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Münster (upm/bhe).
Das „Theater en face“ wurde im Jahr 2000 von der Regisseurin Xenia Multmeier zusammen mit Schauspielenden der freien Szene gegründet. Im Jahr 2005 inszenierte das Ensemble ein Stück über das Leben und Werk von Andy Warhol.© Sarah Koska
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Vorhang auf für eine „famose Lokalität“!

Generationen von Studierenden haben in der Studiobühne das Theaterspiel und freies Sprechen erlernt

Am Anfang stand die Beschäftigung mit einer großen deutschen Komödie. Im Dezember 1949 brachten Studierende und Germanistikprofessoren eine viel beachtete Inszenierung von Christian Dietrich Grabbes „Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung“ auf die improvisierte Bühne der damaligen Mensa am Aasee. Seitdem haben Generationen von Studierenden hier erste Bühnenerfahrungen gesammelt und sich auf den späteren Einsatz im Beruf, vor allem in der Schule, vorbereitet. Ein pulsierender Kulturort der Universität feiert somit in diesem Jahr sein 75-jähriges Bestehen: die Studiobühne.

Die Rezitationsabende („Stunde des Worts“) und Inszenierungen kamen so gut an, dass die Studiobühne 1961 am Domplatz 23 ein eigenes Dach über den Kopf erhielt. Der 2024 verstorbene Germanist Dr. Klaus Haberkamm, in den 90er-Jahren kommissarischer Leiter der Studiobühne, erinnerte sich in einem Rückblick an eine „famose Lokalität“, deren seinerzeit moderne Ausstattung mit einer Unterbühne und einem versteckten Verbindungsgang zum Zuschauerraum eine flexible Dramaturgie möglich machte. Der preisgekrönte Umbau des Philosophikums 2018 umfasste auch eine Modernisierung der Studiobühne am gleichen Standort. Was brachten die Studierenden seit der Gründung der Kult(ur)-Einrichtung in mehreren, teilweise ebenfalls seit Jahrzehnten bestehenden Theatergruppen, hier nicht alles auf die Bühne – Klassiker wie William Shakespeares „Sommernachtstraum“, Kriminalkomödien, eigene Texte und die gesamte Bandbreite an Lyrik, oft in Eigenregie ausgewählt und zusammengestellt.

Wichtiges Standbein der Studiobühne war und ist die Ausbildung von Germanistikstudierenden. „Wir haben mit zwei Hilfskräften und fünf Lehraufträgen begonnen“, berichtet Dr. Ortwin Lämke, der das Lektorat für Sprecherziehung, heute Centrum für Rhetorik, Kommunikation und Theaterpraxis, seit 1999 leitet. „Mittlerweile bieten sieben wissenschaftliche Mitarbeiter und 20 Lehrbeauftragte jedes Semester bis zu 60 Lehrveranstaltungen an.“ Hauptsächlich nutzen angehende Deutschlehrerinnen und -lehrer die Gelegenheit, an ihrer Stimme und ihrem Auftreten vor anderen Menschen zu feilen. Aber auch Studierende anderer Fächer besuchen die Kurse im Rahmen der „Allgemeinen Studien“.

„Es ist immer ein schöner Moment, wenn den Studierenden klar wird, dass es ihr Kurs ist und sie sich gegenseitig stärken“, erläutert Ortwin Lämke das Konzept seiner Lehrveranstaltung „Referieren, Vortragen, Darstellen“. Zum Ende des Semesters halten alle Studierenden jeweils eine fünfminütige freie Rede zu einem selbstgewählten Thema. „Dabei habe ich schon erlebt, dass in einer Sitzung jemand die Zuhörer davon überzeugen wollte, künftig beim Radfahren regelmäßig einen Helm zu tragen. Prompt berichteten zwei andere Teilnehmer in der Woche darauf, dass sie genau das seitdem machen.“ Andere Kurse umfassen neben Dichtungssprechen auch Podcast- und Hörspielproduktion, kurz: „Wir vermitteln praktische Kompetenzen, sich Texte zu erarbeiten.“

Manche wachsen auf der universitätseigenen Bühne regelrecht über sich hinaus. „Ein Teilnehmer konnte zu Beginn beim Sprechen kaum Blickkontakt halten. Wie sollte der jemals vor eine Schulklasse treten?“, fragte sich Ortwin Lämke seinerzeit. Aber das Lehrangebot der Studiobühne sei eben auch dafür da, den Perspektivwechsel vom Schüler zur Lehrperson einzuüben. Der erwähnte Student habe mit der Zeit schließlich sogar Rollen bei Theateraufführungen übernommen, freiwillig und mit Erfolg. Andere würden anfangs zu leise sprechen, auch das könne man sich später beim Unterricht vor einer lebhaften Klasse schwer vorstellen. „Schüler merken solche Schwächen sofort“, unterstreicht Ortwin Lämke. „Man kann aber gut daran arbeiten.“ Für solche Fälle bietet das Centrum auch Stimmsprechstunden an.

Die Absolventinnen und Absolventen der Studiobühne gehen jedoch nicht nur in den Schuldienst. Viele bleiben dem Theater als Profis, Amateure und Besucher treu. Manche der bisherigen Alumni wechselten zum Fernsehen oder gründeten eigene, teils preisgekrönte Ensembles wie das Jugendtheater „Cactus“. Die Verbundenheit zur Studiobühne blieb. 1994 lud die Bühne zu einer Wiederaufnahme von „Scherz, Satire, Ironie und tiefere Bedeutung“ ein – ähnlich umjubelt wie die erste Inszenierung aus Gründungszeiten.

Mit den angrenzenden Museen der Universität ist die Studiobühne Teil des Transfer-Konzepts der Universität.
Ortwin Lämke

„Die Studiobühne ist wahrscheinlich einer der meistgebuchten Räume der Universität“, ist Ortwin Lämke überzeugt. „Tagsüber findet hier Lehre statt, auch in der vorlesungsfreien Zeit. Bis 23 Uhr proben unsere fünf Theatergruppen.“ Hinzu kommen Tagungen, Antrittsvorlesungen, Lesungen, Podiumsdiskussionen, Ausstellungen und Preisverleihungen. Mit den angrenzenden Museen der Universität ist die Studiobühne Teil des Transfer-Konzepts der Universität. Hier begegnen sich Wissenschaft und Öffentlichkeit. „Wenn der Bühnenboden gepflegt wird, kann drei Tage lang nichts anderes stattfinden. Das muss ich ein Jahr vorher in den Kalender eintragen.“

Apropos Termin vormerken: Ab dem 3. November lädt die Studiobühne alle Interessierten zu einer öffentlichen Festwoche ein. Zu sehen und zu hören sind unter anderem Werke von Kurt Tucholsky, ein True-Crime-Städterätsel, der Film „Gesichter der Studiobühne“ und der internationale Rezitationswettbewerb „Erich Kästner“.

Autorin: Brigitte Heeke

 

FESTWOCHE:

Das Team der Studiobühne hat zum 75-jährigen Jubiläum eine Festwoche organisiert. Vom 3. bis 10. November erwartet die Gäste eine große Vielfalt von mehr als 20 Theaterstücken, Filmvorführungen, Erzählkunst, Hörspielen und Konzerten. Eröffnet werden die Feierlichkeiten am Montag, 4. November, um 19 Uhr von Prorektor Prof. Dr. Michael Quante, Dekan Prof. Dr. Eric Achermann und Prof. Dr. Katerina Stathi. Anschließend folgt um 20 Uhr das Solostück nach Nadine Kegele „Bei Schlechtwetter bleiben Eidechsen zu Hause“.

Auszüge aus dem Programm:

  • 3. November, 18 Uhr: „Schöne Fremde, K.I.“, Theater en face
  • 6. November, 20 Uhr: „Mario und der Zauberer“ nach Thomas Mann, Theater en face & Marion Bertling
  • 6. November, 22 Uhr: Gesichter der Studiobühne – ein Film von Dennis Kail und Simon Richard
  • 7. November, 19 Uhr: Von der Studiobühne in die Film-, Fernseh- und Theaterwelt. Ein Podiumsgespräch. Moderation: Dr. Elisa Franz
  • 8. November, ab 18 Uhr: Lange Nacht der Studiobühne mit vier Inszenierungen
  • 9. November: Internationaler Rezitationswettbewerb „Erich Kästner“, öffentlicher Abend ab 20 Uhr (mit Publikumspreis)
  • 10. November, 20 Uhr: Momos Fußstapfen, Konzert mit Michael Mond

Das gesamte Programm ist online einsehbar. Eine Kartenreservierung ist per E-Mail an rhetorik@uni-muenster.de möglich.

Dieser Artikel stammt aus der Unizeitung wissen|leben Nr. 6, 2. Oktober 2024.

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