Jahrtausendealte Kulturgüter digital bewahren
Langsam und mit ruhiger Hand bewegt Silas Pott, studentischer Mitarbeiter im Archäologischen Museum der Universität Münster, den Laser-Scanner mit einem Abstand von etwa 30 Zentimetern über das Objekt. Die 3.000 Jahre alte Vase steht auf einem Drehteller. Stück für Stück dreht der Student den Teller weiter. Immer wieder leuchten bläuliche Lichtblitze aus dem 3-D-Scanner auf, dessen Form an ein Bügeleisen erinnert. Auf dem Bildschirm des angeschlossenen Laptops ist die Software geöffnet, die die Scans sofort verarbeitet und als digitales 3-D-Modell darstellt. Fünf bis sechs Scans benötigt Silas Pott, um die Vase mit all ihren Details und ihrer Oberflächenstruktur abzubilden. Auf diese Weise entsteht eine virtuelle Kopie des Originals.
„Die eingescannten Objekte können von Expertinnen und Experten auf der ganzen Welt genutzt werden. Alle können damit arbeiten, als ob sie das Exponat selbst in der Hand halten“, erklärt Dr. Achim Lichtenberger, Professor für Klassische Archäologie und Direktor des Archäologischen Museums der WWU, den Sinn und Zweck der Digitalisierung. Damit ersparen sich die Wissenschaftler zahlreiche Dienstreisen, und sie können ihre Forschung einfach und bequem im eigenen Büro fortführen.
Das Labor mit dem 3-D-Scanner gibt es seit Anfang 2021 und wurde gemeinsam mit anderen archäologisch arbeitenden Fächern an der WWU eingerichtet. Neben Vasen und Gefäßen sind Münzen, Abgüsse und Steinfragmente unter den bislang erfassten Objekten. „Die Software legt die verschiedenen Scans übereinander. Dadurch wird die jeweilige Textur des Objekts sichtbar. Das Programm erstellt aber nicht nur eine Datei, sondern bessert auch Kleinigkeiten wie Reflexionen und Unebenheiten im Scan aus“, schildert Silas Pott. Die gesammelten Daten umfassen bereits zweieinhalb Terabyte. Das sind etwa 102 Blu-ray-Discs mit einer gängigen Größe von 25 Gigabyte. Da sich das 3-D-Labor direkt hinter der Ausstellungsfläche im Erdgeschoss des Museums befindet, können interessierte Besucher durch eine Glasscheibe den Studierenden bei ihrer Arbeit über die Schulter schauen.
Der Laser-Scanner dient der Forschung sowie der Lehre und wird nicht nur vom Archäologischen Museum genutzt. Auch Forschende aus der Ägyptologie, Klassischen Archäologie und Christlichen Archäologie, Vorderasiatischen Archäologie, Vorderasiatischen Altertumskunde, Ur- und Frühgeschichte sowie Alten Geschichte verwenden das Gerät. „Wir wollen Kulturgüter bewahren und allgemein zugänglich machen. Alte, prekäre Objekte können nicht unendlich oft angefasst werden. Mit den Scans nehmen wir eine dauerhafte Sicherung für die Nachwelt vor“, betont Achim Lichtenberger. „Die Kulturgüter sind von unschätzbarem Wert. In der Regel handelt es sich dabei um Unikate, die vergänglich sind.“
Der mobile Scanner ist nicht nur in Münster im Einsatz. Er wird ebenfalls zu Ausgrabungen beispielsweise in den Irak, in den Sudan, nach Armenien und in die Türkei mitgenommen. Im Ausland gefundene Objekte müssen am Fundort verbleiben und dürfen nicht nach Münster ausgeführt werden. Neben Fotografien und Zeichnungen helfen die vor Ort erstellten Scans bei der Dokumentation und Rekonstruktion der Grabungsfunde. Im Sinne einer nachhaltigen Forschung sollen die digitalisierten Objekte in einer Datenbank zugänglich gemacht werden. Aber auch in der Lehre kommt der Scanner zum Einsatz: Studierende verschiedener Disziplinen sollen den Umgang damit erlernen, um wertvolle Kompetenzen für ihr späteres Berufsleben zu erwerben.
Die 3-D-Vermessung von Kunst- und Kulturgütern gewinnt als berührungslose und objektschonende Dokumentationsmethode in der Wissenschaft immer mehr an Bedeutung. Unter dem Credo „Scannen statt Zeichnen“ kommen die mobilen Handscanner bei Grabungskampagnen zum Einsatz. Auf Grundlage der gewonnenen 3-D-Daten können im Anschluss an die Vermessungsarbeiten beispielsweise physische Modelle gefertigt oder einzelne Forschungsergebnisse in Form von Animationen visualisiert werden.
Auch die virtuelle Rekonstruktion zerstörter Funde ist möglich. „Vom Siegel bis zur Statue können wir grundsätzlich alle Objekte einscannen“, erklärt Achim Lichtenberger. Die 3-D-Modelle geben weit mehr Informationen preis als zweidimensionale Bilder. Sie können beliebig gedreht und von allen Seiten begutachtet und erforscht werden. Durch die millimetergenaue Erfassung der Objekt-oberfläche lassen sich Details wie Beschädigungen oder Abnutzungsspuren sichtbarmachen.
Die Coronazwangspause für den Museumsbetrieb in den ersten Monaten des Jahres sorgte unter den studentischen Mitarbeitern für mehr Arbeitsfreiraum. Sie scannten in dieser Zeit bereits zahlreiche Exponate aus dem münsterschen Bestand ein. „Während der Schließung unseres Museums haben die Studierenden gescannt, was das Zeug hielt“, sagt Achim Lichtenberger und lächelt.
Autorin: Kathrin Nolte
Dieser Artikel stammt aus der Unizeitung wissen|leben Nr. 6, 6. Oktober 2021.