konzernchef aus der Öl- und Gasbranche zum Energieminister ernennen, der in einem LinkedIn-Video die Klimakrise leugnet. Gleichzeitig stehen in Bundesstaaten wie Texas, Arizona, Nevada und Florida einige der größten und wirtschaftlich erfolgreichsten Anlagen zur Gewinnung von erneuerbarer Energie. Nach Angaben der Nichtregierungsorganisation „Global Energy Monitor“ baut China einerseits fast doppelt so viele Solar- und Windenergiekapazitäten wie der Rest der Welt zusammen. Das Land ist auf diesem Gebiet Exportweltmeister, setzt aber andererseits auf neue Kohlekraftwerke, um die einheimische Nachfrage abzudecken. Schweden, Norwegen und Dänemark gelten dagegen als Vorreiterstaaten der Energiewende, sodass das Beratungsunternehmen McKinsey von einem „nordischen Silicon Valley der Nachhaltigkeit“ spricht, wobei es gerade traditionelle Unternehmen seien, die die Transformation vorantreiben. Eine Ursache dafür dürfte die bereits in den frühen 1990er-Jahren eingeführte Kohlendioxid-Bepreisung sein. Seit Jahresbeginn werden in Norwegen keine neuen Autos mit Verbrennermotor mehr zugelassen. All dies zeigt: Die Energiewende ist eine vielschichtige Herausforderung – basierend auf individueller sowie institutioneller Verantwortung und garniert mit zig Fort- und etwaigen Rückschritten.
Und in Deutschland? CDU-Kanzlerkandidat Friedrich Merz kündigte jüngst einen „Paradigmenwechsel in der Energiepolitik“ an und stellte sowohl den Ausstieg aus der Atomkraft als auch aus dem Kohleabbau infrage. Die Grünen hingegen verfolgen laut Regierungsprogramm das Ziel, dass bis 2030 80 Prozent des Strombedarfs aus erneuerbaren Energien stammt – aktuell sind es rund 60 Prozent. Welche Weichen werden also bei der Bundestagswahl gestellt, wohin geht der globale Trend? Es bleibt spannend, welche Szenarien sich für die Energie der Zukunft durchsetzen werden.
Autorin: Anke Poppen
Dieser Artikel stammt aus der Unizeitung wissen|leben Nr. 1, 29. Januar 2025.