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Münster (upm).
Blick in und auf die Studiobühne<address>© Uni MS - Nike Gais</address>
Blick in und auf die Studiobühne
© Uni MS - Nike Gais

Stimmenfang

Ein Dramolett von Christoph Tiemann

Erster Akt. Zweite Szene. Studiobühne am Domplatz. Eine Dozentin sitzt auf der Bühnenkante und ordnet Unterlagen. Ein Student tritt auf.

 

STUDENT: (schlurft ohne jede Form von Körperhaltung heran) Hallo.

DOZENTIN: (ohne von ihren Unterlagen aufzusehen) Guten Tag.

STUDENT: Ich such’ das Centrum für ... Moment. (blickt auf einen Zettel) Ach ja: für Kommunikation und Theaterpraxis.

DOZENTIN: (ergänzt) ... und Rhetorik.

STUDENT: Äh ja. Das suche ich.

DOZENTIN: (legt die Unterlagen mit einem Seufzer beiseite) Glückwunsch. Sie haben es soeben gefunden.

STUDENT: Hier? Aber das ist doch eine ... Bühne.

DOZENTIN: Natürlich ist das eine Bühne. Dachten Sie, Theaterpraxis bekämen Sie in einem Hörsaal?

STUDENT: Ach so, ja. Also, ich studier’ Lehramt und ich soll hier so’n Retorikseminar (sic!) machen. (Pause) Oder so ...

DOZENTIN: (zieht die Augenbraue hoch) Sie haben ein „h“ vergessen.

STUDENT: (irritiert) Bitte was?

DOZENTIN: Ein „h“. Es heißt Rhetorik.

STUDENT: Ach so, ja klar, ’tschuldigung, Rhetorik, mein’ ich ja. (stutzt) Moment mal, woher wussten Sie, dass ich das „h“ vergessen hab? Das hört man ja nicht.

DOZENTIN: Wir hören hier alles.

STUDENT: Ich dachte, hier geht es ums richtige Sprechen.

DOZENTIN: Richtiges Sprechen fängt mit richtigem Hören an.

STUDENT: Ach so. Also gibt’s hier dieses Rhetorikseminar?

DOZENTIN: Ja, das gibt es. Es kann aber sein, dass Sie ein Semester warten müssen.

STUDENT: (enttäuscht) Oh ...

DOZENTIN: Sie können in der Zwischenzeit ja schon mal an Ihrer Körperhaltung arbeiten.

STUDENT: (blickt an sich herab, hebt leicht die Arme) Was ist denn mit meiner Körperhaltung?

DOZENTIN: Na, Körperhaltung trägt Sprechhaltung! Das kann ja nichts werden, wenn Sie so steh’n wie’n nasser Sack.

STUDENT: (wiederholt murmelnd) ... wenn Sie so steh’n wie’n nasser Sack. (überlegt) Hey, das ist ja ein vierhebiger Jambus. War das Zufall oder ...

DOZENTIN: (legt die Unterlagen zur Seite, blickt den Studenten intensiv an, ein plötzliches Leuchten in den Augen) Das haben Sie richtig erkannt. (steht auf)

STUDENT: Ich hatte Deutsch-LK ...

DOZENTIN: (umkreist den Studenten) Am Ausdruck müssen wir noch arbeiten.

STUDENT: ... und ich hab’ in der Schule viel Theater gespielt.

DOZENTIN: (betrachtet den Studenten genauer) Sie interessieren sich also für die darstellenden Künste. Das ist gut, sehr gut.

STUDENT: Was ist denn jetzt mit den Rhetorikseminaren? In der Studienordnung steht ...

DOZENTIN: (wegwischend) Ach, vergessen Sie doch einmal die Studienordnung!

STUDENT: Die Studienordnung vergessen?

DOZENTIN: Es gibt doch noch so viel mehr im studentischen Leben als Studienordnungen.

STUDENT: Was denn?

DOZENTIN: Na, was Sie wollen! Rezitation, Improvisation, Theater, Lesungen, Gesang!

STUDENT: Und wo finde ich das?

DOZENTIN: (weist mit großer Geste auf die Bühne hinter sich) Hier! Das sind die Bretter, die die Welt bedeuten!

STUDENT: Sieht eher wie PVC aus.

DOZENTIN: (überhört seinen Einwand) Wenn Sie sich für das gesprochene Wort begeistern können, dann sind Sie hier genau richtig. Wir suchen gerade noch Leute für einen Rezitationsabend. Kennen Sie Ernst Jandl?

STUDENT: jandl? woso die gedichte so klingen wie dinge klingen?

DOZENTIN: Reicht für den Anfang. Wir treffen uns immer dienstags. Schön, dass Sie dabei sind!

Student geht verwirrt, aber inspiriert ab.

 

Christoph Tiemann<address>© Jan Hering</address>
Christoph Tiemann
© Jan Hering
Christoph Tiemann hat als Student Seminare am Centrum für Rhetorik besucht und an Theaterprojekten (etwa bei „Theater en face“) auf der Studiobühne mitgewirkt. Seine Erfahrungen hat er mit ins Berufsleben genommen: Er ist Autor von Hörspielen und Theaterstücken, Radiomoderator, Schauspieler und Sprecher. Am 5. November (22 Uhr) kehrt er mit seinem eigenen Ensemble „Theater ExLibris“ auf die Studiobühne zurück und präsentiert „Frankenstein“ als Live-Hörspiel.

Dieser Artikel stammt aus der Unizeitung wissen|leben Nr. 6, 2. Oktober 2024.

 

FESTWOCHE:

Das Team der Studiobühne hat zum 75-jährigen Jubiläum eine Festwoche organisiert. Vom 3. bis 10. November erwartet die Gäste eine große Vielfalt von mehr als 20 Theaterstücken, Filmvorführungen, Erzählkunst, Hörspielen und Konzerten. Das gesamte Programm ist online einsehbar. Eine Kartenreservierung ist per E-Mail an rhetorik@uni-muenster.de möglich.

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