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Münster (upm/anb)
Prof. Dr. Burkhard Wilking forscht an der Universität Münster auf dem Gebiet der Theoretischen Mathematik.<address>© WWU - Victoria Liesche</address>
Prof. Dr. Burkhard Wilking forscht an der Universität Münster auf dem Gebiet der Theoretischen Mathematik.
© WWU - Victoria Liesche

„Ein besonderer Moment, wenn eine Idee Realität wird“

Burkhard Wilking erhält den Staudt-Preis – und berichtet im Interview von der Faszination der Mathematik

Prof. Dr. Burkhard Wilking, Co-Leiter der Arbeitsgemeinschaft Differentialgeometrie am Mathematischen Institut, erhält am 22. April in einer öffentlichen Feier den Karl-Georg-Christian-von-Staudt-Preis für seine Leistungen auf dem Gebiet der Theoretischen Mathematik. Mit 25.000 Euro ist der Preis, der an der Friedrich-Alexander-Universität Erlangen-Nürnberg vergeben wird, der höchstdotierte Mathematikerpreis Deutschlands. Im Interview mit André Bednarz spricht Burkhard Wilking über seinen Arbeitsalltag und die Faszination für sein Fach.

Können Sie einem Literaturwissenschaftler wir mir verständlich machen, wie Ihr Job tagtäglich und praktisch aussieht?

Ich will es gerne versuchen. In meiner Forschung geht es um das Studium von geometrischen Formen. Die Bewohner einer Fläche, also auch wir Menschen auf der Erdoberfläche, haben in der Regel nicht die Möglichkeit, sich an geraden Linien fortzubewegen, um von A nach B zu kommen. Stattdessen sind die kürzesten Verbindungen sogenannte geodätische Linien – Flugzeuge fliegen beispielsweise im Wesentlichen längs eines Großkreises, um ihr Ziel zu erreichen. Ich bin dabei besonders an Mannigfaltigkeiten mit positiver Schnittkrümmung interessiert ...

... jetzt merke ich aber, dass ich erste Verständnisprobleme bekomme.

Vielleicht hilft es, wenn ich Ihnen sage, dass man diese Eigenschaft geometrisch dadurch ausdrücken kann, dass für jedes geodätische rechtwinklige Dreieck die Ungleichung c^2< a^2+b^2 gilt. Ein faszinierendes Problem ist es, zu verstehen, welche Konsequenzen diese Eigenschaft für die Invarianten der geometrischen Form hat.

Ganz ehrlich: Die Formel war nicht die entscheidende Hilfe für mich. Ich kann mich allerdings mit einem Zitat Ihres Kollegen Bertrand Russell trösten, der sagte: ‚Als Mathematik können wir das Gebiet bezeichnen, auf dem wir nie wissen, wovon wir eigentlich reden, und ob das, was wir sagen, auch wahr ist.‘ Stimmen Sie dem zu?

Die Mathematik gilt zu Recht als die präziseste aller Wissenschaften. Im Wesentlichen geht es darum, unter klar definierten Voraussetzungen mathematische Schlussfolgerungen zu treffen. Diese Folgerungen sind in der Tat unumstößlich, der Satz des Pythagoras gilt beispielsweise für jedes rechtwinklige Dreieck in der euklidischen Ebene. In der Praxis kommt es aber vor, dass auch Fehler gemacht werden, weil man im Beweis von Aussagen typischerweise Folgerungen benutzt, die vielleicht trivial erscheinen, es aber nicht sind. Russell bezieht sich vermutlich auf ein grundsätzlicheres Problem. Die Mathematik ist auf ein Axiomensystem aufgebaut, deren Widerspruchsfreiheit man nicht beweisen kann. Man muss also an die widerspruchsfreie Existenz der natürlichen Zahlen glauben; alles andere muss man dann durch einen Beweis rechtfertigen. Ich würde mir daher das Zitat von Russell nicht zu eigen machen.

Sie betreiben theoretische Mathematik, die auch als ,reine Mathematik‘ bekannt ist, da sie sich nicht mit Anwendungen außerhalb der Mathematik beschäftigt. Gibt es trotzdem eine (entfernte) Verbindung Ihrer Arbeit mit dem Alltag?

Aber sicher, beispielsweise das globale Navigationssatellitensystem, kurz GPS genannt. Die GPS-Satelliten sind mit Atomuhren versehen und übermitteln ihr Zeitsignal. An einem gegebenen Punkt treffen die Signale zu unterschiedlicher Zeit ein, da die Lichtgeschwindigkeit endlich ist. Nun gibt es aber das Problem, dass in der allgemeinen Relativitätstheorie Raum und Zeit eine Einheit bilden und es keine Möglichkeit gibt, die Zeit-Dimension von der Raum-Dimension zu trennen. Beim GPS-System läuft es darauf hinaus, dass die Atomuhren der GPS-Satelliten schneller laufen, da sie weniger Gravitation erfahren. Zudem spielt die relative Geschwindigkeit des Satelliten zum Beobachter eine wichtige Rolle. Kurzum: Das GPS-System funktioniert allein deshalb, weil Physiker all dies bei der Konstruktion berücksichtigt haben.

Gab es besondere Momente in Ihrer bisherigen wissenschaftlichen Karriere?

Es ist ein besonderer Moment, wenn man feststellt, dass eine Idee ernsthafte Aussichten hat, Realität zu werden. Man ist zwar noch nicht am Ziel, weil es noch mehrere Hindernisse gibt. Aber statt eines großen Bergs hat man nur noch mehrere etwas kleinere Hügel vor sich, deren Überwindung plausibel erscheint. So war es zum Beispiel 2005, als ich mit einem Kollegen einen neuen Ansatz entwickelt hatte, wie man Mannigfaltigkeiten mit positivem Krümmungsoperator mittels Ricci-Fluss klassifizieren kann. In solchen Situationen kann es passieren, dass über Tage und Wochen fast nichts anderes zählt, als ein mathematisches Ziel zu erreichen.

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