Ein Labor in der Natur
Wer im „Amtsvenn-Hündfelder Moor“ an der deutsch-niederländischen Grenze spazieren geht, kann mitten im europäischen Naturschutzgebiet eine technische Anlage entdecken. Was es damit auf sich hat? „Am besten lässt es sich als ein Labor in der Natur beschreiben“, sagt Prof. Dr. Mana Gharun vom Institut für Landschaftsökologie. Die Juniorprofessorin für „Biosphere-Atmosphere Interaction“ untersucht mit einem sogenannten Langzeit-Eddy-Kovarianz-Messsystem den Austausch von Treibhausgasen zwischen dem Moor und der Atmosphäre. „Wir wissen, dass Moore als Kohlenstoffspeicher eine wichtige Funktion für den Klimaschutz haben. Allerdings existieren in Deutschland kaum noch intakte Moore. Zwar gibt es zahlreiche Projekte, um diese Ökosysteme zu renaturieren, also wieder zu vernässen, aber es liegen kaum Langzeitdaten vor, wie sich der gesamte Prozess der Wiedervernässung von Mooren auf das Klima auswirkt“, erklärt Mana Gharun. Das will die Wissenschaftlerin nun ändern.
Jahrzehntelang wurden Moore entwässert, zum Beispiel für die Land- oder Forstwirtschaft. Nach Angaben des Umweltbundesamtes emittieren entwässerte Moorböden in Deutschland jährlich rund 53 Millionen Tonnen Kohlendioxid-Äquivalente, das entspricht etwa 7,5 Prozent der bundesweiten Treibhausgasemissionen. Über 95 Prozent der heimischen Moore sind heute nicht mehr naturnah, sondern stark verändert. Wie sich die Wiedervernässung des Amtsvenn-Hündfelder Moors auf das Klima auswirkt, untersucht das Team um Mana Gharun seit 2022. Im Rahmen des Promotionsprojekts von Nicolas Behrens, der als Stationsmanager beschäftigt ist, wurde ein vollautomatisches Messsystem installiert. Damit überwacht das Forschungsteam erstmals die Treibhausgasflüsse vor, während und nach der Wiedervernässung – und zwar rund um die Uhr unter realen Bedingungen. Nur so können die Forschenden quantifizierte Aussagen über das Zusammenspiel von Moor-Renaturierung und Auswirkungen auf das Klima machen.
Die Daten treffen im Dauertakt ein, genauer gesagt zehnmal pro Sekunde. Die Messanlage hat kürzlich den Status einer zertifizierten Station des „Integrated Carbon Observation System“ (ICOS) erreicht. Dabei handelt es sich um eine europäische Forschungsinfrastruktur zur langfristigen, präzisen und international vergleichbaren Messung von Treibhausgasen. „Wir können alles bequem im Büro bearbeiten. Die Daten landen direkt auf unserem Server“, sagt die Klimaexpertin. Mithilfe künstlicher Intelligenz führen die Forscherinnen und Forscher die Analysen durch. Bisher konnten sie feststellen, dass das Moor je nach Jahreszeit als Kohlenstoffsenke oder -quelle fungiert und dass diese Zustände von verschiedenen Variablen wie Temperatur und Niederschlag abhängen.
Das Team misst nicht nur Kohlendioxid als wichtiges Treibhausgas, sondern es verfolgt einen umfassenden Ansatz: Neben Lachgas und Methan gehören über 60 weitere Indikatoren wie Boden- und Lufttemperatur, Windgeschwindigkeit und Luftzusammensetzung zum Monitoring. „Das ist vergleichbar mit einer Erkrankung, bei der Ärztinnen und Ärzte sowohl nach der Ursache als auch nach einer geeigneten Therapie suchen. Dazu erheben sie verschiedene Werte wie Blutdruck, Gewicht und Nährstoffgehalt. Mit dem Moor ist es ähnlich: Wir wollen herausfinden, was genau die Gasflüsse und Atmung des Ökosystems verursacht. Jede Messung liefert ein Teil des Puzzles, und zusammen bilden sie die Grundlage für Entscheidungen zur Bewirtschaftung des Moors“, beschreibt Mana Gharun.
Dieser komplexen Aufgabe geht die Arbeitsgruppe von Mana Gharun in Kooperation mit vielen Expertinnen und Experten nach. Im Institut für Landschaftsökologie arbeitet sie eng mit dem Moorexperten Prof. Dr. Holger Knorr und der Fernerkundungsexpertin Prof. Dr. Hanna Meyer zusammen. Auch die biologische Station Zwillbrock im Kreis Borken, die für die Wiedervernässung zuständig ist, trägt ihr Wissen bei.
Mana Gharun ist es ein Anliegen, die Studie in ihre Lehre zu integrieren. Sie möchte vor allem Studentinnen ermutigen, sich auch mit den technischen Details vertraut zu machen. „Viele Frauen sind immer noch zurückhaltend, wenn es um den Aufbau der technischen Infrastruktur in der Feldarbeit geht. Ich ermutige sie, mitzumachen und sich auch in diesem Bereich weiterzubilden“, sagt sie. „Die meisten fangen Feuer und entdecken im Studium eine neue Leidenschaft.“
Das Forschungsteam hofft, mit den Langzeitdaten einen Beitrag zum konkreten Moorschutz zu leisten. Außerdem sollen die neuen Erkenntnisse in klimapolitische Maßnahmen einfließen, um den Ausstoß von Treibhausgasen zu reduzieren und damit die Auswirkungen des Klimawandels abzumildern.
Autorin: Kathrin Kottke
Dieser Artikel stammt aus der Unizeitung wissen|leben Nr. 8, 11. Dezember 2024.