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Münster (upm)
Das "Löwenzahn-Team": Dr. Christian Schulze Gronover, Dr. Carla Recker und Prof. Dr. Dirk Prüfer (v. l.)<address>© Deutscher Zukunftspreis</address>
Das "Löwenzahn-Team": Dr. Christian Schulze Gronover, Dr. Carla Recker und Prof. Dr. Dirk Prüfer (v. l.)
© Deutscher Zukunftspreis

Vor Ort mit dem "Team Löwenzahn" in München

"Relevant für unsere Gesellschaft"

Mittwochmorgen, kurz vor zehn - vor dem Deutschen Museum in München gehen die ersten Besucherinnen und Besucher auf und ab. Auch Prof. Dr. Dirk Prüfer, Dr. Christian Schulze Gronover und Dr. Carla Recker steuern auf das große Portal zu. Sie dürfen den Eingang ganz rechts nutzen, durch den heute die Ehrengäste das Museum betreten: die Teams, die für den Deutschen Zukunftspreis nominiert werden. Noch ist die Nachricht der Nominierung streng geheim. Nur wenige Eingeweihte wissen davon, dass das Team um WWU-Biologieprofessor Dirk Prüfer, den Forscher des Fraunhofer-Instituts für Molekularbiologie und Angewandte Ökologie IME in Münster, Christian Schulze Gronover, sowie Carla Recker von der Continental AG zu den drei Ausgewählten zählt.

Coronakontrolle, VIP-Bändchen – jetzt dürfen alle in den Ehrensaal eintreten, der heute für diesen festlichen Anlass reserviert ist. Normalerweise ist bei der Bekanntgabe der Nominierung mehr los. Bei der öffentlichen Präsentation, die traditionell am selben Abend stattfindet, ist der festliche Saal üblicherweise voll besetzt. Heute ist die Bestuhlung coronabedingt sehr lückenhaft und die Zahl der Gäste begrenzt. Noch ist eine Stunde Zeit, bevor die Pressekonferenz beginnen wird. Das „Team Löwenzahn“ hat Zeit zum Ankommen.

Alle Nominierten sammeln sich an Stehtischen, die für diesen Anlass in der Akademiesammlung hinter dem Ehrensaal aufgestellt wurden. Unter den Anwesenden sind Prof. Dr. Wolfgang Heckl, Generaldirektor des Deutschen Museums und Mitglied der Jury des Deutschen Zukunftspreises und Prof. Dr. Ferdi Schüth, Vorsitzender der Jury des Deutschen Zukunftspreises. Es gibt Getränke und einen kleinen Imbiss. Diejenigen, die gleich auf die Bühne müssen, machen zwischendurch einen Abstecher in die Maske. Das Technikteam stattet Carla Recker, Sprecherin des „Löwenzahn-Teams“, und die anderen Sprecher mit Mikrofonen aus. Die Technik ist heute besonders wichtig, denn sowohl die Pressekonferenz als auch die Abendveranstaltung sollen per Livestream übertagen werden.

Dr. Carla Recker, Prof. Dr. Dirk Prüfer und Dr. Christian Schulze Gronover (v.l.) beantworten Fragen zum Projekt.<address>© Deutscher Zukunftspreis</address>
Dr. Carla Recker, Prof. Dr. Dirk Prüfer und Dr. Christian Schulze Gronover (v.l.) beantworten Fragen zum Projekt.
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Kurz vor elf. Jetzt schnell setzen, denn wegen des Livestreams muss die Veranstaltung pünktlich beginnen. Ministerialdirektor Dr. Oliver Schmolke, Leiter der Abteilung Inland im Bundespräsidialamt, begrüßt die Anwesenden. „Die großen Menschheitsthemen finden sich wieder im Deutschen Zukunftspreis“, betont er. Die Kameraleute filmen das Geschehen im Saal, Fotografen bewegen sich vor der Bühne, die Journalisten warten auf die Bekanntgabe der Nominierten.

Die Reihenfolge, in der die Teams auf die Bühne gerufen werden, wurde ausgelost. Nacheinander treten die Sprecher der auf die Bühne und stellen die drei Projekte in Kurzvorträgen vor. Team eins kommt von der Siemens Healthineers AG Forchheim. „Quantenzählender Computertomograph – revolutionäre Einblicke in den menschlichen Körper“, so lautet der Titel des Projekts. Team zwei ist das Trio aus Münster und Hannover mit dem Projekt „Nachhaltige Reifen durch Löwenzahn – Innovationen aus Biologie, Technik und Landwirtschaft“. Das Projekt von Team drei der Biontech SE, Mainz, hat während der Coronapandemie bereits große Bekanntheit erlangt. Prof. Dr. Uğur Şahin als Sprecher gibt einen Überblick über das Projekt „mRNA-Impfstoffe für die Menschheit – erster COVID-19-Impfstoff als Beginn einer neuen Ära in der Medizin“.

Nach den Projektvorstellungen, Rückfragen aus dem Publikum und einem kurzen Ausklang gibt es eine Pause. Gegen 17 Uhr geht es weiter, selber Ort, ähnliches Prozedere: Maske, Technik. Ab 18 Uhr sollen die Projekte einer breiteren Öffentlichkeit vorgestellt werden, diesmal ausführlicher. Team eins macht den Auftakt und stellt eine neue Generation von Computertomographen vor, von denen erste Exemplare bereits im Einsatz sind. Von unscharfen Schwarz-weiß-Bildern zu hoch aufgelösten Farbbildern, ohne die bei herkömmlichen Computertomographen übliche Bewegungsunschärfe, dazu eine reduzierte Strahlenbelastung für die Patienten – schnell wird klar, warum diese Entwicklung für die medizinische Bildgebung ein Quantensprung sein wird. Team drei trägt zum Schluss vor. Eigentlich war es auf der Suche nach einer Therapie gegen Krebs, dann kam die Coronapandemie. 300 von 400 Mitarbeitern waren seither in Schichtarbeit im Dauereinsatz, sieben Tage die Woche. Am Ende stand die Erfolgsbilanz: In nur zehn Monaten von null zu einem zugelassenen Impfstoff gegen Covid 19, dem ersten Impfstoff, der auf der mRNA-Technik beruht.

Vortrag von Team zwei. Dirk Prüfer tritt auf die Bühne, Applaus. Folie eins zeigt Bilder von Brandrodung und Monokulturen in tropischen Regenwäldern. Der Münsteraner beschreibt den schmerzhaften Verlust von Regenwäldern und Biodiversität, der unter anderem dem riesigen Kautschuk-Bedarf der Industrienationen geschuldet ist. Immerhin rund 40.000 Produkte des täglichen Lebens enthalten Naturkautschuk, der aus dem Kautschukbaum gewonnen wird. Die Perspektive, irgendwann durch Kautschuk aus Löwenzahn eine alternative Rohstoffquelle zu haben, war vor fast 15 Jahren der Antrieb für das Forscherteam – damals zunächst noch ohne die Beteiligung von Continental.

Dirk Prüfer schildert die anfänglichen Mühen, Exemplare des Russischen Löwenzahns aufzutreiben, der im Vergleich zum heimischen Löwenzahn einen deutlich höheren Kautschukgehalt hat. Die ersten Feldversuche waren ernüchternd. Die Pflanzen wuchsen sehr uneinheitlich – was einer landwirtschaftlichen Nutzung im Wege stand. „Wir haben uns damals gefragt: Lassen wir es bleiben?“, berichtet Dirk Prüfer von den Zweifeln im Team. Aber Aufgeben war für die Forscher keine Option. „Da kam der Herzblut-Faktor ins Spiel“, unterstreicht Dirk Prüfer. Für das Team ist es essenziell, die Pflanze und die Wege der Kautschuksynthese genau zu verstehen. Bevor eine Anwendung in Reichweite rückte, waren Jahre der Grundlagenforschung nötig.

Projektsprecherin Carla Recker tritt auf die Bühne und erinnert an die Meilensteine des Projekts: 2012 das erste Gramm Kautschuk, 2014 Produktion im Kilogramm-Bereich, die ersten PKW- und LKW-Reifen überzeugen später in Tests, Fahrradreifen aus Löwenzahn kommen auf den Markt, 2018 eröffnet Continental in Anklam das Forschungs- und Versuchslabor für Löwenzahnkautschuk. Im Laufe der Jahre, so berichtet Carla Recker, überzeugte das Team diverse Zweifler, dass das Löwenzahn-Projekt auf Erfolgskurs ist.

Am 17. November wird Bundespräsident Frank-Walter Steinmeier in Berlin die Entscheidung der Jury verkünden, welches Team den Deutschen Zukunftspreis erhält. Unabhängig vom Ergebnis werden alle drei Projekte in der Dauerausstellung im Deutschen Museum verewigt. „Weil sie relevant sind für unsere Gesellschaft“, wie Jurymitglied Wolfgang Heckl unterstreicht.

Christina Hoppenbrock

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