|
Münster (upm/anb).
In der Gehörbildungsprüfung spielt Tim Sandkämper den Bewerberinnen und Bewerbern Tonfolgen am Klavier vor. Die Prüflinge müssen das Gehörte zu Papier bringen.<address>© Uni MS - Johannes Wulf</address>
In der Gehörbildungsprüfung spielt Tim Sandkämper den Bewerberinnen und Bewerbern Tonfolgen am Klavier vor. Die Prüflinge müssen das Gehörte zu Papier bringen.
© Uni MS - Johannes Wulf

Hier spielt die Musik

Hunderte Studienbewerber nehmen an den Eignungsprüfungen der Musikhochschule teil – eine Reportage

Der Ludgeriplatz – an kaum einem Ort in Münster geht es trubeliger zu. Hier, rund 200 Meter Luftlinie vom Hauptbahnhof entfernt, treffen alltäglich Hunderte Autos, Passanten, Radfahrer aufeinander und versuchen gleichzeitig, sich bestmöglich aus dem Weg zu gehen. Im Haus Nummer 1 an der Ecke zur Schorlemerstraße geht es in diesen Tagen nach Pfingsten ähnlich lebendig zu, es ist ein Zentrum voller Dynamik und Klänge. In nur wenigen Tagen strömen knapp 500 Musiktalente in die Musikhochschule, um ihr künstlerisches Können unter Beweis zu stellen. Es sind spezielle, herausfordernde und stressige Tage für sie – es ist die Zeit der Eignungsprüfungen. Die Bewerber eint das Ziel: Sie wollen im kommenden Semester Musik an der Universität Münster studieren.

Bis es so weit ist, müssen die Bewerberinnen und Bewerber einige Hürden nehmen, um einen der 80 bis 100 Studienplätze zu ergattern. Für diejenigen, die sich um einen Bachelorstudienplatz in der Klassik bewerben, beginnt der Tag morgens im Konzertsaal. Etwa 60 Personen, hauptsächlich aus den Instrumentalfächern Klavier und Violine, finden sich heute im Saal ein, um zunächst die Theorieprüfung abzulegen. Eine Dreiviertelstunde lang übertragen und bearbeiten sie Noten und Schlüssel, bestimmen und bilden Intervalle, analysieren Akkorde und Tonarten. Alles auf dem Blatt, zu hören ist nichts.

Lebhafter und geräuschvoller wird es nach einer kurzen Pause. Die Gehörbildungsprüfung steht an. Tim Sandkämper leitet die Bewerber an, spielt ihnen vom Band oder vom Flügel Melodien und Akkorde vor. „Die Prüfung garantiert, dass später ein Arbeiten auf hohem Niveau möglich ist“, erklärt der Dozent für Gehörbildung und Musiktheorie. Die Bewerber sind gefordert, das Gehörte in Notenform auf Papier niederzuschreiben, Rhythmen zu vervollständigen oder Melodien und Akkordtypen zu erkennen. Auffällig ist, dass die Prüflinge bei jeder neuen Tonabfolge wippen, nicken, mit den Händen dirigieren und sich somit körperlich vergegenwärtigen, was sie hören. Anschließend notieren und radieren sie, notieren erneut – sie sind der Lösung auf der Spur.

Während die Prüflinge der Klassik gemeinsam im Konzertsaal sitzen, finden sich in einem anderen Raum nacheinander die Bewerber der Popabteilung bei Krystoffer Dreps, Dozent für Gehörbildung und Musiktheorie, und Rob Maas, Professor für Keyboards und Musicproduction, ein. In Einzelprüfungen werden auch sie in Musiktheorie und Gehörbildung getestet. „Wir möchten erkennen, dass sich die Prüflinge mit den Grundlagen der Musiktheorie beschäftigt haben“, betont Krystoffer Dreps. Eine Bewerberin hat dazu eine Sequenz des Poplieds „Shallow“ von Lady Gaga und Bradley Cooper aus dem Film „A Star is Born“ gehört und muss dazu anschließend Fragen beantworten. Im Prüfungsraum setzt sich Krystoffer Dreps ans Klavier, spielt einzelne Passagen erneut vor, fragt nach, um welchen Akkord es sich handelt, wie die Melodie oder der Rhythmus aufgebaut sind. Die Geprüfte antwortet souverän und glänzt sogar am Ende: Im Teil „Kreieren“ begleitet sie Lady Gaga mit Zweitstimme. Bestanden! Die Bewerberin ist damit zur Gesangsprüfung zugelassen. Sie bedankt sich, auch für die nette Atmosphäre. Und die ist wahrlich besonders: Die Bewerber und Dozenten duzen sich, gehen sehr entspannt, wohlwollend und höflich miteinander um.

Um kurz vor elf Uhr wird es noch lebendiger, mit den Hauptfachprüfungen steht das Herzstück des Tages bevor. Dabei stellen die Bewerberinnen und Bewerber ihr Können am Instrument – oder gesanglich – unter Beweis. Die Prüflinge bewegen sich durch die Gänge der Musikhochschule, viele tragen einen Instrumentenkoffer, suchen ihren Prüfungsraum. Dabei zeigt sich die Internationalität dieses Fachbereichs: Neben Deutsch sind Chinesisch, Koreanisch, Japanisch und Spanisch zu hören. Viele der Prüflinge sind extra für die Prüfungen aus ihren Heimatländern angereist.

Nur wenige Minuten haben die Prüflinge in den praktischen Prüfungen Zeit, um ihr Können unter Beweis zu stellen.<address>© Uni MS - Johannes Wulf</address>
Nur wenige Minuten haben die Prüflinge in den praktischen Prüfungen Zeit, um ihr Können unter Beweis zu stellen.
© Uni MS - Johannes Wulf
Bevor es in den Prüfungsraum geht, haben die Bewerber die Möglichkeit, sich in Probenräumen einzuspielen beziehungsweise einzusingen. Anschließend ist es so weit: Die Kandidaten treten nacheinander vor die dreiköpfige Prüfungskommission ihres jeweiligen Fachs. So prüfen etwa Prof. Koh Gabriel Kameda, Prof. Tomoko Akasaka und Prof. Giovanni Guzzo in den Fächern Violine und Viola. Die Bewerber haben vorab aus der Anforderungsordnung Stücke ausgewählt, die sie präsentieren wollen. Eine Korrepetitorin begleitet sie bei einigen Stücken am Klavier. Nur wenige Minuten haben die Prüflinge Zeit, sich vor der Kommission zu präsentieren und zu überzeugen. Oft geht es schnell. „Danke, das reicht schon“, sagt ein Kommissionsmitglied in diesen Fällen. Die Jury bewertet das Gehör der Bewerber genauso wie die Kreativität und deren technische Fähigkeiten. Außerdem berücksichtigen sie den Lebenslauf – darin liegt die Besonderheit des Musikstudiums. Denn anders als in den meisten anderen Fächern bringen die Bewerber jahrelange Erfahrung in der Beherrschung ihres künstlerischen Hauptfachs mit. Anders wäre es nicht möglich, das für die Prüfung und den Studienbeginn erforderliche Niveau zu erfüllen.

Der Tag ist noch jung, die ersten Prüfungen absolviert. Vor allem für die Prüfer wird es noch ein langer Tag. Mehrere Dutzend Bewerber wollen in jedem Hauptfach geprüft werden. So freundlich die Atmosphäre auch sein mag, es ist ein anstrengendes Geschäft. Nur etwa jeder Zehnte, der sich um einen Studienplatz beworben hat, erhält eine Zusage. Bis 22 Uhr bleibt es betriebsam, erst danach enden die praktischen Prüfungen – am nächsten Tag geht es weiter.

Autor: André Bednarz

Dieser Artikel stammt aus der Unizeitung wissen|leben Nr. 4, 12. Juni 2024.

 

 

Links zu dieser Meldung