Von der Zelle zum Patienten: Forscher nehmen Arbeit im „MIC“ auf
Wenn man durch das Atrium des neuen Forschungsgebäudes der Universität Münster, das „Multiscale Imaging Centre“ (MIC), läuft, fallen zwei Besonderheiten auf: Dank der großen Fensterfronten an mehreren Seiten ist es sehr hell, und auf der linken Seite sticht die Wandinstallation „Auf|Lösung“ hervor. Das freundlich-klare Entrée passt – denn das MIC liegt inmitten des lebens- und naturwissenschaftlichen Zentrums der Universität. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler aus der Medizin, der Biologie, der Chemie und Pharmazie sowie der Mathematik und Informatik forschen auf rund 10.000 Quadratmetern und drei Etagen zu der Frage, wie sich die Zellen im menschlichen Organismus verhalten, warum sie Krankheiten auslösen und was man dagegen tun kann. Und das auf Basis moderner und verschiedener Bildgebungsverfahren. Das Themengebiet „Cell Dynamics, Inflammation and Imaging“ zählt bereits seit vielen Jahren zu den Forschungsschwerpunkten der Universität – im MIC haben die Wissenschaftler die lang ersehnte, perfekte Infrastruktur.
„Das Gebäude ist europaweit ein Leuchtturmprojekt. Wir kombinieren bildgebende Verfahren von der Mikroskopie bis zur Ganzkörperbildgebung in einer interfakultären Zusammenarbeit. Das ermöglicht uns die Erforschung von dynamischen Zellprozessen auf unterschiedlichen Skalen: von der einzelnen Zelle, über Gewebestrukturen bis hin zu Organen und dem ganzen Körper“, erklärt Prof. Dr. Michael Schäfers, Nuklearmediziner und Sprecher des MIC, die Einzigartigkeit des Forschungsbaus. „Eine weitere Besonderheit ist, dass wir die Zellbewegungen in zeitlichen Varianzen, etwa Minuten, Stunden, Tagen oder Wochen, mit speziellen Bildgebungsverfahren sichtbar machen können.“ Das Ganze erfolgt in vivo – also am lebenden Organismus.
Ziel der biomedizinischen Bildgebung ist es: Das Verhalten von Zellen in Organismen zu erforschen. Die Wissenschaftler untersuchen, wie sich Organismen entwickeln, wie sie im gesunden Gleichgewicht bleiben und was bei Erkrankungen passiert. Zudem entwickeln sie neue Möglichkeiten, um Krankheiten zu diagnostizieren und zu therapieren. Bei einem Blick hinter die Kulissen durfte die Stabsstelle Kommunikation und Öffentlichkeitsarbeit das Gebäude anhand von drei Forschungsgruppen kennenlernen – vom Kleinen, zum Großen.
Einblick in die Forschung am MIC
Ganz oben, in der dritten Etage, befindet sich der kleinste Modellorganismus im MIC: Mit hochauflösender Lichtmikroskopie untersucht ein Team um Prof. Dr. Stefan Luschnig dynamische Kontakte zwischen Zellen in der Taufliege – auch als Fruchtfliege bekannt. Der Entwicklungsbiologe möchte verstehen, wie Zellverbindungen hergestellt und dynamisch umgebaut werden und wie Zellen auf diese Weise Barrieren bilden, die Gewebe schützen und Transportprozesse steuern. Dazu hält er in seinem Labor rund 4.000 Fliegenstämme – 100 Fliegen pro Röhrchen; alle fein säuberlich mit der jeweiligen genetischen Variante beschriftet. Bevor die Mikroskopieaufnahmen beginnen, bedarf es einer filigranen Vorbereitung: Wissenschaftler bereiten die Ovarien (Eierstöcke) der Fliegen für die Untersuchung während der Eizellentwicklung vor. Dazu markieren sie bestimmte Proteine der Taufliege genetisch mit fluoreszierenden Molekülen. Einen Raum weiter können sich die Forscher dann mithilfe der konfokalen Laser-Scanning-Mikroskopie live die zellulären Vorgänge gestochen scharf anschauen und die molekularen Mechanismen dahinter analysieren.
Eine Etage tiefer forscht Prof. Dr. Stefan Schulte-Merker ebenfalls mit hochauflösender Lichtmikroskopie – allerdings mit einem etwas größeren Modellorganismus: dem Zebrafisch. Rund 20.000 Fische stehen ihm dazu zur Verfügung, Platz hätte er für 60.000 Fische. Mehr als 1.260 Wassertanks mit jeweils 11 Liter Wasser und 55 Fischen stehen in Reih und Glied in seinem Labor – aktuell gewöhnen sich die Fische in ihrer neuen Umgebung noch ein. Wenn sie das getan haben, kann das Team von Stefan Schulte-Merker loslegen. „Wir erforschen die Entwicklung von Blut- und Lymphgefäßen von Zebrafisch-Embryonen“, erklärt der Biologe. „Dabei suchen wir nach Genen, die für die einzelnen Entwicklungsschritte verantwortlich sind und deren Defekte beim Menschen zu Erkrankungen führen.“ Ein großer Vorteil: Die Embryonen sind in den ersten fünf Tagen ihres Lebens transparent und sie entwickeln sich außerhalb des Mutterleibs. „Dadurch können wir in ihr Innerstes blicken und den Gefäßen bei ihrer Entstehung zusehen.“ Die Wissenschaftler schauen den Zellen dabei zu, wie sie komplexe Strukturen bilden: von Arterien, Venen und Lymphgefäßen bis hin zum gesamten vaskulären System.
Im Erdgeschoss angekommen, untersucht das Team von Privatdozent Dr. Sven Hermann und Michael Schäfers Mäuse, um unter anderem Verfahren zur Diagnostik von Entzündungen und Tumoren zu entwickeln. Dazu nutzen sie die Positronen-Emissions-Tomographie (PET), die Signale radioaktiver Spürstoffe im Körper sichtbar macht und biologische Vorgänge im Gewebe darstellt. Die Geräte, die dabei zum Einsatz kommen, sehen aus wie Tomographen, die man aus der Klinik kennt – nur viel kleiner, eben für Mäuse statt für Menschen. Eins davon: ein neues sogenanntes PET-MRT, das in dieser leistungsstarken Ausführung weltweit nur an vier Standorten der Wissenschaft zur Verfügung steht. Dieses Hybridgerät verbindet sensitivste PET-Technik mit der Magnetresonanztomographie (auch bekannt als Kernspintomographie, kurz MRT) in einer sehr hohen Magnetfeldstärke. „Mit dieser innovativen Technik können wir den Verlauf von Krankheiten nichtinvasiv über mehrere Tage und Wochen sehr genau beobachten und beispielsweise das Ansprechen auf neue Therapien untersuchen“, erklärt Sven Hermann das drei Millionen Euro teure Gerät. Eine weitere Besonderheit: Anders als bei anderen Hybridgeräten werden die Untersuchungen mit beiden Technologien nicht nacheinander, sondern gleichzeitig durchgeführt. „Das ist ein entscheidender Vorteil, da sich biologische Vorgänge innerhalb von Minuten oder Sekunden ändern können“, betont Michael Schäfers. „Da wir keinen zeitlichen Versatz haben, können wir die Informationen beider Untersuchungsverfahren noch besser zusammenbringen.“
Kunstwerk „Auf|Lösung“
Ob beim Eintritt oder Verlassen des Foyers: An einem besonderen Blickfang kommen weder Besucher noch Mitarbeiter vorbei. In der großen Halle befindet sich eine zwölf Meter hohe Wandinstallation der Künstlerin und Professorin für Wissenschaftsillustration Cordula Hesselbarth. Auf beeindruckende Weise spannt das Kunstwerk mit dem Titel „Auf|Lösung“ das Forschungsthema auf, an dem die Wissenschaftler im MIC arbeiten. Die Wandinstallation löst den menschlichen Organismus visuell in seine einzelnen Bausteine auf und erzeugt ein Wechselspiel zwischen der Wahrnehmung des Ganzen und seiner Teile.
Steckbrief MIC
Adresse
Röntgenstraße 16, 48149 Münster (in Nachbarschaft zum Max-Planck-Institut für molekulare Biomedizin, dem Zentrum für Molekularbiologie der Entzündung (ZMBE), dem Center for Soft Nanoscience (SoN) und dem Centrum für Nanotechnologie (CeNTech)
Bauherr
Bau- und Liegenschaftsbetrieb NRW (BLB NRW)
Gesamtfläche
10.000 Quadratmeter – davon 5.800 Quadratmeter Hauptnutzfläche
Laborfläche: 4.300 Quadratmeter
Büro- und Seminarraumfläche: 1.500 Quadratmeter
Gesamtkosten
63 Millionen Euro Förderung durch das BMBF-Programm „Forschungsbauten“, plus acht Millionen Euro Zuschuss durch die Universität Münster
Bauzeit
Rund fünf Jahre
Beginn der Baustellenarbeit: Januar 2017
Übergabe an die Universität Münster: Juni 2022
Einzug der ersten Laborgruppen: Dezember 2022
Personen und Funktionalitäten im MIC
18 Professuren und Nachwuchsgruppen
Bis zu 260 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter
Zweigstelle der Zentralen Tierexperimentellen Einrichtung (ZTE)
Geschäftsstelle des Cells in Motion Interfaculy Centres
Koordinierungsstelle des Imaging Networks