![Alles begann im Hörsaal S 10 des münsterschen Schlosses: Hier hatten Karl-Heinz Fox, Gerd Möller, Friedrich Münstedt, Dr. Karl-Adolf Höwel, Jürgen Kordt und Gotthard Eichstädt (v. l.) sowie Ulrich Hartmann (verhindert) und Horst Kliempt (verstorben) ihre erste Mathematik-Vorlesung.<address>© Uni MS - Peter Leßmann</address>](http://www.uni-muenster.de/news/data/img/2024/06/14093-jL5gqgQt-webL.jpg)
Acht Freunde fürs Leben
Die Tafel hängt immer noch im S 10. Genau wie im Sommersemester 1964, als 300 Studienfänger, darunter eine Handvoll Frauen, ihre ersten Mathematik-Vorlesungen in diesem Hörsaal hoch unter dem Schlossdach besuchten. Acht von ihnen kämpften sich nicht nur gemeinsam durch ihr anspruchsvolles Studium, sie schlossen zudem eine Freundschaft fürs Leben. Heute treffen sie sich erneut; im Schloss, im vertrauten S 10, in dem es neben der bewährten Tafel natürlich längst auch digitale Präsentationstechnik gibt.
Für ihr Treffen hatten sie sich genau diesen Ort gewünscht, denn er ist für sie untrennbar mit der Erinnerung an ihre Vorlesungen verbunden. Horst, der Jüngste, ist im vergangenen Jahr leider verstorben, Uli ist verhindert. Aber Gotthard, Karl-Adolf, Karl-Heinz, Friedrich, Gerd und Jürgen, allesamt Kinder der Kriegsjahre 1943 bis 1945, die sich im Laufe des ersten Semesters auf unterschiedlichen Wegen kennenlernten, haben sich auf den Weg nach Münster gemacht. Seit ihrem Studium treffen sich die Freunde, die mit ihren Familien inzwischen über Deutschland verstreut leben, mindestens einmal im Jahr in wechselnden Städten.
Friedrich Münstedt erinnert sich noch gut an den Tag seiner ersten Vorlesung im Jahr 1964. „Jürgen, wie nahezu alle Studenten mit Sakko und Krawatte, fragte mich morgens vor dem Schloss: ‚Kann es sein, dass ich Sie kenne? Sie waren auch auf dem Fichte-Gymnasium in Hagen, oder?‘“ Damals war es unter Studierenden üblich, sich zu siezen.
Fünf Diplom-Mathematiker, drei Lehramtskandidaten: Alle acht fanden nach ihrem Studium schnell einen Job. Mathematiker fehlten an den Schulen, und in der Industrie waren sie ebenfalls gefragt, auch mangels ausgebildeter Informatiker. Die Einführung dieses Studiums begann zu der Zeit erst an wenigen Hochschulen.
Das Mathematikstudium, erinnern sich die Freunde, sei gerade zu Beginn für alle hart gewesen. In den ersten Vorlesungen war der Hörsaal so überfüllt, dass nicht alle Studierenden einen Platz fanden. „Professor Petersson, Direktor des Zweiten Mathematischen Instituts, sagte damals eingangs: ‚Alles, was Sie in der Schule gelernt haben, können Sie vergessen‘“, erinnert sich Jürgen Kordt. „Und: ‚Seien Sie unbesorgt, bald werden die Sitzplätze für alle reichen, im nächsten Semester wird höchstens die Hälfte noch da sein.‘“ Und so kam es tatsächlich. Am Ende des Semesters waren es nur noch 80 Studierende. Aber die acht Freunde hielten durch.
Beim Fotoshooting für die Titelseite der Unizeitung scherzen die Freunde miteinander. Der Fotograf gibt Regieanweisungen. Alle wechseln ihre Positionen auf den Holzsitzen mehrmals. Es gibt kurzzeitig Verwirrung. „Ich glaub’, wir müssen es nochmal machen“, ruft jemand. Gelächter bei allen, die Stimmung ist gelöst, man spürt die langjährige Vertrautheit.
Nach dem Wiedersehen im S 10 brechen die Freunde auf in die Stadt, zum Abendessen bei Pinkus in der Altbierküche. Das nächste Treffen ist bereits vereinbart, es findet schon bald in Schwerin statt.
Autorin: Christina Hoppenbrock
Dieser Artikel stammt aus der Unizeitung wissen|leben Nr. 4, 12. Juni 2024.