Digitaler Neubau für das Haus der Bücher
Die Universitäts- und Landesbibliothek (ULB) Münster ist nicht nur eine bedeutende Einrichtung der WWU, wenn es darum geht, Forschung, Lehre und Studium zu ermöglichen, sie gehört mit mehr als sieben Millionen Medien auch zu den zehn größten Bibliotheken Deutschlands. Um jährlich rund 1,4 Millionen Medien an etwa 55.000 Nutzerinnen und Nutzer auszuleihen, neue Bücher zu kaufen, Datenbanken zu pflegen und die Arbeit der rund 250 Mitarbeiterinnen und Mitarbeiter zu erleichtern, greift die ULB schon seit mehreren Jahrzehnten auf IT-Systeme zurück.
Allein der Blick auf diese Zahlen lässt erahnen, dass es kein kleines Unterfangen ist, wenn nicht nur einzelne Komponenten der ULB-Software erneuert, sondern das gesamte Bibliotheksmanagementsystem, wie es fachsprachlich heißt, ersetzt werden soll – und das mit nur wenigen Störungen des laufenden Betriebs. Doch genau das schafften die Mitarbeiter der ULB – am 1. August um Punkt 12 Uhr aktivierten sie mit „Alma“ ein neues, alles betreffendes System. „Wir haben keinen Stein auf dem anderen gelassen“, erklärt Antje Gildhorn, Dezernentin für wissenschaftliche Bibliotheksdienste und Mitglied des zwölfköpfigen Leitungsteams für die Systemumstellung. Denn neben der technischen Runderneuerung des Bibliothekssystems war das Projekt vor allem auch eines der Organisationsentwicklung und bedeutet für alle Mitarbeiter eine umfassende Veränderung ihrer Arbeitsabläufe.
Wir haben keinen Stein auf dem anderen gelassen.
Vor drei Jahren nahm alles seinen Anfang, als das Ministerium für Kultur und Wissenschaft NRW das Hochschulbibliothekszentrum (HBZ) in Köln damit beauftragte, für alle 42 Hochschulen des Bundeslandes ein einheitliches, modernes Bibliotheksmanagementsystem anzuschaffen. Nach einem Ausschreibungsverfahren erhielt das israelische Unternehmen Ex Libris den Zuschlag. Es gilt als einer der Weltmarktführer für solche Systeme, dessen Produkte in weiten Teilen Europas und Nordamerikas genutzt werden. Die Anschaffungskosten und die Lizenzgebühren für die ersten fünf Jahre übernimmt das Landesministerium.
Für das ULB-Personal begann nach der Vertragsunterzeichnung im September 2019 eine drei Jahre währende Arbeit: In den ersten zwei Jahren, bis zum Sommer 2021, legte das erweiterte Planungsteam, bestehend aus etwa 50 Mitarbeitern aller Abteilungen, die Grundlage für die zum 1. August 2022 geplante Umstellung. Zu Beginn erfolgte zunächst eine Prozessanalyse. „Wir haben uns die teilweise jahrzehntealten Abläufe in der ULB angeschaut, ihre Effizienz bewertet und schließlich alte Zöpfe abgeschnitten“, führt Antje Gildhorn aus. Dem Team kam dabei zugute, dass es sich bereits in den Jahren vor der Umstellung nach einem Ersatz für das in die Jahre gekommene und nicht mehr aktualisierte System „SISIS“ umgeschaut hatte.
Die ULB und die weiteren NRW-Hochschulbibliotheken bildeten verbundweite Arbeitsgruppen, um Erfahrungen auszutauschen, sich zu beraten und zu ermitteln, welche Anforderungen das neue System erfüllen muss. Doch trotz der Kooperation war jede Bibliothek in mancherlei Hinsicht auf sich allein gestellt: Heterogene Ausgangssysteme und Datenstrukturen oder Anbindungen an die jeweilige Hochschul-IT machten individuelle Lösungen vor Ort erforderlich. So waren etwa eigene Programmierungen erforderlich, um die sieben Millionen Mediendatensätze automatisiert zu bereinigen und so aufzubereiten, dass diese in modernem Gewand in das neue System migriert werden konnten.
All dies geschah zu großen Teilen während der Coronapandemie. „Das stellte uns zunächst vor zusätzliche Herausforderungen, da Projektarbeit stets mit einem großen Bedarf an Kommunikation einhergeht“, betont Dr. Stephanie Klötgen, Leiterin des Dezernats Digitale Dienste und Projektleiterin der Systemeinführung. Doch die Mitarbeiter profitierten schnell von der digitalen Infrastruktur ihres Hauses und der WWU, sodass sowohl im Verbund als auch innerhalb der ULB der digitale Kontakt zunahm. In der Folge wurde Althergebrachtes neu gedacht, das clientbasierte „SISIS“-System – starr, mit vielen Programmen innerhalb der ULB nicht kompatibel und alles andere als modern – wurde durch das cloudbasierte und damit per Browser bedienbare „Alma“ ersetzt. Damit verfügt die ULB nun über ein modernes, effizientes, besser zu handhabendes und bewegliches System. „Das kommt sowohl den Mitarbeitern der ULB zugute als auch den Nutzern“, erklärt Stephanie Klötgen.
Die Motivation unserer Mitarbeiter war enorm.
Zwar mögen die ULB-Nutzer nur wenig von den Neuerungen im Hintergrund spüren, doch auch für sie bietet das System einige Vorteile: Alle Bibliotheksstandorte der WWU sind von nun an besser miteinander vernetzt, wodurch etwa Informationen über die Buchbestände in Echtzeit eingesehen werden können. Die Nutzer profitieren zudem von „KatalogPlus“, der den früheren Katalog und „disco“ ersetzt und eine direkte Anbindung an das Benutzerkonto ermöglicht. Die Anmeldung erfolgt neuerdings mithilfe der zentralen WWU-Kennung und nicht mehr durch einen separaten ULB-Zugang. Elektronische Ressourcen sind leichter und in größerem Umfang abrufbar.
Die ULB hat dank präziser Planung und eines gemeinsamen Kraftaktes aller Beschäftigten das Ziel erreicht und sich mit dem neuen System für zukünftige Aufgaben einer Hochschulbibliothek gewappnet. Zwar sind viele Überstundenkonten in der ULB prall gefüllt, alle Angestellten müssen sich nach und nach mit dem neuen System vertraut machen und vierteljährliche Updates des Herstellers sowie interne Anpassungen verlangen von nun an mehr Flexibilität – doch ist die Freude über die Umstellung groß. „Die Motivation unserer Mitarbeiter war enorm. Wir können stolz darauf sein, dass wir gemeinsam dieses große Projekt in der vorgegebenen Zeit und unter Einbeziehung so vieler Mitarbeiter geschafft haben“, unterstreicht ULB-Direktorin Dr. Beate Tröger.
Autor: André Bednarz
Dieser Artikel stammt aus der Unizeitung wissen|leben Nr. 6, 12. Oktober 2022