|
Münster (upm/ch).
Physiker Dr. Nihit Saigal ist Postdoktorand in der Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Ursula Wurstbauer. Er bringt mit einem im Physikalischen Institut entwickelten Mikro-Manipulationsaufbau zur rotationsangepassten Stapelung von 2-D-Kristallschichten eine ultradünne Schicht Molybdändisulfid auf eine Unterlage aus Siliziumdioxid auf.© Uni Münster - Peter Leßmann
Fotos

Eine Schatzkiste für die Forschung

Physiker untersuchen 2-D-Materialien mit ganz besonderen Eigenschaften

Postdoktorand Dr. Nihit Saigal aus der Arbeitsgruppe von Prof. Dr. Ursula Wurstbauer am Physikalischen Institut der Universität Münster hat im Labor das Zubehör zurechtgelegt, um ein ultradünnes, zweidimensionales Material herzustellen: einen silberfarbenen Kristall aus Molybdändisulfid, eine viskoelastische Polymerfolie – und Klebeband. Vorsichtig legt er den Kristall auf das Klebeband, sodass ein wenig des Materials darauf haften bleibt. Diesen Hauch von Material drückt er mehrfach auf die Polymerfolie, dabei werden die Spuren immer dünner. Unter dem Mikroskop begutachtet er das Ergebnis und sucht eine Stelle, bei der das Molybdändisulfid extrem dünn ist – nämlich möglichst genau eine einzige Moleküllage dick.

Diese Arbeitsschritte stehen am Anfang eines langen Prozesses, bei dem die 2-D-Schicht hochpräzise auf eine mit Siliziumdioxid beschichtete Unterlage aus Silizium aufgebracht und später genau auf ihre Eigenschaften untersucht wird. Solche 2-D-Materialien haben es in sich: Hauchdünne Schichten aus einer oder zwei Moleküllagen haben grundlegend andere Eigenschaften als dasselbe Material in drei Dimensionen. Kombiniert man Lagen aus unterschiedlichen Materialien oder verdreht die einzelnen Schichten gegeneinander, ergeben sich wieder neue Eigenschaften, beispielsweise können aus elektrisch leitfähigen Materialien Isolatoren werden.

Das bekannteste Beispiel für ein 2-D-Material ist Graphen. Am 22. Oktober 2004 erschien in der Fachzeitschrift „Science“ ein Artikel, in dem erstmals vorgestellt wurde, wie sich Graphen – eine atomar dünne Kohlenstoffschicht – herstellen lässt: indem man ein Klebeband auf ein Stück Graphit drückt und es wieder abzieht. Graphitkristalle bestehen aus Schichten von bienenwabenartig angeordneten Kohlenstoffatomen, also aus unzähligen Graphenlagen. Die Wissenschaftler beschrieben in dem Artikel auch die Eigenschaften des neuen Materials – und die wirken selbst heute noch erstaunlich: „Es ist das dünnste Material der Welt, stärker als Stahl und leitfähiger als Kupfer. Dazu ist Graphen ein hervorragender Wärmeleiter – sowie flexibel, transparent und undurchlässig für Flüssigkeiten und Gase“, fasst Ursula Wurstbauer zusammen. Die Physiker Andre Geim und Kostya Novoselov erhielten den Physik-Nobelpreis für ihre Entdeckung.

Mittlerweile haben Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler Tausende von Materialien aufgespürt, die eine ähnlich geschichtete Struktur haben wie Graphen – eine Schatzkiste für die Forschung. Das Team um Ursula Wurstbauer gehört zu einer Reihe von Arbeitsgruppen am Fachbereich Physik, die auf diesem Gebiet arbeiten. Unter anderem untersucht das Team an einer besonderen Klasse von Metallverbindungen, den sogenannten Übergangsmetall-Dichalkogeniden, einen Spezialfall geschichteter 2-D-Materialien: den Twist. Dabei verdrehen die Wissenschaftler zwei oder mehr Materiallagen um kleine Winkel gegeneinander – und erzeugen abhängig vom Winkel unterschiedliche Materialeigenschaften, die durch eine Überlagerung der Molekülmuster entstehen.

„Der Twist ist der Schlüssel, um ganz unterschiedliche Eigenschaften zu erzeugen“, beschreibt Ursula Wurstbauer. „Wir steuern durch eine exakte Drehung, ob Teilchen – zum Beispiel Elektronen – sich innerhalb des Molekülgitters bewegen können oder nicht. So kann dasselbe Material im Extremfall supraleitende Eigenschaften haben oder isolieren. Oder ein Material gibt bei einem bestimmten Twist – und nur dann – einzelne Photonen, also Lichtteilchen, ab. Das ist für mögliche Anwendungen in den Quantentechnologien interessant.“

Ein anderes Beispiel aus der Forschung gibt Dr. Emeline Nysten, Postdoktorandin in der AG von Prof. Dr. Hubert Krenner. Sie untersucht, welchen Einfluss akustische Wellen auf die elektrischen Eigenschaften zweilagiger 2-D-Materialien haben. Die Frage dahinter lautet: Können die akustischen Oberflächenwellen die elektrischen Felder steuern und programmieren? „Diese Effekte könnten interessant sein, um nichtflüchtige Speicher herzustellen, die ähnlich wie Computerspeicher Informationen dauerhaft erhalten können. Ein Vorteil: Solch ferroelektrische Speicher können im Gegensatz zu den üblichen magnetischen Speichern weiter miniaturisiert werden und sind resistenter gegen elektromagnetische Strahlung“, sagt Emeline Nysten.

Zwar betreiben die Arbeitsgruppen am Fachbereich Physik hauptsächlich Grundlagenforschung, doch es gibt ein Beispiel für angewandte Forschung in der Arbeitsgruppe von Ursula Wurstbauer: Bei einem Kooperationsprojekt mit Prof. Dr. Rebecca Saive von der Universität Twente geht es darum, die Effizienz von Solarzellen zu verbessern. „Die Frage ist, wie es gelingt, die Ladungsträger von den Solarzellen verlustfrei ins Stromnetz zu bringen“, sagt Ursula Wurstbauer. „Das ist derzeit noch ein Flaschenhals, es gibt viele Verluste.“ Die Hoffnung ist, diese Einbußen durch optimierte elektrische Kontakte an die 2-D-Materialien, die das Sonnenlicht absorbieren und in Ladungen umwandeln, zu minimieren.

Die Erforschung der 2-D-Materialien wird noch lange spannend bleiben. „Die Schatzkiste öffnet sich langsam. Wir haben schon vieles entdeckt, aber es kommen auch immer neue Fragen hinzu“, sagt Ursula Wurstbauer. Im Labor deutet sie auf eine Reihe bunter Kristalle, die in einer sogenannten Glovebox in geschützter Atmosphäre gelagert werden. Weiß, rot, gelb, pink ... Die Kristalle sind wenige Millimeter groß und stammen von einem Kooperationspartner der AG Wurstbauer an der Universität Prag, der sich auf die Kristallzucht spezialisiert hat. „Das sind alles Metall-Chalkogenid-Verbindungen. Alle haben unterschiedliche Eigenschaften, die wir noch erforschen möchten – da bleibt noch einiges zu tun“, sagt Ursula Wurstbauer.

Autorin: Christina Hoppenbrock

 

Dieser Artikel stammt aus der Unizeitung wissen|leben Nr. 6, 4. Oktober 2023.

Links zu dieser Meldung