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Münster (upm).
Das Tiny House verfügt über alle wesentlichen Bestandteile, die ein Haus ausmachen – nur in kleinem Format. Studierende haben die Erwartungen untersucht, die Bewohner und Gesellschaft mit den Minihäusern verknüpfen.<address>© lowphoto – stock.adobe.com</address>
Das Tiny House verfügt über alle wesentlichen Bestandteile, die ein Haus ausmachen – nur in kleinem Format. Studierende haben die Erwartungen untersucht, die Bewohner und Gesellschaft mit den Minihäusern verknüpfen.
© lowphoto – stock.adobe.com

Wohnen im Tiny House: nachhaltig oder nur eine Modeerscheinung?

Studierende erheben im Seminar, warum weniger manchmal mehr ist

Je mehr Platz, desto besser: Das galt lange Zeit als mehr oder weniger bewusste Maxime im Wohnungsbau. Doch in Zeiten von Klimawandel und Energiemangel deutet sich ein Umdenken an. Louisa Elbracht hat während ihres Masterstudiums Humangeographie an der WWU untersucht, warum Menschen das Leben in einem so genannten Tiny House in Erwägung ziehen. Das kann ein umgebauter Seecontainer oder ein selbst gebautes Minihaus sein, mit in der Regel zwischen 15 und 45 Quadratmetern Nutzfläche. Das Studierendenprojekt am Institut für Geographie unter der Leitung von Dr. Petra Lütke ist nun ein Buchkapitel in der englischsprachigen „Home“-Serie des Routledge-Verlages entstanden, das im Peer-Review-Verfahren begutachtet wurde.

„Einerseits steigt der Pro-Kopf-Verbrauch der Wohnfläche, während andererseits das Interesse an Tiny Houses messbar wächst“, erläutert Louisa Elbracht. Daher befragte ich unterschiedliche Menschen, die in Tiny Houses leben oder dieses planen, nach ihren Motiven. „Ich habe mich auch dafür interessiert, ob es gesellschaftliche Entwicklungen gibt, die diese Entscheidung begünstigen.“ Dabei ging es auch darum zu schauen, ob die Nachhaltigkeit wirklich eine so große Rolle bei der Abkehr vom „normalen“ Wohnen spielt, wie es häufig unterstellt wird.

Louisa Elbracht<address>© privat</address>
Louisa Elbracht
© privat
Nachhaltige Entwicklung als Wirtschaftsziel

„Viele der Befragten finden, dass die Menschen insbesondere in industrialisierten Ländern zu viel kaufen und besitzen“, sagt Louisa Elbracht. Wohnen im Tiny House verbraucht weniger Fläche und weniger andere Ressourcen als ein Einfamilienhaus, zumal es häufig mit dem Wunsch nach anderen umweltbewussten Verhaltensweisen einhergeht, etwa eher regionale Produkte einzukaufen. Ihren Umzug in das deutlich kleinere Zuhause verstehen deren Bewohner und Befürworter oft als Kritik an der übermäßigen Konsumgesellschaft und als Antwort auf einen globalisierten Handel. Die Selbstbeschränkung betrifft zwar die unmittelbare Lebensführung, aber sie wird in der Regel als freiwillig und bewusst gewählt beschrieben. „Auf Platz zu verzichten nehmen die Befragten gerne in Kauf, um Umweltschäden zu vermeiden oder zu reduzieren.“

Als weiteres wichtiges Motiv ist die Entschleunigung, die sich die Befragten vom Leben in einem Tiny House erhoffen. „Auch das kann eine Antwort des Individuums auf die gesellschaftliche Logik eines stetigen Wachstums sein“, unterstreicht Louisa Elbracht. Wenn laufend neue Produkte auf den Markt kommen, entstünde bei den Konsumenten das Gefühl, ihre veralteten Güter durch neue und vermeintlich bessere ersetzen zu müssen. „Auf wenigen Quadratmetern kann man aber kaum materiellen Besitz anhäufen und überlegt sich eher, wie sich vorhandenes besser und länger nutzen lässt.“ Das kann bedeuten, ein kaputtes Kleidungsstück zu flicken, anstatt etwas neues zu kaufen, oder dass mehrere Menschen Dinge wie Werkzeug zusammen anschaffen und es sich teilen. Die Studierenden haben sich damit befasst, wie konstruiert vermeintliche Bedürfnisse mitunter sein können. „Die Befragten möchten aus der Konsumspirale aussteigen und merken: Sie brauchen eben nicht immer das bessere Auto als ihre Nachbarn. Das empfinden viele als Entlastung.“ Durch das Leben im Tiny House erhoffen sich viele Befragte ohnehin eine finanzielle Entlastung, dadurch dass beispielsweise eine hohe Miete wegfällt.

Dr. Petra Lütke<address>© privat</address>
Dr. Petra Lütke
© privat
Inwiefern kann die Bewegung dem ihr attestierten aktivistischen Anspruch und den Erwartungen der Gesellschaft überhaupt gerecht werden? „Die Befragten äußern diesen Anspruch, beispielsweise regionale Wirtschaftskreisläufe zu stärken“, sagt Louisa Elbracht. Dies decke sich mit der medialen Berichterstattung und dem Bild, das die Gesellschaft von der Tiny-House-Bewegung hat. Neben dem Wunsch nach einem nachhaltigeren, vielleicht auch übersichtlicheren Zuhause geht aus den Interviews ein weiteres Hauptmotiv für das Leben im Tiny House hervor. Die Studierenden fassen es mit dem Begriff „Unabhängigkeit“ zusammen: Abenteuerlust, Freiheit und Eigentum. Letzteres sei mit gesellschaftlicher Anerkennung verbunden. „Eine Rolle spielte für die Befragten das positive Image der Tiny Houses in Abgrenzung zu Mini-Appartments in Wohnblocks“, erläutert die 29-Jährige. Geäußert würde auch der Wunsch, dem gesellschaftlichen Druck insgesamt zu entkommen. „Das ganze Leben war viel zu viel geworden, da hab ich mir gedacht, ich stelle mir eine Hütte da an den Waldrand und ihr könnt mich alle mal kreuzweise“, zitiert sie aus den Gesprächen.

Die Studierenden haben für ihre empirische Untersuchung qualitative Interviews geführt und die Ergebnisse mit einer computergestützten qualitativen Datenanalyse ausgewertet. „Forschendes Lernen ist ein wichtiger Bestandteil unserer geographischen Lehre“, unterstreicht Petra Lütke. „Die selbstständige Entwicklung einer Fragestellung durch die Studierenden, ausgehend von eigenen Beobachtungen, individuellen Interessen, aber auch die im Seminar geführten Diskurse und die Berücksichtigung wissenschaftlicher Kriterien bei der Bearbeitung der Fragestellungen, machen spannenden Lehrveranstaltungen aus.“

Hintergrund

Die Tiny House-Bewegung hat ihren Ursprung in den USA, wo sie besonders nach dem Hurrikan Katrina (2005) und infolge der Finanzkrise (2007) an Bedeutung gewann. In Deutschland hat die Bewegung ebenfalls weite Verbreitung gefunden. Bei einer Studie aus dem Jahr 2021 gaben 58 Prozent der befragten deutschen Tiny-House-Käufer an, dieses als dauerhaften Wohnsitz nutzen zu wollen. 42 Prozent der Probanden beabsichtigten hingegen eine Nutzung als Wochenend- oder Ferienhaus. Die durchschnittliche Größe von Tiny Houses in Deutschland im Jahr betrug im Jahr 2019 28,7 Quadratmeter. Im Schnitt bezahlten deutsche Tiny House-Besitzer im Jahr 2019 etwa 67.000 Euro für ihr kleineres Zuhause. (Quelle: Statista 2022)

Autorin: Brigitte Heeke

 

Dieser Artikel stammt aus der Unizeitung wissen|leben Nr. 6, 12. Oktober 2022

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