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Münster (upm/anb/ch).
Das Wissenschaftsjahr 2023 widmet sich dem Thema „Unser Universum“. Aus diesem Anlass hat die Redaktion der wissen|leben den Physiker Prof. Dr. Kai Schmitz (l.) und den Philosophen Prof. Dr. Ulrich Krohs zu einem Gespräch über ihre Faszination für das Universum und die Erkenntnisse der Wissenschaft eingeladen. Im Hintergrund ist die Projektion eines Sternentstehungsgebiets im Carina-Nebel zu sehen. Das neue James-Webb-Weltraumteleskop der Weltraumagenturen NASA, ESA und CSA hat dieses Bild aufgenommen.<address>© WWU - Peter Leßmann/NASA, ESA, CSA, and STScI. Image processing: J. DePasquale (STScI)</address>
Das Wissenschaftsjahr 2023 widmet sich dem Thema „Unser Universum“. Aus diesem Anlass hat die Redaktion der wissen|leben den Physiker Prof. Dr. Kai Schmitz (l.) und den Philosophen Prof. Dr. Ulrich Krohs zu einem Gespräch über ihre Faszination für das Universum und die Erkenntnisse der Wissenschaft eingeladen. Im Hintergrund ist die Projektion eines Sternentstehungsgebiets im Carina-Nebel zu sehen. Das neue James-Webb-Weltraumteleskop der Weltraumagenturen NASA, ESA und CSA hat dieses Bild aufgenommen.
© WWU - Peter Leßmann/NASA, ESA, CSA, and STScI. Image processing: J. DePasquale (STScI)

„Man sollte den Urknall nicht als scharfe Grenze definieren“

Wissenschaftsphilosoph Ulrich Krohs und Physiker Kai Schmitz diskutieren über das Universum

Das Wissenschaftsjahr 2023 widmet sich dem Thema „Unser Universum“. Aus diesem Anlass sprechen Dr. Ulrich Krohs, Professor für Philosophie mit Schwerpunkt Wissenschaftstheorie und Naturphilosophie, und Dr. Kai Schmitz, Juniorprofessor für Teilchenkosmologie am Institut für Theoretische Physik, im Interview mit Christina Hoppenbrock und André Bednarz über ihre Begeisterung für den Kosmos und die Erkenntnisse der Wissenschaft.

 

Was macht die Faszination des Universums aus?

Ulrich Krohs: Für mich gehört dazu, dass wir eine Ordnung sehen, die wir zunächst nicht verstehen und die uns erhaben erscheint. Diese Ordnung wird schon seit der Antike beobachtet – das altgriechische Wort Kosmos bedeutet „Schmuck“ oder „Ordnung“.

Kai Schmitz: Der Blick nach oben an den Sternenhimmel als kleiner Junge hat meine Faszination ausgelöst. Das Universum ist die Weltbühne für alle Prozesse, von denen wir Kenntnis haben. Dazu gehören kosmologische Prozesse, aber auch solche hier auf der Erde. Damit zeigt sich die Schönheit des Universums nicht nur weit draußen, sondern auch ganz nah.

Prof. Dr. Ulrich Krohs setzt sich in seiner Forschung unter anderem mit der allgemeinen Wissenschaftstheorie sowie mit Fragen der Technik- und Naturphilosophie auseinander.<address>© WWU - Peter Leßmann</address>
Prof. Dr. Ulrich Krohs setzt sich in seiner Forschung unter anderem mit der allgemeinen Wissenschaftstheorie sowie mit Fragen der Technik- und Naturphilosophie auseinander.
© WWU - Peter Leßmann
Welche Assoziationen haben Sie, wenn Sie an das Universum denken?

Schmitz: Ich stelle mir die großräumige Struktur des Universums vor, das sogenannte kosmische Netz. Gleichzeitig denke ich an unseren Ort im Universum als Adresse: Schloss, Schlossplatz 2, Münster, Deutschland, Europa, die Erde, das Sonnensystem, die Milchstraße, die Lokale Gruppe des Virgo-Superhaufens, der Laniakea-Superhaufen.

Krohs: Ich denke zuerst an die Sterne am Himmel, dann an den Urknall, aus dem das Universum hervorgegangen ist – als ein Symbol für die theoretische Durchdringung, die Sie, Herr Schmitz, von ihrem Fach aus leisten. Schließlich denke ich an die endlichen, aber kaum zu fassenden Weiten des Universums.

Schmitz: Ich hätte noch eine weitere Antwort: Ich stelle mir das Universum als Zwiebel vor.

Als Zwiebel?

Schmitz: Ja. Die inneren Schalen sind die jüngsten, weil der Blick ins Universum hinaus gleichzeitig dem Blick in die Vergangenheit entspricht. Wir können nicht beliebig weit ins Universum hinausschauen, weil die Lichtgeschwindigkeit endlich ist und unser Universum ein endliches Alter hat. Wir schauen bis hin zu einem Horizont, bis zur äußersten Schale, wo wir das Universum in seinem frühesten Zustand sehen.

Warum soll sich der Mensch mit dem Universum beschäftigen?

Krohs: Um alle Phänomene, die uns umgeben, besser verstehen zu können. Das ist für viele Menschen ein inneres Bedürfnis.

Schmitz: Das Universum zu verstehen, heißt, die Erde zu verstehen. Es geht um unseren Ursprung und den Ursprung aller Dinge. Die moderne Wissenschaft hat uns etwa gezeigt, dass alles Leben auf der Erde aus Sternenstaub besteht – aus von sterbenden Sternen ausgeschleuderten chemischen Elementen.

Krohs: Das heißt aber nicht, dass wir Sternenstaub sind. Wir bestehen aus den Atomen, die aus dem Sternenstaub stammen. Aber es erforderte noch einige Milliarden Jahre an Evolution, bis sie sehr komplex zusammengesetzt waren.

Prof. Dr. Kai Schmitz beschäftigt sich mit Forschungsthemen an der Schnittstelle von Teilchenphysik und Kosmologie, insbesondere Gravitationswellen aus dem frühen Universum.<address>© WWU - Peter Leßmann</address>
Prof. Dr. Kai Schmitz beschäftigt sich mit Forschungsthemen an der Schnittstelle von Teilchenphysik und Kosmologie, insbesondere Gravitationswellen aus dem frühen Universum.
© WWU - Peter Leßmann
Wenden wir uns der Forschung konkreter zu. Was waren die wichtigsten oder vielleicht auch lang ersehnten wissenschaftlichen Entdeckungen der vergangenen Jahre?

Krohs: Lang ersehnt war die direkte Messung von Gravitationswellen im Jahr 2015. Das war eine wichtige Bestätigung der Gedanken, die Einstein in seiner Allgemeinen Relativitätstheorie vor 100 Jahren formulierte. Jüngst kam noch die Inbetriebnahme des James-Webb-Weltraumteleskops hinzu. Mit ihm können wir weit in die Vergangenheit gucken – um im Bild zu bleiben: Bis zu den äußeren Zwiebelschalen, die wir uns um unsere eigene ‚Adresse‘ herum gelegt denken.

Schmitz: Auch ich finde die Gravitationswellen faszinierend. Anhand ihrer Entdeckung zeigt sich, wie viel theoretische Vorarbeit zu Beginn des 20. Jahrhunderts und internationale Zusammenarbeit in den vergangenen Jahrzehnten nötig waren, um diesen Durchbruch zu schaffen. Spannend finde ich außerdem die Entdeckung der beschleunigten Expansion des Universums im Jahr 1998. Die theoretisch postulierte dunkle Energie, mutmaßlich verantwortlich für diese Beobachtung, ist noch ein Mysterium.

Stehen die bisherigen Erkenntnisse der Wissenschaft auf einem soliden Fundament?

Schmitz: Die Kosmologie gilt heutzutage als präzise Wissenschaft. Der Blick auf das Standardmodell der Kosmologie zeigt aber, dass es Bestandteile enthält, die wir nicht kennen oder genau verstehen – etwa dunkle Energie und dunkle Materie.

Krohs: 95 Prozent des Universums sollen daraus bestehen. Ich halte es für eine kühne Hoffnung, dass die Erklärung der fünf Prozent, die unsere Theorien gut erfassen, nicht durch die übrigen 95 Prozent beeinträchtigt wird. Es ist möglich, dass wir irgendwann im Hinblick auf die Erkenntnisse über das Universum einen deutlichen Perspektivwechsel erleben werden.

Welche Entdeckungen erhoffen Sie sich für die Zukunft?

Schmitz: Ich bin gespannt, was auf dem Gebiet der Gravitationswellen passiert. Durch die Erschließung neuer Frequenzen mittels künftiger Gravitationswellen-Experimente auf der Erde und im Weltall öffnet sich ein ganz neues Fenster für die Beobachtung des Kosmos – wir können jetzt nicht nur in das Universum hinausschauen, sondern erstmals auch hören.

Krohs: Ich denke, es kann zwei unterschiedliche Arten von Entdeckungen geben, nämlich solche, die zur Verfeinerung des derzeitigen Bildes beitragen, und solche, die zur Revision beitragen. Besonders spannend finde ich Entdeckungen, die zur Revision beitragen.

Schmitz: Das stimmt. Vielleicht wird man im Rückblick eines Tages sagen können, dass sich gerade in diesem Jahrzehnt, in den 2020er-Jahren, die Anzeichen für eine komplette Revision gemehrt haben. Ich denke da an die Messung der Expansionsrate. Es deuten sich feine Risse im Standardmodell der Kosmologie an, da einige Beobachtungen, etwa bei der Verteilung von Galaxien, nicht mit unserem derzeitigen Modell in Einklang gebracht werden können.

Wie gehen Sie mit den Phänomenen um, die bislang noch nicht erforscht werden können, also etwa der Frage, was vor dem Urknall war?

Krohs: Diese ungeklärten Phänomene lassen mich die Frage danach stellen, ob es eine prinzipielle Grenze der Erkenntnis gibt. Wenn Zeit verstanden wird als Bewegung von Materie, dann kann es vor dem Urknall keine Zeit gegeben haben, weil sich nichts bewegte. Eine solche Vorstellung ist für uns kaum fassbar. Auch die Antwort ins Transzendente zu verlegen, hilft nichts. Einen Schöpfergott als Erklärung anzuführen ist unzureichend, da es sich dabei um eine nicht überprüfbare Hypothese handelt. Ein transzendentes Wesen kann nur dem Einzelnen einen Umgang bieten. Kurzum: Ich hoffe, dass man irgendwann durch den Urknall hindurchgucken kann.

Schmitz: Dem schließe ich mich an. Man sollte sich immer damit schwertun, einen blinden Flecken als absolut blind zu deklarieren. Was vor 300 Jahren als blinder Fleck galt, ist es heute mitunter nicht mehr. Es mag sein, dass in 300 Jahren unsere heutigen blinden Flecken erhellt werden und sich neue auftun. Man sollte den Urknall auch nicht als eine scharfe Grenze definieren zwischen dem, was wir erforschen können, und dem, was nicht. Wir tasten uns in der Forschung derzeit immer weiter an den Zeitpunkt gleich Null heran, aber bislang erreichen wir ihn nicht.

 

 

Das Wissenschaftsjahr 2023

Die Wissenschaftsjahre werden auf Initiative des Bundesministeriums für Bildung und Forschung ausgerufen. Das Wissenschaftsjahr 2023 – „Unser Universum“ – beleuchtet uralte Menschheitsfragen nach Sein und Sinn genauso wie aktuelle Forschungsvorhaben und Zukunftsperspektiven.

 

 

Dieser Artikel stammt aus der Unizeitung wissen|leben Nr. 1, 1. Februar 2023.

 

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