Mit Memes gegen die eigenen Traditionen
Mit Worten zu beschreiben, was auf einem Instagramprofil geschieht, ist ein schwieriges Unterfangen, die Übersetzung von Bild in Text bleibt naturgemäß unvollständig. Aber sie an dieser Stelle trotzdem vorzunehmen, ist nötig, um Dr. Ali Ghandour und seine Arbeit als Theologe und Islamwissenschaftler am Zentrum für Islamische Theologie (ZIT) der Universität Münster zu verstehen. Mehr als 5.200 Follower hat der Experte für muslimische Normenlehre, in dessen Profilbeschreibung es heißt: „Education through humor, memes and much more.“
Der Großteil der von ihm erstellten Beiträge sind umfassende Erklärungen und Einordnungen – samt Quellenangaben – zu muslimischen Themen. Ist Musik im Islam „haram“, also verboten? Dürfen Nichtmuslime und Muslime heiraten? Welche Positionen zu Abtreibungen gibt es im muslimischen Recht? Auf diese Fragen gibt er umfassend Antworten oder ermöglicht zumindest eine erste Beschäftigung mit den komplexen Themen. Zwischen diesen fundierten Beiträgen postet Ali Ghandour selbsterstellte Memes, also humoristische und satirische Beiträge, die oft gesellschaftskritisch sind. So hat er jüngst eine Video-Text-Montage geteilt, in der es um die rechtsextremen Aussagen der Sylt-Touristen und den dahinterliegenden Rassismus geht. In einem anderen Meme nimmt er konvertierte deutsche Muslime aufs Korn, die anderen Muslimen erklären wollen, wie sie im Westen leben sollen. Hinter dieser Mischung steckt eine Strategie. „Mit den Memes möchte ich den Instagram-Algorithmus ansprechen und so die Leute auf meinen Kanal locken. Sind sie einmal da, kann ich ihnen auch die ernsthaften Beiträge zeigen“, erklärt Ali Ghandour.
Der 40-jährige Wissenschaftler hat schon als Jugendlicher das Internet zur Aufklärungsarbeit genutzt. Angefangen hat er 2005 mit Freunden, indem er in Foren gegen Salafisten anschrieb. „Wir waren die Einzigen, die online etwas dagegen gemacht haben“, erzählt er. Die Politik und muslimische Gemeinden hätten die Gefahr damals zunächst ignoriert. Später nutzte Ali Ghandour YouTube und Facebook für sein Engagement gegen Islamismus und Rechtsextremismus. Auf „X“, ehemals Twitter, ist er nicht vertreten, da er dort nicht die richtigen Leute erreiche. Denn er möchte vor allem junge Menschen ansprechen – solche, die noch nicht vollständig radikalisiert sind; solche, die verwirrt sind und Orientierung suchen; solche, die offen für neue Ideen sind. Zu seinen Followern gehören Muslime, darunter Konservative, Liberale, Mystiker, Feministinnen, Antifeministen, Homophobe, LGBTQ-Personen, aber auch Christen, Pfarrer, Juden, Politiker. Ein breites Spektrum also, nicht jeder aus diesen Gruppen steht Ali Ghandour wohlwollend gegenüber. „Ich liebe es, die Schocktherapie anzuwenden und die Leute mit Ideen zu konfrontieren“, erklärt der in Köln lebende Wissenschaftler. Ihnen allen will er vermitteln, dass man nicht immer alles so ernst nehmen solle, vor allem die Religion nicht.
Ali Ghandours Arbeit auf Instagram zeigt, dass er Traditionen und alte Annahmen aufbrechen und aufklären möchte. Dazu hat er sich intensiv mit dem Islam beschäftigt. Nachdem er mit 18 Jahren aus seiner marokkanischen Heimatstadt Casablanca nach Deutschland gekommen war, studierte er in Leipzig Politikwissenschaft und Arabistik. Früh spezialisierte er sich auf Islamwissenschaft. Außerhalb der Universität beschäftigte er sich unter anderem mit der klassischen muslimischen Theologie bei Gelehrten. „Mir ist es wichtig, sehr gute Kenntnisse in der eigenen Tradition zu haben, denn nur so kann ich fundiert kritisieren und dekonstruieren“, betont Ali Ghandour. Diesen Anspruch möchte der Theologe bei einem seiner Forschungsschwerpunkte einlösen, Sexualität und Erotik im Islam. Dazu hat er im Beck-Verlag 2019 eine Monographie herausgegeben, derzeit arbeitet er an einem Buch zur muslimischen Sexualmoral. Darin greift er aktuelle Fragen und Perspektiven der Theologie und anderer Disziplinen mit dem Ziel auf, eine progressive und sexpositive Sexualmoral zu formulieren. Wichtig ist ihm dabei, das Thema nicht vom Koran aus zu denken. „Aus Respekt vor dem Text lasse ich ihn in Ruhe und wende nicht, wie es so häufig in meinem Fach der Fall ist, meine vorgefertigten Ideen auf diesen alten Text an“, unterstreicht er. Ihm sei es wichtig, eine Theologie jenseits des Textes zu ermöglichen und darauf hinzuweisen, dass es sich bei dem Koran nicht um einen universellen und transzendentalen Text handele, sondern um einen, den man in seinem historischen Kontext verorten solle.
Zu diesem aufklärerischen und modernen Ansatz passt Ali Ghandours Treiben in den sozialen Medien, in denen er Traditionen aufbricht und neue Ideen zulässt – auch auf die Gefahr hin, sich selbst gegenüber unbequem zu werden. „Mein Glaube, verbunden mit meiner Kindheit, Erziehung und manchen Traumata, wird zu meinem wissenschaftlichen Untersuchungsgegenstand. Dekonstruiere ich ihn, so dekonstruiere ich mich selbst. Das kann schmerzhaft sein“, erklärt Ali Ghandour. Aufhören wird er damit aber nicht. Weder am ZIT noch auf Instagram.
Autor: André Bednarz
Dieser Artikel stammt aus der Unizeitung wissen|leben Nr. 4, 12. Juni 2024.