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Münster (upm/anb).
Gemeinsam fällt das Lernen leichter: Im Studium ergeben sich oft neue Freundschaften wie auf diesem Symbolfoto.<address>© Uni MS - Nike Gais</address>
Gemeinsam fällt das Lernen leichter: Im Studium ergeben sich oft neue Freundschaften wie auf diesem Symbolfoto.
© Uni MS - Nike Gais

Gelegenheit macht Freundschaft

Beim „Freundschafts-Speed-Dating“ des AStA zeigt sich der große Wunsch nach Verbundenheit

Die Szenerie

Das unwirtliche Wetter des Tages – Temperaturen nahe dem Gefrierpunkt, Regen satt und der erste Schnee des Jahres – hat Gnade walten lassen und zumindest den Niederschlag gestoppt, sodass die rund 25 Studierenden an diesem Novemberabend sich nur noch mit der Kälte konfrontiert sehen, als sie in zwei Kreisen vor dem Haus des Allgemeinen Studierendenausschusses (AStA) stehen. Meist paarweise unterhalten sich diejenigen des inneren Kreises mit denjenigen des äußeren. Um die ruhige Atmosphäre zu bewahren, unterbricht Jessica Aufderheide sie alle paar Minuten mithilfe eines Leuchtsignals per Fahrradlicht und gibt als Anregung eine neue Frage in die Runde, etwa „Frühaufsteher oder Nachteule?“. Zusätzlich fordert sie dazu auf, dass sich der äußere Kreis um eine Person nach links dreht, damit sich zwei neue Gesichter gegenüberstehen. Dieses Rotationsprinzip zur Ermöglichung zahlreichen Austauschs gibt es seit Ende der 1990er-Jahre und heißt „Speed-Dating“. Das findet hier statt, doch geht es nicht um Partnerschaftssuche, sondern um Freundschaftsfindung – auf Einladung von Jessica Aufderheide und Annalisa Biehl, Beauftragte für Gesundheit beim AStA.

Um das Kennenlernen von Gleichgesinnten zu ermöglichen, lud der AStA kürzlich alle Studierenden zum Speed-Dating ein. Spätestens im Sommersemester soll es wegen der großen Nachfrage eine Neuauflage geben.<address>© Uni MS - André Bednarz</address>
Um das Kennenlernen von Gleichgesinnten zu ermöglichen, lud der AStA kürzlich alle Studierenden zum Speed-Dating ein. Spätestens im Sommersemester soll es wegen der großen Nachfrage eine Neuauflage geben.
© Uni MS - André Bednarz
Doch warum stehen die Teilnehmerinnen und Teilnehmer ausgerechnet an einem so kalten Abend draußen? Die Antwort: ein unvorhergesehen großes Interesse am „Freundschafts-Speed-Dating“. „Wir wussten nicht, ob drei oder 20 Leute kommen würden, aber dass es so viele werden würden, hätten wir nicht gedacht“, erklärt Jessica Aufderheide. 70 bis 80 Studierende sind dem Aufruf per Instagram und Newsletter gefolgt, die Gruppe draußen ist nur ein Teil, im L-förmigen Flur des Hauses und dem eigentlich vorgesehenen Raum geht es weiter. Es wirkt wie eine WG-Party, die sich etwas zu gut herumgesprochen hat. Dicht an dicht stehen und sitzen die Studierenden, mitunter auf dem Boden, unterhalten sich, spielen „Uno“, bemalen Stoffbeutel und Mandalas.

Die Motive

Wenngleich sich Freundschaften nicht planen und beschließen lassen, so bietet vor allem das Studium die Möglichkeit, eine Vielzahl von Bekanntschaften zu schließen“, erklärt der Soziologe Prof. Dr. Matthias Grundmann, „aus denen sich Freundschaften entwickeln können.“ Viele (ehemalige) Studierende werden das kennen, was der münstersche Experte für die Soziologie sozialer Beziehung formuliert. Doch auch an einem so lebendigen und offenen Ort wie der Uni Münster gibt es Hürden, wenn es ums Kennenlernen geht. „Ich bin hier, um Leute außerhalb meines Studiengangs zu treffen“, erklärt die 20-jährige Daniela, die mit ihrer Studienfreundin Leah gekommen ist. Martin schildert, dass er zu Beginn seines Masterstudiums festgestellt habe, wie sich die geringere Anzahl an Seminaren und Kursen, die fehlende Anwesenheitspflicht und die individuellen Stundenpläne auf das Kennenlernen anderer Studierender ausgewirkt hätten. Für Nico, Chemiestudent im 9. Semester, sei auch die Fachkultur herausfordernd. „Chemie ist ein einsames Studium.“ So seien die Hörsäle meistens leer, da viele seiner Kommilitoninnen und Kommilitonen das Selbststudium vorzögen, ferner gebe es eine hohe Abbrecherquote. Die Organisatorinnen Annalisa Biehl und Jessica Aufderheide nehmen ähnliche Aspekte wahr, die das Kennenlernen erschweren oder auch verändert hätten, beispielsweise die fortschreitende Digitalisierung, die Coronapandemie oder die dezentrale Struktur der Uni mit weit verstreuten Fachbereichen und Instituten.

Darüber hinaus gibt es persönliche Herausforderungen, so bei der 19-jährigen Kateryna, die sich selbst als etwas introvertiert und unsicher beschreibt, weshalb es sie einige Überwindung koste, auf Menschen zuzugehen. Die Lehramtsstudentin Clara sagt, dass sie vor einem Jahr, als Erstsemester, „den Zeitpunkt verpasst“ habe, viele Leute kennenzulernen. Nach der Orientierungswoche seien dann viele Gruppen und Freundeskreise schon ausgebildet gewesen und ein Dazukommen schwierig. Auffällig an diesem Abend ist auch, dass einige auf ihren Smartphones Zugverbindungen heraussuchen, so Lilly, die eine Stunde pro Weg zur Uni pendelt.

Die Chancen

Dass an diesem Abend so viele Interessierte gekommen sind, zeige den Wunsch nach sozialen Kontakten, meint Annalisa Biehl. Die Nachfrage ist also da, das Angebot ebenfalls und so speeddaten die Teilnehmerinnen und Teilnehmer auf freundschaftlicher Basis, was das Zeug hält. Für Matthias Grundmann „ergeben sich Freundschaften durch Übereinstimmungen beziehungsweise Anknüpfungspunkte an die persönlichen und soziokulturellen Erfahrungen“ zweier Personen. Genau danach suchen die Anwesenden, wenn sie sich gegenseitig klassisch nach Namen, Alter, Studienfach, Wohnort und -art fragen und mehr und mehr Unterhaltungsfäden spinnen. Über zwei Stunden machen die jungen Menschen, die in Herkunft und Studienfach so vielfältig erscheinen wie die Uni selbst, Bekanntschaften mit ihresgleichen. Viele tauschen Handynummern aus, man folgt einander auf Instagram oder vereinbart die erste Verabredung für die Mensa – in der Hoffnung, neue Freundinnen und Freunde zu finden. Laut Matthias Grundmann liegt der Nutzen von Freundschaften „in relativ verlässlichen und uneigennützigen Sozialbeziehungen, die Halt im Leben geben“. Oder wie Jessica Aufderheide es ausdrückt: „Es kann nie schaden, mehr nette Leute kennenzulernen.“

Autor: André Bednarz

Dieser Artikel stammt aus der Unizeitung wissen|leben Nr. 8, 11. Dezember 2024.

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