|
Münster (upm/kk)
Der Versuchsaufbau befindet sich auf einer vier Hektar großen Industriebrache am Hawerkamp. Deutlich zu erkennen sind die Glasfaserkabel, die auf einer Länge von mehr als 200 Meter quer über das Gelände gespannt sind.© WWU - Jan Lehmann
Fotos

Dem Wind auf der Spur

Universitäten Münster und Bayreuth untersuchen nächtliche Schwachwindlagen im Stadtgebiet / Groß angelegter Versuchsaufbau auf der Industriebrache Am Hawerkamp

Wenn man an der Industriebrache zwischen Hawerkamp und Dortmund-Ems-Kanal entlanggeht, hört man ein regelmäßiges Pfeifen und Piepen. Wer sich umschaut und fragt, von wo die Geräusche kommen, entdeckt hinter einem mehreren Hundert Meter langen Bauzaun eine interessante Kulisse: Glasfaserkabel mit kleinen Dreieckshütchen sind in zwei Meter Höhe über eine Länge von 200 Metern quer über das Gelände gespannt und an mehreren meterhohen Konstruktionen befestigt. Doch wer sich das Ganze aus nächster Nähe ansehen möchte, sei gewarnt. Am Bauzaun sind deutliche Warnhinweise angebracht: „Achtung! Hochspannung! Lebensgefahr!“ Was geht hier vor?

Bei dem Versuchsaufbau auf dem vier Hektar großen Gelände handelt es sich um eine neuartige Messtechnik der Universitäten Bayreuth und Münster, um die Bewegung und die unterschiedlichen Eigenschaften von strömender Luft mit hoher zeitlicher und räumlicher Auflösung zu untersuchen. Kurzum: Die Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler messen Winde und die damit transportierte Wärm im urbanen Raum. Ihr besonderes Interesse gilt dabei den nächtlichen Schwachwindlagen. „Der Großteil der meteorologischen Forschung beschäftigt sich mit Starkwindsituationen. Wir wollen aber verstehen, was passiert, wenn der Wind gar nicht oder nur sehr schwach weht“, sagt Prof. Dr. Christoph Thomas, Experte für Mikrometeorologie der Universität Bayreuth. „Da diese Situationen für Frostschäden in der Landwirtschaft, bodennahe hohe Schadstoffkonzentrationen in Städten und unzureichend verstandene Treibhausgasbilanzen verantwortlich sind.“ Gemeinsam mit seinem Kollegen Prof. Dr. Otto Klemm, Leiter der Arbeitsgruppe Klimatologie der WWU, will er diese Forschungslücke schließen.

"Der Wind im urbanen Raum durchmischt die Luftmassen und tauscht sie zwischen Stadt und Land aus. Wenn dieser Effekt zum Erliegen kommt, dann entstehen sogenannte städtische Wärmeinseln und die Lufthygiene verschlechtert sich dramatisch in den Städten. Das hat gesundheitliche Konsequenzen für viele Menschen." Otto Klemm

Schwachwindlagen und ihren treibenden Kräften in Städten auf die Spur zu kommen, ist für die Umwelt- und Klimaforschung wichtig. Die Fläche am Hawerkamp biete hervorragende Untersuchungsbedingungen, da so große innerstädtische Freiflächen sehr selten sind. Eine hohe Luftverschmutzung und die Emissionen von Treibhausgasen, beispielweise Kohlenstoffdioxid und Methan, sind zwei von vielen Aspekten, die die Wissenschaftler in diesem Zusammenhang untersuchen. „Der Wind im urbanen Raum durchmischt die Luftmassen und tauscht sie zwischen Stadt und Land aus. Wenn dieser Effekt zum Erliegen kommt, dann entstehen sogenannte städtische Wärmeinseln und die Lufthygiene verschlechtert sich dramatisch in den Städten. Das hat gesundheitliche Konsequenzen für viele Menschen“, erklärt Otto Klemm, der bereits viele Jahre mit Christoph Thomas zusammenarbeitet.

Nächtliche Schwachwindlagen sind vor allem im Sommer gefährlich: Sie heizen die Städte auf und begünstigen hohe Schadstoffkonzentration, da der Austausch mit dem Umland nicht mehr gegeben ist. Das Gefühl kennen wohl viele Menschen, die in der Stadt leben: Wer nachts aufgrund der Hitze nicht schlafen kann und das Fenster öffnet, wartet oftmals vergeblich auf einen frischen Luftzug, der die ersehnte Abkühlung bringt.

Von Juli bis Ende August erheben die Wissenschaftler zunächst mehrere Terabyte an Daten. Dazu gehören unter anderem Messungen zur Windgeschwindigkeit und -richtung, Temperatur, Niederschlag, Luftdruck und Luftschadstoffen. Vorrangig geht es in der Studie um wichtige Erkenntnisse für die Grundlagenforschung und Methodenentwicklung. Darauf aufbauend sollen zukünftig Maßnahmen und Anpassungsstrategien entwickeln werden, die beispielweise für städtebauliche Vorhaben relevant sind.

Ein leistungsfähiger Rechner speichert und verarbeitet die Daten. „Die innovative glasfaserbasierte Messmethode ermöglicht eine großräumliche Untersuchung ohne Datenlücken“, erklärt Christoph Thomas. Denn in der Regel setzen Wissenschaftler vor allem punktuelle Messungen für klimatologische und meteorologische Fragestellungen ein. Die Messtechnik am Hawerkamp, die bereits bei Untersuchungen des Forschungsschiffs „Polarstern“ in der Arktis und auf Spitzbergen zum Einsatz kam, führt 60.000 Einzelmessungen pro Sekunde durch. Dabei werden kurze Lichtimpulse in die Glasfaserkabel geschickt und aus deren Rückstreusignal Rückschlüsse auf die Temperatur in Abständen von 12,5 Zentimetern gezogen. Einige Kabel werden elektrisch beheizt, so dass die Windgeschwindigkeit mitbestimmt werden kann. Mit Hilfe der vielen kleinen Plastikhütchen, die auf der Hälfte der 880 Meter langen Glasfaserkabeln angebracht sind, kann sogar die Windrichtung bestimmt werden.

Eine weitere Besonderheit der Studie: An zwei Messstellen auf dem Gelände werden akustische Signale in eine Höhe von bis zu 400 Metern „geschossen“, um ebenfalls Windgeschwindigkeiten, Windrichtung und Durchmischung zu messen. Nicht nur die Höhe, auch der Boden interessiert die Forscher. Beispielweise wird die Bodentemperatur in Zentimeter-Auflösung bis in 50 Zentimeter Tiefe ebenfalls mithilfe von Glasfaserkabeln gemessen. Ergänzend zu dem Versuchsaufbau fährt ein hochmodernes Lastenrad regelmäßig durch das münstersche Stadtgebiet, um weitere Daten zu Meterorologie und Lufthygiene zu erheben.

„Die Datenvielfalt ermöglicht uns, ganzheitliche Aussagen zu treffen und ein möglichst kohärentes Bild der Umgebung abzubilden – die Auswertung beansprucht allerdings mehrere Monate“, betont Otto Klemm. „Die Ergebnisse werden uns schließlich helfen, die relevanten Prozesse bei der Ausbildung und Auflösung nächtlicher Schwachwindlagen zu identifizieren. Wir müssen alles daransetzen, in Zeiten zunehmender Urbanisierung und vor dem Hintergrund des voranschreitenden Klimawandels das Ökosystem ‚Stadt‘ besser zu verstehen“.

 

Förderung

Die Studie wird durch den ERC (European Research Council) Consolidator Grant „Darkmix“ der Europäischen Union an Prof. Dr. Christoph Thomas (Universität Bayreuth) gefördert. Neben der urbanen Studie in Münster fokussieren sich andere Studien zu dem Thema nächtliche Schwachwindlagen auf Wald sowie auf windgeschützte Mittelgebirgstalböden.

Links zu dieser Meldung