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Münster (upm/ch).
Jedes Protein ist auf charakteristische Weise zusammengesetzt und gefaltet. Die Abbildung zeigt den roten Blutfarbstoff Hämoglobin, der kein De-novo-Protein ist.<address>© Leonid Andronov - stock.adobe.com</address>
Jedes Protein ist auf charakteristische Weise zusammengesetzt und gefaltet. Die Abbildung zeigt den roten Blutfarbstoff Hämoglobin, der kein De-novo-Protein ist.
© Leonid Andronov - stock.adobe.com

Neuankömmlinge im Blick

Ein Team um den Bioinformatiker Erich Bornberg-Bauer erforscht „De-novo-Proteine“

Proteine sind nicht nur Bausteine des Körpers, sie haben auch unzählige Aufgaben. Sie transportieren beispielsweise Nährstoffe, ermöglichen chemische Reaktionen und übermitteln Signale. Ein Protein ist im Durchschnitt 350 Aminosäuren lang. Diese Kette ist bei jedem Protein auf eine charakteristische Weise zusammengesetzt und gefaltet. Sie bildet eine Struktur, die dem Protein seine Funktion verleiht. Duplikationen der zugrunde liegenden DNA und anschließende kleine Veränderungen in der Aminosäure-Kette durch Mutationen einer oder beider Kopien können Proteine mit neuen Eigenschaften hervorbringen, die an künftige Generationen weitergegeben werden.

Mittlerweile gehen Forscher wie Prof. Dr. Erich Bornberg-Bauer vom Institut für Evolution und Biodiversität der WWU jedoch davon aus, dass manche Proteine keine Urahnen besitzen: Seit etwa zehn Jahren sind Forschungsteams weltweit einem Phänomen auf der Spur, das sie „De-novo-Proteine“ nennen. Dabei geht es darum, dass der Bauplan der neuen Proteine in Abschnitten des Erbguts entsteht, der in der nicht-codierenden DNA liegt – das heißt in jenen Bereichen, in denen eigentlich keine Protein-Baupläne liegen. „Diese Proteine werden von Neuem, also de novo, gebildet – ohne dass es ein unmittelbares Vorläuferprotein gibt, das einen Selektionsprozess durchlaufen hat“, erläutert Erich Bornberg-Bauer. Der Bioinformatiker zählt zu den führenden Forschern auf diesem Gebiet und ist unter anderem an einem vom Human-Frontier-Science-Program geförderten Projekt beteiligt. Es untersucht, wie die etablierten Proteine und die „Neuankömmlinge“ in der Zelle interagieren.

Einige De-novo-Proteine haben vorteilhafte Funktionen und werden im Laufe der Evolution zum festen Bestandteil der Zellen. Voraussetzung dafür, dass aus einem nicht-codierenden DNA-Abschnitt ein neues Protein wird, ist, dass die DNA transkribiert und in Aminosäuren „übersetzt“ werden kann. Beispielsweise kann durch zufällige Mutationen ein Start- und ein Stoppsignal in die DNA eingefügt werden – ein sogenanntes offenes Leseraster, das die Transkription und Translation der DNA ermöglicht. „Wie häufig entstehen De-novo-Proteine, wie und wann fügen sie sich in die eingespielten molekularen Abläufe in den Zellen ein, welche Funktionen haben sie – und wie oft gehen sie wieder verloren? Auf diese Fragen suchen wir Antworten“, fasst Dr. Bharat Ravi Iyengar, Postdoktorand bei Erich Bornberg-Bauer, zusammen. Die Arbeitsgruppe setzt dazu eine Kombination aus mathematischer Modellierung, Genomsequenzdatenanalyse, Mikroorganismen-Evolution im Labor und biochemischen Tests ein.

Auf der Suche nach Kandidaten für De-novo-Proteine versucht das münstersche Team DNA-Transkripte zu finden, deren Sequenzen auch bei anderen Arten vorkommen, aber dort nicht transkribiert werden. Kein leichtes Unterfangen, da sich „ungenutzte“ DNA-Abschnitte im Laufe der Evolution stark verändern können und sich die entsprechenden Sequenzen möglicherweise nicht mehr identifizieren lassen. Beispiele für De-novo-Proteine sind das Hefeprotein Bsc4, das für die Reparatur von DNA-Schäden erforderlich ist, und ein Frostschutz-Glykoprotein des Kabeljaus.

Autorin: Christina Hoppenbrock

Dieser Artikel stammt aus der Unizeitung wissen|leben Nr. 4, 7. Juni 2023.

 

Tagung:

Erich Bornberg-Bauer und sein Team empfangen 36 führende Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler auf dem Gebiet der Protein-Evolution zum internationalen „Protein Evolution Meeting in Münster“ im Schloss. Vom 3. bis 5. Juli tauschen sie sich unter anderem über De-novo-Proteine aus und initiieren neue Kooperationen. Außerdem geht es um weitere Forschungsfragen wie die Proteinstruktur und die Interaktion zwischen Proteinen. Die nicht öffentliche Tagung wird durch die Deutsche Forschungsgemeinschaft und durch die „Topical Programs“ der WWU Münster finanziell gefördert.

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