Gute Sprache – hohe Glaubwürdigkeit
Wer als Zeuge oder Tatverdächtiger nach einem Unfall um eine schriftliche Aussage gebeten wird, der sollte besser von einem „Unfallfahrzeug“ statt „nur“ von einem „Auto“ berichten – damit erhöht man spürbar die Chance, dass die Polizei dieser Aussage vertraut. Die Wahl der Wörter, korrekte Grammatik und eine stimmige Syntax: All das kann einen großen Einfluss darauf haben, wenn es darum geht, wem die Staatsmacht Glauben schenkt. Joy Steigler-Herms kam nach ihrer Analyse von mehreren Dutzend Aussagen und Tests mit zahlreichen Probanden zu einem eindeutigen Ergebnis. „Wer sich eher bildungs- statt umgangssprachlich äußert, der wird in neun von zehn Fällen für glaubwürdiger gehalten“, betont die Germanistin in ihrer Dissertation, die sie 2023 an der Universität Münster abschloss. Ein Faktor, der bei der Urteilssuche von entscheidender Bedeutung ist.
Dass die Attraktivität, die ethnische Zugehörigkeit, ein Expertentitel oder die Sprache einen Einfluss auf die Glaubwürdigkeit haben können, ist bekannt. Joy Steigler-Herms wollte dagegen wissen, welchen Effekt die jeweilige Ausdrucksweise hat, wenn sich ein Unfallopfer oder mutmaßlicher Täter ausschließlich schriftlich zum Geschehen äußert, was in „leichten Fällen“ der Ermittlungsstandard ist. Mehrere Verkehrskommissariate aus dem Kreis Steinfurt stellten ihr dafür 57 reale Vernehmungsaussagen zur Verfügung. 143 Polizisten mit mindestens fünf Jahren Berufserfahrung und 64 Studierende der Universität Münster bekamen nach einem bestimmten Schlüssel jeweils zehn Aussagen vorgelegt, die sie in puncto Glaubwürdigkeit, Vertrauen und Kompetenz einstufen sollten.
Die Probanden wussten allerdings nicht, dass Joy Steigler-Herms einigen von ihnen die Originalaussage vorgelegt, während sie anderen eine sprachlich verbesserte Aussage präsentiert hatte. Beispiel: „Wir waren am 17.02.2020 auf der [Straßenname] unterwegs, als plötzlich ein Auto von links einer Tankstelle kurz vor der Ampel noch unbedingt vor uns herrasen musste. Als die Fahrerin die Lichthupe betätigt hatte, hat der Fahrer vor uns extra nochmal 2-mal stark abgebremst, der Fahrer hat noch gewartet bis er uns sehen konnte und hebte den Mittelfinger und fuhr rechts richtung [Straßenname] weiter.“ Diese „alltagssprachliche Schilderung“ baute sie zum Vergleich zu einer Version auf „bildungssprachlichem Niveau“ um: „Am 17.02.2020 fuhren wir auf der [Straßenname], als ein Fahrzeug die Ausfahrt einer Tankstelle zu unserer linken Seite verließ und sich – die Geschwindigkeit überschreitend – vor uns einordnete. Als die dadurch zur Bremsung genötigte Fahrerin die Lichthupe betätigte, bremste der Fahrer absichtlich noch zwei weitere Male stark ab. Der Fahrer wartete, bis er uns sehen konnte, hob den Mittelfinger und setzte seine Fahrt in Richtung der [Straßenname] fort.“
Die Bewertungen der Probanden ähnelten sich – die bildungssprachliche Variante kam sowohl bei den Profis (Polizisten) als auch bei den Studierenden als Laien deutlich besser an. „Die Differenzen waren hinsichtlich aller drei Variablen (Glaubwürdigkeit, Vertrauen und Kompetenz) ähnlich groß“, schreibt die Autorin. In einem anderen Fall, als es um einen Auffahrunfall ging, stiegen die entsprechenden Werte bei der manipulierten Variante beispielsweise von 4,1 auf 5,2 auf der 7-Punkte-Skala an – eine signifikante Verbesserung. Was aber sind „bildungssprachliche Merkmale“, mit denen man seine Glaubwürdigkeitswerte verbessern kann? Beispielsweise Relativsätze oder der Einsatz von „Konnektoren“ wie „da“ und „weil“, während eine Aneinanderreihung von Hauptsätzen erfahrungsgemäß eher weniger gut ankommt. Allerdings, fand Joy Steigler-Herms heraus, kann ein übertrieben häufiger Gebrauch von Fachtermini und Fremdwörtern auch einen gegenteiligen Effekt erzielen. Ein Polizist beurteilte einen Zeugen in einem solchen Fall beispielsweise als „Angeber und Besserwisser“.
Joy Steigler-Herms hält es als Folge ihrer Ergebnisse für sinnvoll, dass angehende Polizisten künftig in der Ausbildung für derartige potenzielle Einflüsse in schriftlichen Aussagen sensibilisiert werden. Ein Polizist, der als Proband an der Studie teilgenommen hatte, urteilte mit Blick auf die Ergebnisse: „Ich merke, dass ich geneigt bin, einer guten Ausdrucksweise eher zu glauben. Und das erschreckt mich.“
Autor: Norbert Robers
Dieser Artikel stammt aus der Unizeitung wissen|leben Nr. 4, 12. Juni 2024.