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Münster (upm/hd)
Die Geologie der Tour de France vor Ort auf dem Col d’Issère, Pyrenäen.<address>© Utrecht University</address>
Die Geologie der Tour de France vor Ort auf dem Col d’Issère, Pyrenäen.
© Utrecht University

„Die Rundfahrt bietet die Möglichkeit, faszinierende Geschichten zu erzählen“

David De Vleeschouwer im Interview zu den geologischen Besonderheiten der Tour de France

Das bekannteste Radrennen der Welt, die Tour de France, beginnt am Samstag (1. Juli). Rund 3400 Kilometer werden die Athleten über 21 Etappen zurücklegen. Mit den Pyrenäen, dem Zentralmassiv, der Jura, den Alpen und den Vogesen führt die Tour de France 2023 durch alle großen Gebirge Frankreichs. Ein internationales Team von Geowissenschaftlern erklärt die geologischen Besonderheiten jeder Etappe. Diese werden ausführlich in einem Blog beschrieben, außerdem gibt es kurze Videos. Einer der Wissenschaftler ist Prof. Dr. David De Vleeschouwer vom Institut für Geologie und Paläontologie der Universität Münster. Im Interview mit Hanna Dieckmann erzählt der Geologe unter anderem, wie Berge, Flüsse, Gletscher und verschiedene Bodenbeschaffenheiten Einfluss auf die Anforderungen an die Fahrer nehmen.

Was macht die Tour de France aus geologischer Sicht so interessant?

Ich verfolge die Tour de France seit Jahrzehnten, und jedes Jahr wieder erzählen die Kommentatoren von Burgen oder kulinarischen Highlights. Doch für mich bietet die Rundfahrt auch die Möglichkeit, faszinierende Geschichten über die Landschaften zu erzählen, durch die die Fahrer fahren. Das ist das Ziel unseres Blogs: einem breiten Publikum die geologischen und geografischen Besonderheiten aufzuzeigen und von den Steinen und Sedimenten der Tour de France zu berichten.

Prof. Dr. David De Vleeschouwer<address>© WWU - Kalle Krömer</address>
Prof. Dr. David De Vleeschouwer
© WWU - Kalle Krömer
Was zeichnet die Landschaften aus?

Sie sind von atemberaubender Schönheit. Hinter und unter diesen Landschaften verbirgt sich eine beeindruckende Erdgeschichte von zwei Milliarden Jahren. Aber wir blicken nicht nur zurück, sondern finden hier oft auch wichtige Lektionen für unsere Zukunft. Wir können zum Beispiel etwas über die Fragilität von Ökosystemen und Biodiversität lernen, über die Wechselwirkungen im Erdsystem, die das Klima beeinflussen und zur Erdabkühlung oder Erderwärmung geführt haben. Wir erfahren in den Landschaften mehr über Vulkanismus, die Kollisionen der Kontinente und sogar über Meteoriteneinschlägen.

Welche Landschaften meinen Sie konkret?

Die dritte Etappe beispielsweise führt entlang der Küstenklippen von Zumaia im Baskenland. Das dortige, durch Sedimente entstandene Gestein verweist auf den genauen Moment des Meteoriteneinschlags, der das Aussterben der Dinosaurier verursachte. In den Küstenklippen findet man eine dünne, wenige Zentimeter dicke Tonlage, die mit Iridium angereichert ist. Iridium ist ein Element, das in Gesteinen und Sedimenten der Erdkruste nicht vorkommt, jedoch in Meteoriten. Der Nachweis dieser Iridium-Anreicherung war der endgültige Beweis dafür, dass ein Meteorit das Aussterben der Dinosaurier verursacht hat. Als der Meteorit auf die Erde einschlug, entstand so viel Hitze, dass er zu sehr feinen Partikeln verdampfte, die in die Atmosphäre geschleudert wurden. Der Wind verteilte diese Partikel weltweit, auch in Zumaia. Ein weiteres Beispiel: Während der zweiten Woche durchqueren die Fahrer das Zentralmassiv und erklimmen den Puy de Dôme – einen sogenannten Lavadom. Er ist einer der jüngsten Vulkane im Zentralmassiv und entstand vor etwa 10.700 Jahren, quasi Gestern in der Erdgeschichte.

Sie verknüpfen also verschiedene Lebens- und Wissenschaftsbereiche miteinander...

Genau. Durch die Verknüpfung von Landschaft, Geologie und Geschichte mit der Route der Tour de France schaffen wir eine einzigartige Verbindung zwischen Sport und Natur. Die Zuschauerinnen und Zuschauer erwarten spannende Radrennen, mit unserer Hilfe können sie zudem ein Bewusstsein für die geologische Vielfalt bekommen. Wir erhoffen uns von unserem Projekt ein größeres Interesse an den Geowissenschaften in der breiten Öffentlichkeit. Wir halten das nicht nur für interessant, sondern auch für zeitgemäß. Denn viele der Herausforderungen für die kommenden Jahrzehnte und Jahrhunderte haben einen geowissenschaftlichen Bezug.

Welche geogeschichtlichen Phänomene sind Ihrer Ansicht nach besonders nennenswert?

Die geologischen Schichten unter unseren Füßen können wie ein Geschichtsbuch gelesen werden. Als Geologe muss man nur die Sprache der Steine lernen. In unseren Blogs erfahren Interessierte zum Beispiel, wie sich die Kontinente verschoben haben und vor etwa 300 Millionen Jahren zu einem Superkontinent namens Pangäa kollidierten. Dies führte zur Entstehung sowohl des Zentralmassivs als auch des Rheinischen Schiefergebirges. Damals waren sie beeindruckende Gebirgsketten, vergleichbar mit dem heutigen Himalaya. Natürlich wurden sie im Laufe von Millionen Jahren stark erodiert, sodass heute nur noch ihre Fundamente übrig geblieben sind.

Welchen Einfluss haben denn die Berge, Flüsse, Gletscher und die unterschiedliche Bodenbeschaffenheiten auf die Fahrer?

Jedes Mal, wenn die Fahrer einen Anstieg hinauffahren oder mit 80 Stundenkilometern den Berg hinunterrasen, ist die Grundlage ein geowissenschaftliches Ereignis, das wir erklären können. Es kann eine geologische Verwerfung sein, entlang derer eine bestimmte Gesteinsmasse nach oben gedrückt wird, eine Magmakammer, die wie ein Heißluftballon versucht, durch die darüberliegenden Gesteinsschichten aufzusteigen. Oder ein Tal, das während der letzten Eiszeit von einem gigantischen Gletscher ausgeschürft wurde.

Berücksichtigen Sie in Ihrer Arbeit auch Naturereignisse oder Katastrophen, die sich in dieser Region kürzlich zugetragen haben?

Natürlich! Wir behandeln wichtige Ereignisse wie Fels- und Schlammlawinen, Erdbeben oder Überschwemmungen, wenn diese sich in einer Region kürzlich zugetragen haben. Aber wir scheuen uns auch nicht vor Themen wie dem Abbau wertvoller Metalle oder fossiler Brennstoffe oder den gesellschaftlichen Kontroversen darüber. Wir werfen gerne ein Licht darauf, wie sich die vom Menschen verursachten Veränderungen im Erdsystem der letzten Jahrzehnte in einen geologischen Kontext von mehreren Milliarden Jahren einfügen. Durch das Verständnis der geologischen Prozesse und ihrer Auswirkungen können wir die Zusammenhänge zwischen menschlichen Aktivitäten und den langfristigen geologischen Veränderungen besser verstehen.

Ist auch der Klimawandel für Ihre Beobachtungen relevant?

Die durch den Menschen verursachte Klimaveränderung ist mittlerweile überall spürbar. Wir bemerken dies in unserem täglichen Leben, und es beeinflusst auch das Erscheinungsbild der Landschaften der Tour de France. Längere Trockenperioden, intensivere Niederschläge, ein erhöhtes Risiko von Waldbränden, schwindende Gletscher – all das sind Auswirkungen der Klimaveränderung. Es ist aber auch wichtig, anzumerken, dass natürliche Klimaveränderungen in der Geschichte der Erde ebenfalls eine Konstante darstellen. Obwohl sie unterschiedliche Ursachen haben, kann uns die Erdgeschichte interessante Lektionen für die Zukunft vermitteln.

An welche Ereignisse denken Sie da?

Die Versauerung der Ozeane oder den Sauerstoffmangel in den Gewässern sind Beispiele. Solche Ereignisse haben sich in der Vergangenheit bereits unter natürlichen Bedingungen ereignet und es ist dringend erforderlich, die zugrunde liegenden Dynamiken besser zu verstehen, um uns auf die dramatischen Folgen solcher Entwicklungen vorzubereiten. Die Vergangenheit bietet uns somit wichtige Lehren für die Bewältigung der aktuellen und zukünftigen Herausforderungen im Zusammenhang mit dem Klimawandel.

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