Weiterentwicklung der Biotechnologie
Raum 021 in der Corrensstraße 3 ist ein ganz normales Labor des Instituts für Molekulare Mikrobiologie und Biotechnologie: weiße Arbeitsbänke, ein Platz mit Laborabzug, allerlei Zubehör. Nur die bunten Rollen mit Klebefilm, die an verschiedenen Arbeitsplätzen hängen, springen ins Auge. Fünf Rollen in verschiedenen Farben sorgen dafür, dass fünf studentische Laborgruppen ihr Equipment mit dem Kleber markieren können und nichts durcheinandergerät. Die Gruppen arbeiten gemeinsam an einem ambitionierten Projekt: Insgesamt 23 Bachelor- und Masterstudierende der WWU nehmen an einem international beachteten Wettbewerb auf dem Gebiet der Synthetischen Biologie teil, dem „international Genetically Engineered Machine“(iGEM)-Wettbewerb, der seit 2003 stattfindet. Es ist das erste Mal, dass ein Team der WWU dabei ist.
Synthetische Biologie ist ein relativ neues Forschungsgebiet. Es geht darum, biologische Systeme zu entwickeln, die in der Natur nicht vorkommen und die beispielsweise dazu dienen, medizinische Wirkstoffe oder andere gewünschte Substanzen herzustellen. Die Synthetische Biologie steht fachlich auf breiten Füßen: Sie verbindet die Biologie und Chemie mit den Ingenieurwissenschaften sowie der Informationstechnologie. „Die Synthetische Biologie ist eine logische Weiterentwicklung der Biotechnologie, aber sie findet sich kaum in den Lehrplänen wieder“, sagt Marius Luttermann. Der Masterstudent der molekularen Biomedizin ist gemeinsam mit seiner Kommilitonin Theresa Wörmann und Biologiestudent Louis Schanzmann Koordinator des iGEM-Projekts an der WWU.
Die Angehörigen des münsterschen Teams studieren Biowissenschaften, Biotechnologie, Biomedizin, Chemie oder Wissenschaftsphilosophie. Mit Herzblut und viel persönlichem Engagement in der Freizeit verfolgen sie ihr iGEM-Projekt „MonChassis”. Es geht darum, sogenannte Monoterpenoide auf ressourcenschonende Weise zu produzieren. Als pflanzliche Metaboliten – Stoffwechsel-Zwischenprodukte – werden sie hauptsächlich aus Pflanzen extrahiert. Die notwendigen Prozesse sind jedoch höchst energieintensiv und mitunter umweltbelastend. Das vom Team entwickelte „MonChassis“-System liefert eine alternative, biotechnologische Produktionsmethode für diese Stoffgruppe: Zunächst werden hierbei bestimmte Vorläufermoleküle in Hefen hergestellt. Diese werden anschließend über ein Chipsystem zu den gewünschten Endprodukten umgewandelt. Die Umwandlung wird von Enzymen durchgeführt, die auf der Oberfläche fixiert sind und mit elektrischem Strom angetrieben werden.
Der iGEM-Wettbewerb legt es den Teams nahe, sich mit regionalen und gesellschaftlich relevanten Problemen auseinanderzusetzen, und diese mithilfe der Synthetischen Biologie anzugehen. Das Team aus Münster greift dies auf, indem es das Monotepenoid Verbenon produziert. Verbenon kann als Repellent gegen Borkenkäfer eingesetzt werden. Neben diesem Beispiel finden Monoterpenoide in verschiedenen Branchen Anwendung, beispielsweise in der Lebensmittelindustrie.
„Das Projekt ist anspruchsvoll und sehr vielschichtig“, unterstreicht Mentor Prof. Dr. Jochen Schmid. Der Professor am Institut für Molekulare Mikrobiologie und Biotechnologie ist seit Langem begeistert von diesem besonderen Projektformat und initiierte die Teilnahme des ersten WWU- iGEM-Teams. „Neben der Laborarbeit stecken die Studierenden viel Energie in Öffentlichkeitsarbeit, um ihr Projekt einem breiteren Publikum vorzustellen“, sagt er.
So haben die Studierenden beispielsweise verschiedene Seniorenheime und Schulen besucht. „Wir wollen darüber informieren, was Synthetische Biologie bedeutet“, sagt Mit-Koordinatorin Theresa Wörmann. Schon allein bei den Grundlagen hapert es häufig – was sich hinter Begriffen wie Gentechnik oder Biotechnologie verbirgt, ist längst nicht jedem klar. „Ein Schlüsselerlebnis hatten wir mit einer Seniorin“, berichtet Marius Luttermann. „Sie war auf einem Bauernhof aufgewachsen und wusste, wie Käse hergestellt wird – dass man Lab, gewonnen aus Kälbermägen, benötigte. Sie hatte sich seit Jahren gefragt, woher das Lab kommen soll, um die Unmengen an Käse heutzutage zu produzieren. Durch uns hat sie erfahren, dass Lab heute unter anderem biotechnologisch erzeugt werden kann, mithilfe von gentechnisch veränderten Mikroorganismen und ohne Kälber. Die Dame hat sich sehr gefreut, dass wir ihr Rätsel gelöst haben.“
Das WWU-Team ist derzeit im Endspurt. Vom 26. bis 28. Oktober findet die internationale iGEM-Abschlusskonferenz, das Grand Jamboree, in Paris statt. Die Studierenden stellen mit etwa 350 weiteren Teams ihr Projekt vor. Natürlich hoffen alle, einen der ersten Plätze zu belegen. Doch egal, wie es ausgeht, es hat sich gelohnt. „Fachlich haben wir extrem viel gelernt“, unterstreicht Theresa Wörmann. „Und in der Zeit, die wir miteinander verbracht haben, sind auch viele Freundschaften entstanden.“
iGEM - der Wettbewerb
Am „international Genetically Engineered Machine“-Wettbewerb nehmen multidisziplinäre Teams von Studierenden aus der ganzen Welt teil. Sie realisieren Projekte mit modernster Synthetischer Biologie. Dazu entwerfen sie genetische „Bauteile“ oder passen sie für ihr Vorhaben an. Die Teams dokumentieren ihre Arbeit in Form von Wikis, Videos und Präsentationen und werden von Fachjurys bewertet. Die Studierenden sollen mit ihren Projekten dazu beitragen, gesellschaftliche Herausforderungen wie etwa Umweltprobleme zu lösen.
Autorin: Christina Hoppenbrock
Dieser Artikel stammt aus der Unizeitung wissen|leben Nr. 6, 12. Oktober 2022