Mehr Wechsel – mehr Siege
Gemessen an der Zahl der Aktiven, ist Fußball der populärste Sport der Welt; auch in Deutschland ist er König. Mehrere Millionen Menschen verfolgen jede Woche die Spiele der deutschen Vereine, sie pilgern durch die gesamte Republik ihren Clubs hinterher, kaum ein Stammtisch kommt ohne das Thema Fußball aus. Entsprechend aufmerksam verfolgen die Fans die Auswirkungen jeder Art von Neuerung, etwa die Einführung des „Video Assist Centers“, gemeinhin auch „Kölner Keller“ genannt. Eine Regelanpassung der jüngeren Vergangenheit ist der Coronapandemie entsprungen: Seit dem Frühjahr 2020 dürfen Mannschaften der Fußball-Bundesliga fünf statt drei Auswechslungen in der regulären Spielzeit vornehmen. Wissenschaftler der Universität Münster haben es mittlerweile schwarz auf weiß: In einer Studie kamen sie zu dem Ergebnis, dass die Trainer diese Option intensiv nutzen und dass vor allem die Heimmannschaften von mehr Auswechslungen profitieren.
Für ihre Untersuchung haben Dr. Lars Vischer und Prof. Dr. Alexander Dilger vom Institut für Organisationsökonomik zahlreiche Spiele aus sechs Spielzeiten der 1. Fußball-Bundesliga von der Saison 2017/18 bis zur Saison 2022/23 miteinander verglichen: 836 Spiele mit drei Wechselmöglichkeiten im Vergleich zu 1.000 Begegnungen mit fünf Wechselmöglichkeiten. Dabei haben sie sich angeschaut, wann und wie häufig die Mannschaften gewechselt haben und wie sich das auf Variablen wie Sieg, Heimsieg und Tordifferenz ausgewirkt hat. Der Beitrag „Effects of the Rule Change from three to five Substitutions in the Bundesliga“ wird im Herbst in der Fachzeitschrift „International Journal of Sport Finance“ veröffentlicht.
Das Kernergebnis der Studie lautet: „Die Trainer nehmen tatsächlich mehr Auswechslungen vor, wenn mehr Auswechslungen erlaubt sind. Die letzte Auswechslung nehmen sie später im Spiel vor, und vor allem die Heimmannschaft wird von mehr Auswechslungen begünstigt“, erklärt Lars Vischer.
Dass er und Alexander Dilger derart unterschiedliches Auswechselverhalten vergleichend analysieren konnten, war der Unterbrechung des Spielbetriebs in der Saison 2019/20 geschuldet. Aufgrund der Coronapandemie fanden im Frühjahr 2020 mehrere Wochen lang keine Bundesligaspiele statt. Als die Saison fortgesetzt wurde, räumten die Regelmacher den Mannschaften die Möglichkeit ein, fünf Wechsel vorzunehmen, da bis zum Saisonende mehr Spiele in kürzerer Zeit absolviert werden mussten. Dies führte zu einer höheren Belastung der Spieler, weshalb einem erhöhten Verletzungsrisiko vorgebeugt werden sollte. Inzwischen wurde die befristete Maßnahme zu einer dauerhaften Regel.
Eine interessante Beobachtung der münsterschen Autoren ist, dass der eigentlich zu beobachtende Heimvorteil einer Mannschaft seit der Regeländerung durch die erhöhten Wechselmöglichkeiten (des Gegners) gefährdet wird und abnimmt – nämlich dann, wenn die Heimmannschaft statistisch gesehen weniger als 4,32 Wechsel pro Spiel vornimmt. Wechselt sie allerdings mindestens 4,32 Mal oder nutzt gar die fünf erlaubten Wechsel, dann steigen die Siegchancen der Heimmannschaft wieder an. Denn durchschnittlich führt laut Alexander Dilger die Regeländerung zwar zunächst zu 0,85 weniger Toren der Heimmannschaft, jeder eigene Wechsel jedoch zu 0,32 zusätzlichen Toren. Der positive Einfluss auf das Ergebnis hänge damit zusammen, dass der Trainer dem Spiel mehr Impulse geben und besser auf Änderungen und Ausfälle reagieren könne. Außerdem habe die Leistung der Einwechselspieler einen positiven Einfluss auf das Spiel – gerade beim Heimteam.
„Trotz dieser Befunde stellen wir fest, dass das Spiel, gemessen an klassischen Leistungsvariablen wie Toren und Torabschlüssen, durch mehr Wechsel nicht attraktiver, also offensiver geworden ist“, unterstreicht Lars Vischer. Mit Blick auf die Auswärtsmannschaften stellen die Autoren fest, dass sie weniger stark von mehr Auswechslungen profitieren. „Empirisch sind die Auswirkungen für beide Mannschaften nicht gleich und symmetrisch“, konstatiert Alexander Dilger. Die bald veröffentlichte Studie soll den Ausgangspunkt für tiefergehende Analysen bilden, in denen Auswechslungen in Verbindung mit der Erfahrung des Trainers, bestimmten Spielsituationen oder Eigenschaften der Wechselspieler gebracht werden.
Übrigens: Anders als etwa die Handspielregel, die inzwischen fast jede Saison angepasst wird und fortwährend für Diskussionen sorgt, blieben Spielerwechsel lange Zeit unberührt im Regelwerk. Erst Ende der 1960er-Jahre wurde in der deutschen Fußball-Bundesliga überhaupt die Möglichkeit geschaffen, einen Spieler auszuwechseln. Später waren es zwei, ab Mitte der 90er konnten drei positionsunabhängige Wechsel pro Mannschaft vorgenommen werden.
Autor: André Bednarz
Dieser Artikel stammt aus der Unizeitung wissen|leben Nr. 6, 2. Oktober 2024.