Der Namensgeber im Fokus
Vor ziemlich genau zwei Jahren, im Januar 2021, startete das Projekt „Zur Sache WWU“, in dem sich die Universität Münster kritisch mit ihrem Namensgeber Wilhelm II., dem letzten deutschen Kaiser, auseinandersetzt. Was ist in den vergangenen 24 Monaten passiert? Wer war am Projekt beteiligt? Und wieso eigentlich bedurfte es überhaupt einer solchen Auseinandersetzung? Lesen Sie im Folgenden die wichtigsten Aspekte, Entwicklungen und Hintergründe:
Die Ausgangslage
Über Namen von Straßen, Plätzen und Denkmälern wird immer wieder diskutiert, vor allem dann, wenn sich die Bewertung des Namensgebers verändert hat – weil sich beispielsweise gesellschaftspolitische Einstellungen gewandelt haben oder weil historische Quellen eine neue Beurteilung erfordern. Auch Hochschulnamen sind oft Gegenstand von Änderungsdebatten. Die WWU ist nach Wilhelm II. benannt, in dessen Regierungszeit die Königliche Akademie in Münster wieder zur Universität erhoben wurde.
Da die Person und das Regierungshandeln des letzten deutschen Kaisers ein Jahrhundert nach dessen Abdankung umstritten sind, haben der Senat und das Rektorat der Universität beschlossen, einen Austausch zwischen Expertinnen und Experten, Mitgliedern der Universität und der breiten Öffentlichkeit zu schaffen. Das Projekt „Zur Sache WWU“ ist im Januar 2021 gestartet und koordiniert seitdem die Debatte darüber, wie ein zeitgemäßer Umgang mit Wilhelm II. aussehen kann.
Vorausgegangen war ein Beschluss des Senats im Jahr 2018, „ein Konzept zu einem historisch verantwortlichen Umgang der WWU mit Wilhelm II.“ zu erarbeiten. Leitlinie solle „die Beförderung einer kritischen, öffentlichen Auseinandersetzung mit seiner Person sein“. Eine vom Senat eingesetzte Arbeitsgruppe unter der Leitung des WWU-Historikers Prof. Dr. Olaf Blaschke hatte seinerzeit in ihrem Abschlussbericht konstatiert, „dass Wilhelm II. überaus militaristisch und nationalistisch, antislawisch und geradezu obsessiv antisemitisch war“. Darüber hinaus sei auch seine Rolle im deutschen Kolonialismus mit seinen Verbrechen zu diskutieren.
Allerdings habe, so ist ebenfalls im Bericht zu lesen, der letzte deutsche Kaiser die Wissenschaft gefördert, wie die erneute Erhebung der münsterschen Lehranstalt 1902 zur Universität bezeugt. Mit dem Vorschlag, Wilhelm II. zum Namensgeber zu machen, habe man den Kaiser nicht als Vorbild und Person als solche, sondern als Stifter und Landesvater ehren wollen.
Das methodische Vorgehen
Der Kern des Projekts ist eine historisch-kritische Auseinandersetzung mit Wilhelm II. Dazu untersuchte das Team Archivquellen, zum Beispiel Korrespondenzen, Zeitungsartikel und Protokolle. Ziel ist es, anhand der Dokumente die Geschichte des Universitätsnamens bestmöglich zu rekonstruieren und in den historischen Kontext einzuordnen. Auch die Betrachtung anderer Namens- und Denkmaldebatten gehört zu den Aufgaben des Projektteams. Ein neunköpfiger wissenschaftlicher Beirat begleitet und berät dessen Arbeit und setzt sich aus universitätsinternen und -externen Expertinnen und Experten zusammen.
Die Austauschformate
Ein wichtiger Bestandsteil von „Zur Sache WWU“ ist die Einbindung der Öffentlichkeit und der Austausch mit unterschiedlichen Zielgruppen wie Studierenden und interessierten Bürgern. Dazu entwickelte das Projektteam zahlreiche Kommunikations- und Veranstaltungsformate – beispielsweise einen Kurzfilm für die Erstsemesterbegrüßung, eine Radiosendung in Kooperation mit dem Historischen Seminar der WWU und Radio Q sowie drei Podiumsdiskussionen. Im Sommer dieses Jahres fand außerdem eine Ausstellung im Fußgängertunnel zwischen Schlossplatz und Hörsaalgebäude statt. Studierende der Münster School of Design zeigten, wie ein experimentell-künstlerischer Umgang mit dem Namensgeber der Universität aussehen kann. In Zusammenarbeit mit dem Verein für Geschichte und Altertumskunde Westfalens, der Villa ten Hompel und dem LWL-Medienzentrum veranstaltete das Projektteam außerdem öffentliche Fahrradführungen zur preußischen Geschichte der Universität und der Stadt Münster.
Die Medienresonanz
Von Beginn an haben sich zahlreiche lokale und nationale Medien für das Projekt interessiert. Das Medienecho ist auf der Projekthomepage dokumentiert. Unter anderem berichteten die Hörfunksender WDR 5 und Deutschlandfunk Kultur in ihren Sendungen sowie die Frankfurter Allgemeine Zeitung und die Süddeutsche Zeitung als große überregionale Tageszeitungen über die Debatte und das Verfahren. Die lokale Presse, beispielsweise die Westfälischen Nachrichten und Radio Antenne Münster, bilden regelmäßig den aktuellen Stand der Auseinandersetzung ab.
Der Ausblick
Über den weiteren Umgang mit ihrem Namensgeber wird die WWU voraussichtlich im Jahr 2023 entscheiden. Formal gilt: Über den Namen der Universität entscheidet der Senat, weil er die Grundordnung beschließt. Für alle übrigen Fragen des Umgangs mit dem Namensgeber ist hingegen vorrangig das Rektorat verantwortlich. Beide Gremien werden sich entsprechend abstimmen. Die Universität sucht gegebenenfalls den Austausch mit dem NRW-Wissenschaftsministerium, soweit dessen Mitwirkung gesetzlich vorgeschrieben ist.
Autorin: Kathrin Kottke
Dieser Artikel stammt aus der Unizeitung wissen|leben Nr. 8, 21. Dezember 2022.