Sonderbare Normalität
„Hiermit erkläre ich die Sitzung für beendet.“ Es ist 21.48 Uhr, als Parlamentspräsident Soenke Janssen die fünfte Sitzung des 67. Studierendenparlaments der Universität Münster an einem Oktoberabend beschließt. Die Tagesordnung war zwar noch nicht vollständig abgearbeitet, die Mitglieder des „Stupa“ hätten noch mehr zu bereden und abzustimmen gehabt, doch das Ende war erreicht – gesetzt vom Hausmeister des Hörsaalgebäudes an der Johannisstraße. Ohne nennenswerte Pause hatten die Mitglieder – von den 31 gewählten waren etwa 27 anwesend, aber durch Nachzügler und solche, die früher aufbrachen, war es nicht ganz leicht, den Überblick zu behalten – ihr Recht auf Selbstverwaltung und parlamentarische Arbeit verrichtet.
213 Minuten ging das so, nachdem die Sitzung um 18.15 Uhr eröffnet worden war. Allerdings nicht von Soenke Janssen, sondern von seiner Kollegin Lisa-Nicole Bücker (beide „CampusGrün“). Sie war zu Beginn der Zusammenkunft noch Präsidentin, erklärte dann aber ihren Rücktritt, um als stellvertretende AStA-Vorsitzende zu kandidieren und schließlich gewählt zu werden. Dieser Umstand brachte Soenke Janssen dazu, erneut für das Präsidentenamt zu kandidieren, nachdem er dieses bereits in der vergangenen Legislaturperiode innehatte.
Zwar hat das „Stupa“ keinen eigenen Plenarsaal und muss mit einem Hörsaal Vorlieb nehmen, doch vieles von dem, was man sieht und hört, erinnert an Sitzungen des deutschen Bundestags oder anderer Parlamente. Zum einen die Anordnung der Listen und ihrer Mitglieder: Von vorne betrachtet, befinden sich die „Juso-Hochschulgruppe“ und „CampusGrün“ links im Saal, rechts sitzen „Die LISTE“ und der „RCDS“. Die Mitglieder der „Sozialistischen Liste“ waren nicht anwesend. Zum anderen macht das „Stupa“ das, was andere Parlamente ebenfalls machen: eine Tagesordnung abarbeiten, Berichte vortragen, über Anträge entscheiden, befragen und abstimmen – an diesem Abend vor allem Ämter neu besetzen. Und auch zum „Stupa“ gehört der mitunter konfrontative Austausch von Ideen, Meinungen und Fragen.
Eine durchaus herausragende Rolle spielten an diesem Abend die beiden Mitglieder von „Die LISTE“. Einerseits nahmen sie ihre Rolle als engagierte Opposition ernst und löcherten die Vertreterinnen und Vertreter der Koalition aus „CampusGrün“ und „Juso-HSG“ mit Fragen. Der „RCDS“ hielt sich auffallend zurück, seine Mitglieder waren oft mit Handy oder Laptop beschäftigt, wobei auch Mitglieder anderer Listen sich die Zeit vertrieben, beispielsweise mit Stricken. Ebenfalls Bilder, die man von Bundestagssitzungen kennt. Andererseits stellten die Repräsentanten der „LISTE“ einige sehr kuriose Fragen – was die Mitglieder der Koalition sichtlich nervte und frustrierte.
Beispiel: Was ist die Wurzel aus 3.136 (gerichtet an einen Bewerber für das Finanzreferat)? Wie legen Sie die kulturelle Grammatik nach Roland Barthes aus? Welcher Fraktion des Jugoslawienkriegs fühlen Sie sich am nächsten (gerichtet an ein Juso-Mitglied)? Einem Mitglied wird durch eine Frage tätlicher Angriff auf eine Person unterstellt, was für Empörung und Ratlosigkeit sorgte – gemeint war das Ganze wohl als Witz und Wortspiel, eine Referenz auf Homers „Odyssee“ ohne tatsächlichen Bezug zum betreffenden „Stupa“-Mitglied.
Diese Vorgehensweise der „LISTE“-Mitglieder, die der hochschulpolitische Arm der gemeinhin als Satirepartei „Die PARTEI“ bezeichneten Bewegung um den EU-Abgeordneten Martin Sonneborn ist, kam vor allem bei der Koalition nicht gut an, die teilweise schimpfte und protestierte und mehrmals Anträge auf das Ende der Redeliste einreichte. Das wiederum brachte „Die LISTE“ auf, sah sie sich in ihren parlamentarischen Rechten eingeschränkt, weshalb sie wieder und wieder, „aus Prinzip“ eine namentliche Abstimmung über die Anträge verlangte. All das sorgte für eine angespannte Stimmung und trug dazu bei, dass nicht alle Tagesordnungspunkte bearbeitet werden konnten.
Gleichzeitig sorgte „Die LISTE“ dafür, dass die Bewerberinnen und Bewerber und auch der AStA-Vorsitz inhaltlich Stellung beziehen mussten. Etwa zu Ablauf und Kosten der Unterbringung von Erstsemestern in einer Sporthalle des Hochschulsports; zur Verzögerung bei der Kooperation mit dem SC Preußen Münster im Rahmen des Kultursemestertickets; zu den tatsächlichen Kosten der vom AStA angebotenen Sprachkurse; zur Einbeziehung der Opposition und der Transparenz von Abläufen in „Stupa“ und AStA.
Welcher Eindruck bleibt von dieser abendlichen Sitzung? Vielleicht der, dass im Studierendenparlament viele junge Menschen zusammenkommen, die sich für sich und die Interessen der Studierendenschaft einsetzen. Die ihre demokratischen Rechte und Pflichten ausleben und unter Wahrung parlamentarischer Grundsätze zusammenarbeiten – wenngleich es nicht immer Einigkeit über die gewählten Mittel und die besprochenen Inhalte gab. Damit war die Sitzung sonderbar und normal zugleich.
Autor: André Bednarz
Das Studierendenparlament
Das Studierendenparlament trägt als eines von mehreren Organen dem Hochschulgesetz NRW Rechnung, das den Studierenden einer Hochschule Selbstverwaltung garantiert. Das „Stupa“ ist das höchste beschlussfähige Organ der Studierendenschaft. Die Studierenden der Universität Münster wählen ihr Parlament jährlich im Juni. Es besteht aus 31 Mitgliedern, die einer der hochschulpolitischen Gruppen, sogenannten Listen, angehören und in einer Kombination aus Verhältnis- und Personenwahl gewählt werden. Aktuell sind im „Stupa“ der Universität Münster folgende Listen, die in der öffentlichen Politik Parteien heißen, vertreten: „CampusGrün“, der „Ring Christlich-Demokratischer Studenten“ (RCDS), „Juso-HSG“, „Die sozialistische Liste“ und „Die LISTE“. Das „Stupa“ der Universität Münster wurde 1958 eingerichtet und wählt als Legislative den AStA-Vorsitz, der wiederum das Exekutivorgan der Studierendenschaft ist.
Dieser Artikel ist Teil einer Themenseite über studentische Hochschulpolitik und stammt aus der Unizeitung wissen|leben Nr. 7, 6. November 2024.
Links zu dieser Meldung
- Die Website des Studierendenparlaments
- Die November-Ausgabe der Unizeitung als PDF
- Alle Ausgaben der Unizeitung auf einen Blick
- Weiterer Beitrag der Themenseite „Studentische Hochschulpolitik“: Interview mit den AStA-Vorsitzenden
- Weiterer Beitrag der Themenseite „Studentische Hochschulpolitik“: Zwei Gastbeiträge zur Senats- und Fachschaftsarbeit