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Münster (upm/ch).
Jugendliche sitzen um einen Tisch herum und arbeiten an Laptops; von oben fotografiert<address>© stock.adobe.com - Seventyfour</address>
Jugendliche in Deutschland fallen bei computer- und informationsbezogenen Kompetenzen zurück.
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„Wir hängen Schülerinnen und Schüler ab“

Informatiker Jan Vahrenhold über mangelnde Computer- und Informationskompetenz bei Jugendlichen

Die „International Computer and Information Literacy Study“ 2023 (ICILS) beleuchtete die digitalen Kompetenzen von Schülerinnen und Schülern der 8. Jahrgangsstufe. Die jüngst veröffentlichten Ergebnisse zeigen: Deutschland fällt bei computer- und informationsbezogenen Kompetenzen deutlich zurück. Demnach hapert es beispielsweise an der Fähigkeit, digitale Medien zum Recherchieren und Kommunizieren zu nutzen und kritisch einzuordnen. Bei den Informatikkompetenzen, die die Lösung von Problemen durch die Entwicklung geeigneter Algorithmen beinhalten, schneiden deutsche Jugendliche nur mittelmäßig ab. Prof. Dr. Jan Vahrenhold, Mitglied des nationalen ICILS-Konsortiums in Deutschland, beleuchtet im Interview mit Christina Hoppenbrock die Anforderungen an die Schulen, die Fachdidaktik und an die Gesellschaft.

Prof. Dr. Jan Vahrenhold (Brustporträt)<address>© privat</address>
Prof. Dr. Jan Vahrenhold ist Mitglied des nationalen ICILS-Konsortiums in Deutschland
© privat
Die Achtklässlerinnen und Achtklässler in Deutschland liegen im Bereich der computer- und informationsbezogenen Kompetenzen über dem internationalen Mittelwert. Können wir damit zufrieden sein?

Das wäre meiner Ansicht nach zu kurz gedacht. Ja, die absoluten Zahlen liegen über dem Mittelwert. Schaut man aber auf den Trend von ICILS 2013 über ICILS 2018 hin zur aktuellen Studie, so sieht man in jeder Iteration eine statistisch signifikante Verschlechterung der Ergebnisse. Anders formuliert: In Deutschland hat sich die Situation einfach nur weniger verschlechtert als in anderen Ländern. Damit dürfen wir nicht zufrieden sein. In der aktuellen Presse lesen wir fast täglich Nachrichten über Krisen in der produzierenden Industrie und den Wettbewerbsnachteil Europas bei KI-basierten Technologien. Es muss daher unser Ziel sein, im MINT-Bereich deutlich stärker zu werden.

Seit der Pandemie sind die Schulen besser mit digitalen Geräten ausgestattet. Ist damit eine Trendwende eingeleitet?

Leider ist das nicht der Fall. Die Ausstattung mit digitalen Geräten ist eine Voraussetzung für die Nutzung digitaler Medien im Unterricht. Die reinen Zahlen geben aber keine Auskunft darüber, ob und wie diese Geräte genutzt werden. Wir haben hier eine Situation wie bei der Einführung der sogenannten Laptop-Klassen vor über zehn Jahren: Nur dadurch, dass Technik im Klassenzimmer vorhanden ist, wird der Unterricht nicht besser. Lehrkräfte wissen in der Regel sehr gut, welche Methoden für die Vermittlung der Inhalte und Kompetenzen ihres Fachs geeignet sind – aber nicht jede Methode passt zu einem digitalen Medium. Wenn man die Lehrkräfte nun zwingt, überall digitale Medien einzusetzen, kann das dem Unterricht sogar schaden.

Kann der Informatikunterricht die Defizite bei der Nutzung digitaler Geräte ausgleichen?

Nein, es wäre fatal, sich als Lehrkraft darauf zu verlassen, dass die Nutzung digitaler Geräte im Informatikunterricht thematisiert wird. Ganz im Gegenteil werden dort die fachlichen Grundlagen gelegt, fachbezogener Transfer und Anwendung sind aber Aufgabe aller Unterrichtsfächer. Lehrkräfte müssen daher sowohl im Studium als auch im Berufsleben so aus- und weitergebildet werden, dass sie den Einsatz digitaler Medien im eigenen Fach reflektieren und dann fachdidaktisch fundiert umsetzen können. Hier sind auch wir als lehrkräftebildende Universität gefordert.

Schülerinnen und Schüler an Gymnasien erzielten ein höheres Kompetenzniveau als an anderen Schulformen, außerdem spielen Herkunft und soziales Umfeld eine wichtige Rolle. Hängen wir einen großen Teil der Jugendlichen ab?

Für mich ist dies in der Tat der erschreckendste Befund, der leider die Ergebnisse von ICILS 2018 bestätigt: Ja, wir hängen Schülerinnen und Schüler ab. Das alleine ist gesellschaftlich schon unverantwortlich genug, aber in Zeiten des MINT-Fachkräftemangels kommt auch noch die wirtschaftliche Dimension hinzu. Ein Silberstreifen am Horizont ist die neue Gemeinschaftsschulverordnung aus dem Saarland, die kurz nach der Veröffentlichung der ICILS-2023-Ergebnisse angekündigt wurde: Ab dem Schuljahr 2025/26 wird zumindest in diesem Bundesland ein verpflichtender Informatikunterricht in den Klassen 7 bis 10 auch an Gemeinschaftsschulen eingeführt. Ich hoffe, dass andere Bundesländer folgen, und vor allem, dass ebenso viel Energie in die fachliche und fachdidaktische Ausbildung der Lehrkräfte investiert wird, die diesen Unterricht dann erteilen.

 

Dieser Artikel stammt aus der Unizeitung wissen|leben Nr. 8, 11. Dezember 2024.

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