Wenn aus Spiel Erkenntnis wird
Der Nachbau einer Druckerpresse im Bibelmuseum bildet die perfekte Kulisse für das Brettspiel „Gutenberg“, das an diesem Morgen als Anschauungsobjekt dient. Auf dem Cover ist eine Druckerpresse zu sehen, baugleich zu der im Bibelmuseum. Ein Hund umspringt mehrere Menschen, durch die Fenster der Druckerei fällt Licht ins Rauminnere.
Den Hund hätte es dort nicht unbedingt gegeben, ansonsten authentisch, beurteilen die Archäologin Anna Klara Falke und der Kirchenhistoriker Lukas Boch das Cover. Sie präsentieren einen Stich aus dem 15. Jahrhundert, ebenfalls eine Druckerei-Szene. Er belegt, wie nah das Cover am echten Mittelalter dran ist: die gleiche Art der Kleidung, eine ähnliche Druckerpresse, der Setzkasten für die Lettern im Hintergrund. Lukas Boch und Anna Klara Falke kennen sich aus: Sie forschen zu Brettspielen und gehören zu den Kuratoren der Brettspiel-Ausstellung „Mönch ärgere dich nicht“, die ab dem 28. August in der Abtei Liesborn im Kreis Warendorf stattfindet.
Warum Forschung zu dem Thema wichtig ist? „Wir leben in einem Brettspiel-Land, leider ist das den wenigsten bewusst“, bedauert Lukas Boch. Der deutsche Kritikerpreis „Spiel des Jahres“ etwa gilt als weltweit wichtigste Auszeichnung. Rund 200.000 Besucher tummeln sich jährlich in Essen auf der weltgrößten Brettspiel-Messe „SPIEL“, die Branche verzeichnete hierzulande 2020 einen Umsatz von rund 700 Millionen Euro. „Für die Forschung sind Brettspiele interessant, weil sie kulturelle Artefakte sind. Ihre Entstehungszeit beeinflusst sie, gleichzeitig prägen sie kulturelle Vorstellungen“, erklärt der Kirchenhistoriker. Aber im Gegensatz zu digitalen Spielen fristen Brettspiele in der Forschung ein Schattendasein.
Anna Klara Falke und Lukas Boch starteten deshalb im vergangenen Jahr das Projekt „Boardgame Historian“, in dem sich Brettspiel-Forscher vernetzen können. Es soll die Leerstelle im Bereich der analogen Spieleforschung schließen. Dass ein Schwerpunkt ihrer Forschung ausgerechnet auf dem Mittelalter liegt, hat verschiedene Gründe, etwa die Dissertation von Lukas Boch zu diesem Thema. „Aber das Mittelalter ist generell ein beliebtes und vielseitiges Thema, das in vielen Brettspielen aufgegriffen wird“, erklärt Anna Klara Falke. Ob Ritter, Könige oder Prinzessinnen – das Zeitalter biete viel Stoff für spannende oder romantische Erzählungen, die düstere Seite werde ausgeblendet. Hinzu kommt ihrer Beobachtung nach, dass man für ein Mittelalter-Spiel keine Lizenzen kaufen muss, die bei bekannten Figuren wie beispielsweise Harry Potter fällig werden.
Das Spiel „Gutenberg“ halten die beiden für ein gelungenes Beispiel für ein Brettspiel mit Mittelalter-Bezug. „Die Autoren haben sich offensichtlich intensiv mit der Zeit auseinandergesetzt, das zeigen viele Details“, lobt Anna Klara Falke. Der Ablauf des Spiels baut auf authentischen Situationen auf: Die Spieler erfüllen Druckaufträge und verbessern durch die Einnahmen stetig ihre Werkstatt. So sind sie der Konkurrenz immer ein Stück voraus und sichern sich die Gunst reicher Mäzene. Zur Zeit Gutenbergs war es tatsächlich üblich, dass Druckereien versuchten, sich gegenseitig zu übertrumpfen, um die besten Aufträge zu bekommen.
Gestalterische Brüche wie der Hund in der Werkstatt oder die bunte Kleidung der Menschen auf dem Cover geschehen dagegen bewusst, erläutert Lukas Boch. „Das Spiel soll sich verkaufen und von Familien gespielt werden können. Deswegen wäre eine düstere Mittelalter-Darstellung kontraproduktiv.“ Interessant findet Anna Klara Falke zudem, dass zu den Agierenden im Spiel auch Frauen gehören. Im Mittelalter gab es durchaus mächtige Frauen, doch das blendete die Populärkultur lange Zeit aus. „Gleichberechtigung ist jetzt ein großes Thema. Hier zeigt sich, dass Brettspiele auch den Zeitgeist aufgreifen“, erklärt die Archäologin. „Uns geht es um die Geschichten, die durch die Spiele transportiert werden und weniger um die Frage nach richtig oder falsch.“
Die beiden Forscher kritisieren, dass sich viele Erfinder zu wenig Gedanken über die Themen von Brettspielen machen. „So ist zum Beispiel das beliebte ,Puerto Rico‘ der Prototyp eines kapitalistischen Siedlerspiels, denn es geht um die Kolonisation und Ausbeutung eines Landes“, urteilt Lukas Boch. Gerade in solchen Fällen sei es wichtig, die Handlung des Spiels in einen Kontext zu setzen und auf Probleme hinzuweisen. „Das ist das, was wir als Forscher leisten können: die Autorinnen und Autoren beraten und Tipps für die Umsetzung geben“, meint Lukas Boch.
Doch bis es so weit kommt, muss aus seiner Sicht noch einiges passieren. Es fehle an wissenschaftlichen Einrichtungen in Deutschland, die sich mit Brettspielen befassen und natürlich an festen Stellen. Eine Lösung wäre eine spezielle Forschungsstelle. „Wenn wir etwas mit unserer Arbeit erreichen möchten, dann die Community stärker zu vernetzen und Brettspielen auch in der Forschung mehr Raum zu geben.“
Das Projekt:
Damit sich Brettspiel-Begeisterte und -Forscher besser vernetzen können, haben Anna Klara Falke und Lukas Boch das Projekt „Boardgame Historian – Geschichte und Gesellschaft in analogen Spielen“ ins Leben gerufen. Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler verschiedener Disziplinen forschen gemeinsam und im Austausch mit der Brettspielszene. Sie gestalten Ausstellungen, veröffentlichen Publikationen und organisieren Tagungen. Mehr Informationen gibt es online unter www.boardgamehistorian.de, @boardgame_historian (Instagram) und @boardgamehisto (Twitter).
Über die Ausstellung:
Einige Erkenntnisse des Projekts „Boardgame Historian“ werden vom 28. August bis 20. November 2022 im Museum der Abtei Liesborn in Kooperation mit dem Institut für Historische Theologie und ihre Didaktik der Westfälischen Wilhelms-Universität (WWU) Münster präsentiert. In der Ausstellung „Mönch ärgere dich nicht. Kriegerische Nonnen, trinkfeste Brüder und geheimnisvolle Klöster im Spiel“ geht es um moderne Gesellschaftsspiele und ihre kirchengeschichtlichen Bezüge.
Autorin: Juliette Polenz
Dieser Artikel stammt aus der Unizeitung wissen|leben Nr. 5, 6. Juli 2022.