Unterricht zum Wohl des Landes
Die Universität Münster ist im Jahr 2023 eine Hochschule mit knapp 45.000 Studierenden, davon 56 Prozent Frauen, die in 15 Fachbereichen von knapp 600 Professorinnen und Professoren unterrichtet werden. Als die Universität Münster vor 250 Jahren – zum Wintersemester 1773/74 – ihren Unterrichtsbetrieb aufnahm, waren diese Zahlen unvorstellbar. Die Stadt Münster hatte zu dieser Zeit weniger als 15.000 Einwohner. Der ersten Handvoll Studierender standen zunächst sieben Professoren der Philosophischen und der Theologischen Fakultät sowie ein Professor der Juristischen Fakultät gegenüber. Auch wenn die Matrikelbücher, die ab 1780 nach der feierlichen Inauguration der neuen Universität geführt wurden, nicht vollständig sind, wurde die Zahl von wenigen hundert Studierenden wohl nie überschritten.
1773 stellten Papst Clemens XIV. und Kaiser Joseph II. Privilegien für die neue Hochschule aus. Ihr Gründer Fürstbischof Maximilian Friedrich von Königsegg-Rothenfels war nicht der erste, der versuchte, in Münster eine Universität zu errichten. Ihm kam jedoch zugute, dass zum einen das an der Überwasserkirche angesiedelte Benediktinerinnenkloster St. Marien geschlossen, zum anderen der international agierende Jesuitenorden vom Papst aufgehoben wurde. Mit deren Vermögen und Einkünften waren die Grundlagen für die Finanzierung der Universität gelegt. Verknüpft war sie dabei aufs Engste mit dem bis dahin von den Jesuiten geführten Gymnasium Paulinum. Etliche Professoren der Philosophischen und der Theologischen Fakultät waren dort zuvor als Lehrer tätig gewesen.
Der Ausbau der neuen Universität zog sich noch viele Jahre hin. Erst in den 1790er-Jahren konnte Generalvikar Franz von Fürstenberg als Universitätskanzler und eigentlicher „Spiritus Rector“ endlich auch die von Anfang an vorgesehenen medizinischen Professuren besetzen, die die vierte Fakultät bildeten. Zu diesem Zeitpunkt neigte sich die fürstbischöfliche Zeit schon ihrem Ende zu. Es folgten die erste preußische, die französische und die zweite preußische Herrschaft, die trotz weitreichender Pläne zunächst keine grundlegenden Änderungen in der Ausrichtung und Ausstattung der Universität brachten, letztendlich aber 1818 zu einer Rückstufung zu einer Lehranstalt zugunsten der neu errichteten Universität Bonn führten. Die Juristische und die Medizinische Fakultät wurden geschlossen, es verblieben die Philosophische und die Theologische Fakultät, die vor allem der Ausbildung von Lehrern und Pfarrern dienten. 1902 wurde die Lehranstalt wieder zu einer Universität hochgestuft. Der zwischenzeitlich fehlenden Medizinerausbildung begegnete man 1821 mit der Gründung einer Chirurgisch-Medizinischen Lehranstalt, die allerdings 1849, wie alle anderen preußischen Chirurgenschulen, wieder geschlossen wurde.
Das Studium an der ersten Universität Münster war der Zeit entsprechend weniger an Forschung als vielmehr an praktischer Anwendbarkeit des Erlernten ausgerichtet. Benötigt wurden Juristen für die Gerichte und die Verwaltung, Lehrer, Geistliche und Mediziner, die sich nach dem Studium in großer Zahl als Landärzte betätigten. Frauen waren noch nicht zum Studium zugelassen, obgleich es auch Kurse für Hebammen gab, in denen diese mit den Grundlagen der Anatomie, Geburtshilfe und Chirurgie vertraut gemacht wurden. Die Zielsetzung des Unterrichts war unabhängig von Standes- und Geschlechtergrenzen das Wohl des Landes.
Münster war die erste Universität in Deutschland, an der „Deutsche Literatur und Sprache“ als einer frühen Form des Faches Germanistik belegt werden konnte, die sich zwar auch mit schöngeistiger Literatur befasste, im Wesentlichen aber darauf ausgerichtet war, Richter und Pfarrer für das Formulieren von Texten und den Vortrag vor Publikum berufstauglich zu machen. Wirklich spektakulär und innovativ war, dass der Philosophieprofessor und ehemalige Jesuit Ferdinand Ueberwasser damit beauftragt war, empirische Psychologie zu unterrichten, lange bevor dies an anderen Universitäten überhaupt in Erwägung gezogen wurde. Sein 1787 veröffentlichtes Lehrbuch zum Thema nötigt auch heutigen Psychologen noch Respekt ab.
Das Studium war einer kleinen Minderheit von jungen Männern vorbehalten, deren Familien es sich leisten konnten, für die notwendige Vorbildung zu sorgen und die Kosten des Studiums – neben Unterhalt auch Studiengebühren – zu tragen. Begabten Studierenden aus ärmeren Bevölkerungsschichten wurde insoweit ein Zugang zur Universität gewährt, als die Immatrikulationsgebühren erlassen werden konnten und eine Unterstützung für Kost und Logis möglich war. Die Studierenden rekrutierten sich vor allem aus Münster und dem Münsterland. Ihre Wohnung behielten sie bei ihren Eltern oder sie mieteten eine kleine, möglichst zentral gelegene Kammer bei einer Familie oder bei einer Witwe, die auf dieses zusätzliche Einkommen angewiesen war. Wesentliches Merkmal der Studierenden und der Professoren war, von einzelnen Ausnahmen in preußischer Zeit abgesehen, ihre katholische Konfession. Dies entsprach der Intention des Landesherrn sowie des Generalvikars von Fürstenberg, die Bildung der Bevölkerung im Sinne der katholischen Aufklärung zu heben.
Autorin Dr. Sabine Happ leitet das Universitätsarchiv der WWU Münster und ist Mitherausgeberin des Buchs „Gründung und Aufbau der Universität Münster, 1773 –1818“.
Dieser Artikel stammt aus der Unizeitung wissen|leben Nr. 1, 2. Februar 2023. Er ist Teil einer Themenseite zum 250-jährigen Vorlesungsbeginn an der Universität Münster.
Lesetipps zum Thema:
Anlässlich des Jubiläums konzipierten der Arbeitsbereich Historische Bildungsforschung und das Universitätsarchiv der WWU im Sommersemester 2021 eine gemeinsame Ringvorlesung unter dem Titel „(Fast) 250 Jahre Universität Münster“. Die Ergebnisse der zugrundeliegenden Forschungen sind in folgendem Sammelband erschienen: Jürgen Overhoff, Sabine Happ (Hg.): Gründung und Aufbau der Universität Münster, 1773–1818, Zwischen katholischer Aufklärung, französischen Experimenten und preußischem Neuanfang. Aschendorff-Verlag Münster, 2022. 232 Seiten, 29 Euro. ISBN: 978-3-402-15901-9.
Eine weitere Publikation zur Geschichte der Universität Münster entsteht derzeit aus Beiträgen, die aus einem bildungsgeschichtlichen Seminar im Wintersemester 2021/22 hervorgegangen sind. Dieses Projekt zum Thema „Objektgeschichte(n) schreiben“ hatte zum Ziel, anhand ausgewählter Objekte des universitären Alltags die Geschichte des Lehrens, Forschens und Studierens an der Universität Münster seit ihren Anfängen bis zur Gegenwart zu erzählen. Neben lesenswerten Beiträgen aus studentischer Feder beinhaltet der Sammelband „Geschichte der Universität Münster in 12 Objekten“ Illustrationen, die ebenfalls von Studierenden angefertigt wurden. Der Band erscheint im April 2023 im Aschendorff-Verlag.