Azubi-Porträt: Drei Abschlusszeugnisse und eine Leidenschaft
Als Johanna Wilstacke im Sommer 2017 ihr Abschlusszeugnis von der Marienschule in Dülmen in den Händen hält, hat sie einen klaren Weg vor Augen. Sie möchte das Adolph-Kolping-Berufskolleg in Münster besuchen, dort ihr Fachabitur und den Abschluss zur gestaltungstechnischen Assistentin machen. Anschließend möchte sie eine Ausbildung zur Mediengestalterin absolvieren. Sechs Jahre später kann sie darüber nur schmunzeln. Statt eines Gesellenbriefs für Mediengestaltung hat sie den Abschluss eines anderen Handwerks in der Tasche. Sie arbeitet als Tischlerin und liebt diesen Beruf. Ihre Ausbildung hat sie in der Tischlerei der Universität Münster gemacht. Dem Team bleibt sie als Gesellin erhalten.
„Ich war lange der Überzeugung, dass ich ein Büromensch bin und am Computer arbeiten möchte“, erzählt Johanna Wilstacke. Doch während ihrer Zeit auf dem Adolph-Kolping-Berufskolleg merkt sie, dass das nicht stimmt. Den Abschluss am Berufskolleg machte sie trotzdem. „Hinschmeißen kam für mich nicht in Frage. Dafür war ich schon zu weit gekommen“, erinnert sie sich. Und so bekommt sie Mitte 2020 wieder ein Abschlusszeugnis überreicht – nur, dass ihr der weitere Weg diesmal nicht so klar ist.
Sie denkt über ein freiwilliges soziales Jahr nach. „Das sind allerdings oft Stellen im sozialen Bereich“, sagt Johanna Wilstacke, „und das konnte ich mir nicht vorstellen.“ Freunde machen sie auf die Möglichkeit eines freiwilligen ökologischen Jahrs aufmerksam. „Das war schon eher nach meinem Geschmack“, betont sie. Und so startet sie noch im selben Jahr auf einem Demeter-Hof in Siegen – Demeter steht für eine reine Bio-Landwirtschaft. „Ich wohne auf dem Land. Meine Eltern haben einen kleinen landwirtschaftlichen Betrieb mit Pferdehaltung“, erzählt sie. „Ich wusste also ungefähr, was auf mich zukommt.“ Ein Jahr lang hilft sie im landwirtschaftlichen Betrieb mit. Sie arbeitet im Hofladen, erledigt Stallarbeit und ist im Ackerbau tätig. „Demeter-Betriebe bilden immer einen eigenen Kreislauf. Ich habe also viele Einblicke bekommen“, erklärt die 22-Jährige.
Eine Lehre in der Landwirtschaft kommt ihr in den Sinn, aber diesen Gedanken verwirft sie schnell wieder. „Ich habe mir das körperlich nicht zugetraut.“ Außerdem habe sie sich vom negativen öffentlichen Bild auf die Landwirtschaft eingeschüchtert gefühlt. „Die meisten anderen, die ein ökologisches Jahr absolvierten, hatten Stellen bei Naturschutzprojekten. Bei unseren regelmäßigen Treffen stand die Landwirtschaft oft im Zentrum der Kritik. Dabei ging es um Themen wie Tierhaltung und Fleischkonsum. Ich musste oft diskutieren“, erinnert sie sich. „Ich habe allerdings kein sehr dickes Fell, so etwas perlt nicht einfach an mir ab.“ Und da auch in der Landwirtschaft oft ein rauer Ton herrscht, nahm sie Abstand von einer beruflichen Zukunft in diesem Bereich.
Das Jahr auf dem Demeter-Hof hilft ihr trotzdem, denn immer, wenn sie Handwerkliches erledigen muss, merkt sie, dass es ihr leichtfällt und Spaß macht. Sie zieht neue Bretter in den Käsereifeschrank ein, schleift Holz und baut eine Innenverkleidung für die Werkstatt. Sie arbeitet gerne mit Holz und mit den Händen. Und so bewirbt sie sich von Siegen aus für ein Praktikum in der Tischlerei der Universität Münster. Sie ist begeistert von der Arbeit, dem Team, dem Aufgabenspektrum und der guten Ausstattung der Werkstatt. Das Team der Schreinerei wiederum ist begeistert von Johanna Wilstacke. Also bewirbt sie sich auf einen Ausbildungsplatz – und bekommt eine Zusage.
Im August 2021 beginnt sie ihre Ausbildung und hat fortan mit dem Bau von Küchen, Vitrinen, Zäunen, Ausstellungsmöbeln oder Wetterschutzhütten für Forschungsgeräte zu tun. Von Serienproduktion keine Spur, fast alle Anfertigungen sind Einzelstücke. Das gefällt Johanna Wilstacke. Sie hängt sich rein und hält im Juli 2023 wieder ein Abschlusszeugnis in den Händen. Ihr weiterer Berufsweg liegt klar vor ihr: Sie bleibt an der Universität Münster – als Tischler-Gesellin.
Autorin: Alice Büsch
Ausbildung an der WWU und Tag der Ausbildung:
Mit rund 150 Auszubildenden in derzeit 20 verschiedenen Berufen ist die Universität Münster einer der größten Ausbildungsbetriebe im Münsterland. Es gibt zahlreiche Ausbildungsberufe im kaufmännischen und handwerklichen Bereich. Neu ist die duale Ausbildung zum Fachinformatiker. Schülerinnen und Schüler, Eltern und Lehrer lädt die Universität Münster am 31. August zum Tag der Ausbildung ein. Von 16 bis 19 Uhr können sie sich an der Wilhelm-Klemm-Straße 10 über die Ausbildungsmöglichkeiten an der Universität informieren. Eine Anmeldung ist nicht erforderlich, aus organisatorischen Gründen aber erwünscht.
Dieser Artikel stammt aus der Unizeitung wissen|leben Nr. 5, 12. Juli 2023.