„Gewalt macht krank“
Der jährliche Aktionstag „Gegen Gewalt an Frauen“ findet am 25. November statt, um auf das Thema aufmerksam zu machen und auf verschiedene Unterstützungsmöglichkeiten hinzuweisen. Kathrin Kottke sprach mit Prof. Dr. Dr. Bettina Pfleiderer, Leiterin der Arbeitsgruppe Cognition & Gender an der Universität Münster und Ärztin am Universitätsklinikum Münster (UKM). Sie befasst sich schon seit vielen Jahren mit dieser Thematik.
Ist Gewalt gegen Frauen immer noch ein aktuelles Problem in unserer Gesellschaft?
Leider ja. Rund ein Drittel aller Gewaltopfer ist weiblich. Ich finde es jedoch notwendig, darauf hinzuweisen, dass Gewalt gegen alle Menschen ein großes Problem ist, das es zu bekämpfen gilt. Insbesondere die sogenannten unsichtbaren Betroffenen wie Kinder oder alte Menschen aber auch von häuslicher Gewalt betroffene Männer werden in den gesellschaftlichen Debatten oft vergessen und sind, statistisch gesehen, blinde Flecken.
2022 erfasste das Bundeskriminalamt 240.547 Opfer von häuslicher Gewalt. Das sind 8,5 Prozent mehr als im Jahr zuvor – über 70 Prozent davon sind Frauen. Wie ordnen Sie diese Zahlen ein?
Die Zahlen sind alarmierend. Das Dunkelfeld ist um ein Vielfaches höher. Diese Zahlen beziehen sich in erster Linie auf körperliche Misshandlungen und entsprechende Verletzungen. Aber es gibt auch seelische Verletzungen, die Menschen zerstören und zu Krankheiten führen, wie etwa Depressionen oder Herzrhythmusstörungen. Ob psychisch oder körperlich: Gewalt macht krank.
Welche Rolle nehmen Hochschulen in der Prävention und Aufklärung in diesem Bereich ein?
Ohne Wissen gibt es keine Aufklärung! Die Hochschulen nehmen daher eine essenzielle Rolle ein – insbesondere die medizinischen Fakultäten. Sowohl in der Forschung als auch in der Ausbildung der Studierenden muss dieses Thema einen zentralen Platz einnehmen.
Haben Sie Beispiele dafür, wie man Studierenden das Thema am besten nahebringen kann?
Ich biete beispielsweise das klinische Pflichtwahlfach ‚Häusliche Gewalt im internationalen Kontext‘ für Medizinstudierende an. Für angehende Lehrkräfte gibt es ein Kommunikationstraining zum Umgang mit Kindern als Gewaltopfer an der Universität Münster. Aus meiner Erfahrung ist es zudem sehr hilfreich, wenn Doktorandinnen und Doktoranden im Rahmen ihrer Forschungsarbeit ihre Kommilitonen über das Thema aufklären und die Relevanz vermitteln. Sie agieren als Botschafter und Multiplikatoren.
Seit einigen Jahren leiten Sie verschiedene Forschungsprojekte, die sich mit häuslicher Gewalt wissenschaftlich befassen. Worum geht es dabei genau?
Ja, das stimmt. So ging es beispielsweise in einem Projekt darum, die Öffentlichkeit und Ersthelfenden für den Umgang mit Missbrauch in partnerschaftlichen Beziehungen und Familien zu sensibilisieren. Dazu haben wir Strategien und Materialien entwickelt, um den Kampf gegen häusliche Gewalt effektiver zu gestalten. Ein aktuelles EU-Projekt befasst sich mit dem Thema Opferschutz und der Frage, wie medizinisches Fachpersonal mit Opfern häuslicher Gewalt richtig umgeht. In den Projekten arbeiten wir mit vielen verschiedenen Akteuren zusammen.
Warum ist das wichtig?
Häusliche Gewalt ist ein sehr komplexes Thema und benötigt Expertise aus verschiedenen Blickwinkeln. Daher arbeiten wir mit der Justiz, der Polizei, mit Behörden, Schulen, Nichtregierungsorganisationen und mit Vertretern der sozialen Arbeit und aus der Medizin zusammen.
Haben Sie konkrete Maßnahmen aus den Forschungsprojekten entwickelt?
Wir haben eine europäische Trainingsplattform zum Umgang mit häuslicher Gewalt für die Polizei, den Gesundheits- und den sozialen Sektor sowie für die Justiz aufgebaut. Auf dieser Plattform gibt es etwa Trainingsvideos mit fiktiven Fällen für medizinische und weitere Ersthelfer und Ersthelferinnen, die sich mit Gewaltopfern befassen. In unserem aktuellen Projekt ‚viprom – victim protection in medicine‘ entwickeln wir verschiedene Schulungsformate und Lehrpläne zum Thema häusliche Gewalt für medizinische Fachkräfte wie Hebammen, Pflegepersonal, (Zahn-)Ärzte und Ärztinnen sowie Zahn- und Medizinstudierende.
Was können Opfer von Gewalt tun, wenn Sie Hilfe benötigen?
Hilfsangebote gibt es an verschiedenen Stellen, allerdings müssen sie vielerorts noch besser bekannt gemacht werden. Zum Beispiel gibt es am Universitätsklinikum Münster die Gewaltopferambulanz. Hier können Menschen unbürokratisch Hilfe erhalten. Zudem werden dort gerichtsverwertbare Verletzungen dokumentiert und Spuren sowie Beweismaterialien gesichert. Opfer können sich aber auch an zahlreiche Beratungsstellen wenden, zum Beispiel die Beratungsstelle Frauen helfen Frauen e.V. oder Frauen-Notruf Münster e.V.
Jährlich am 25. November findet der Internationale Tag zur Beseitigung von Gewalt gegen Frauen statt. Seit 2014 beteiligt sich das Gleichstellungsbüro der Universität Münster mit vielfältigen Aktivitäten an diesem Aktionstag, um alle Hochschulangehörigen und die Öffentlichkeit für das Thema zu sensibilisieren.
Links zu dieser Meldung
- Prof. Dr. Dr. Bettina Pfleiderer, Arbeitsgruppe Cognition & Gender
- Trainingsplattform zum Umgang mit häuslicher Gewalt
- Gewaltopferambulanz des UKM
- Hilfetelefon „Gewalt gegen Frauen“ (Nummer 116 016)
- Büro für Gleichstellung der Universität Münster
- Podcast mit Rechtwissenschaftlerin Prof. Dr. Leonie Steinl zum Aktionstag gegen Gewalt an Frauen