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Münster (upm).
Wie soll das Miteinander von Mensch und Tier aussehen? Diese Frage wird bei der interreligiösen und transdisziplinären Tagung „Tiere im Anthropozän“ diskutiert.<address>© Nighthawk Shoots auf Unsplash</address>
Wie soll das Miteinander von Mensch und Tier aussehen? Diese Frage wird bei der interreligiösen und transdisziplinären Tagung „Tiere im Anthropozän“ diskutiert.
© Nighthawk Shoots auf Unsplash

„Tiere als Lebewesen ernst nehmen“

Drei Statements zum Miteinander von Mensch und Tier in der Zukunft

Das münstersche Institut für Theologische Zoologie lädt in Kooperation mit dem Zentrum für Islamische Theologie und der Arbeitsstelle Forschungstransfer der WWU zur Tagung „Tiere im Anthropozän“ ein. Klimawandel, Artensterben, Verlust der Biodiversität – diese drängenden Probleme werden bei der zweitägigen Konferenz beleuchtet, und es wird nach Lösungen gesucht. Aus diesem Anlass beschreiben zwei Wissenschaftlerinnen und ein Wissenschaftler, wie das Miteinander von Mensch und Tier aus ihrer Sicht in Zukunft aussehen soll.

 

Prof. Dr. Valeska Becker<address>© Privat</address>
Prof. Dr. Valeska Becker
© Privat
Dr. Valeska Becker, außerplanmäßige Professorin der Abteilung für Ur- und Frühgeschichtliche Archäologie an der WWU:

Bis vor wenigen Hundert Jahren war das Zusammenleben von Menschen und Nutztieren wesentlich enger als heute. Menschen und Rinder, Schafe, Ziegen, Schweine und Geflügel lebten teils unter einem Dach. Fleisch kam für die meisten Menschen selten auf den Tisch, es war teuer, etwas Besonderes; es bedeutete den Tod dessen, was oft mühselig großgezogen worden war.

Heute ist Fleisch allgegenwärtig, überall und günstig zu haben. Zu dem, was wir essen, herrscht Distanz: Die meisten von uns wissen nichts über das Tier, das als Fleisch auf dem Teller landet, wo es geboren wurde, wie es gelebt hat und wie, wo und wann es gestorben ist. Die Verdrängung ist gewollt – und unehrlich. Diese Entfremdung, das Nicht-Wissen und Nicht-Wissen-Wollen um Lebewesen, mit denen wir grundlegende physiologische und psychologische Eigenschaften teilen, ist für mich ein Aspekt, der in Zukunft anders gestaltet sein sollte. Zu begreifen, dass Tiere Lebewesen mit eigenen Interessen sind, ist der Schlüssel dafür, mit dem „anderen“ Tier respektvoller umzugehen.

 

Prof. Dr. Asmaa El Maaroufi<address>© Shirin Fachar</address>
Prof. Dr. Asmaa El Maaroufi
© Shirin Fachar
Dr. Asmaa El Maaroufi, Juniorprofessorin für Islamische Philosophie – Schwerpunkt Islamische Ethik an der WWU:

Mit der Frage nach dem Miteinander wird nicht selten die Frage nach den Nutzungsmöglichkeiten von Tieren assoziiert. Das Tier als das gänzlich Andere und daher legitim zu Benutzende ist folglich noch immer eine Perspektive, die unser Denken stark prägt. Es bedarf eines Perspektivwechsels, bei dem wir Tiere auch als Lebewesen mit jeweiligem Selbstzweck ernst nehmen. Hinweg von anthropozentrischen Perspektiven, in denen einzig nach den Interessen der Menschen gefragt wird, und hin zu einer relationalen Perspektive, die nach den phänomenologischen Momenten des gemeinsamen In-der-Welt-Seins fragt (intersoziale Dimension) und dabei Interessen und Bedürfnisse von Menschen und Tieren ernst nimmt. Die Frage nach dem Miteinander wäre daher keine Frage mehr, die über den Vergleich von Menschen und Tieren funktioniert, sondern eine, die die Verwobenheit und das Angewiesensein von allen Lebewesen in den Fokus setzt. Hierdurch wären (neue) gemeinsame, friedlichere Begegnungen möglich, aus denen gemeinsame Narrative entstehen können.

 

Dr. Rainer Hagencord<address>© Michele Cappiello</address>
Dr. Rainer Hagencord
© Michele Cappiello
Dr. Rainer Hagencord, Leiter des Instituts für Theologische Zoologie e. V., Münster:

Für mich ist die Tagung ‚Tiere im Anthropozän‘ exemplarisch dafür, was sich in unserer Gesellschaft verändern muss: Wir benötigen transdisziplinäre und erfahrungsgesättigte Bildung zum Umgang mit Tieren.

Bei der Tagung treffen daher Theologinnen und Theologen der drei großen monotheistischen Religionen auf Experten aus verschiedenen Disziplinen wie Verhaltensbiologie, Philosophie und Landschaftsökologie. Wir berichten während des zweitägigen Programms aus dem Erfahrungsschatz, den wir durch Lehrveranstaltungen oder beispielsweise durch therapeutische Arbeit mit Tieren gewinnen.

Der Literaturnobelpreisträger Elias Canetti hat das Verhältnis des Menschen zum Tier auf den Punkt gebracht. „Mit zunehmender Erkenntnis werden die Tiere den Menschen immer näher sein“, schrieb er einst. „Wenn sie wieder so nahe sind wie in den ältesten Mythen, wird es kaum mehr Tiere geben.“ Mit der Tagung an der Universität wollen wir zu dem Erkenntnisgewinn beitragen, von dem Elias Canetti spricht.

 

Dieser Artikel stammt aus der Unizeitung wissen|leben Nr. 3, 3. Mai 2023.

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