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Münster (upm/nor)
Prof. Dr. Friso Wielenga: Der Deutschland-Niederlande-Kenner leitete mehr als 20 Jahre das Zentrum für Niederlande-Studien (im Hintergrund).<address>© WWU - MünsterView</address>
Prof. Dr. Friso Wielenga: Der Deutschland-Niederlande-Kenner leitete mehr als 20 Jahre das Zentrum für Niederlande-Studien (im Hintergrund).
© WWU - MünsterView

Friso Wielenga geht in den Ruhestand

Ein wahrer Kenner der Niederlande

Es soll nicht selten vorkommen, dass wir Deutsche den Briten noch immer das eine oder andere Rätsel aufgeben. Warum sind wir nur so, wie wir sind? In solchen Fällen greifen britische Journalisten gerne zum Telefonhörer und lassen sich vom Historiker Sir Christopher Clark die deutsche Seele oder aktuelle politische Entscheidungen einordnen und erklären. Der 61-jährige Australier, der schon lange in Großbritannien lebt und in Cambridge lehrt, gilt auf der Insel als der Preußen- und Deutschen-Versteher schlechthin.

Man muss nicht nur profunde gesellschaftliche und historische Kenntnisse aufweisen, um den Status eines wahren Kenners eines ausländischen Staates zu erlangen. Im Idealfall weiß man sogar die Eigenheiten, Empfindungen und den Charakter dieser Nation in vielen Details einzuschätzen – und das über einen langen Zeitraum zurück. So wie beispielsweise der gebürtige Rotterdamer und Direktor des Zentrums für Niederlande-Studien an der Universität Münster, Prof. Dr. Friso Wielenga, der in den vergangenen Jahrzehnten in zig Interviews mit niederländischen Medien deutsche Wahlergebnisse, Veränderungen in der Berliner Parteienlandschaft oder die Corona-Strategie der Bundesregierung kenntnisreich sezierte.

Friso Wielenga war und ist aber auch in umgekehrter Richtung ein gefragter Gesprächspartner – als sachkundiger Insider für deutsche Journalisten, die sich bei ihm etwa nach den Besonderheiten der niederländischen Innenpolitik oder den Entwicklungen des Den Haager Königshauses informieren. Welch ein Segen für die deutsch-niederländischen Fragesteller: Friso Wielenga kennt beide Seiten aus dem Eff-Eff. Für sie alle gibt es jetzt eine gute und eine schlechte Nachricht. Zunächst die ungünstige Nachricht: Am 1. September wird Friso Wielenga seinen Ruhestand antreten und entsprechend kürzertreten. Deswegen schnell die gute Nachricht hinterher: „Der Termin-Druck wird erfreulicherweise kleiner sein“, betont er, „aber natürlich werde ich mich weiterhin mit der niederländischen Politik und Geschichte und den deutsch-niederländischen Beziehungen beschäftigen.“

Der Niederländer Friso Wielenga entwickelte früh Interesse an der Historie und Entwicklung des großen Nachbarlands. Während seines Studiums der Geschichte und Politik an der Universität Amsterdam band ihn der dort lehrende deutsche Historiker Jürgen Hess in eine Studie über das Bild Deutschlands in niederländischen Tageszeitungen ein, die Friso Wielenga 1982 auf 160 Seiten veröffentlichte. Kurz darauf folgte ein Jahr als Stipendiat des Deutschen Akademischen Austauschdienstes an der Universität Bonn, 1989 schloss er seine akademische Ausbildung mit seiner Dissertation über „West-Deutschland: Partner aus der Not heraus. Die Niederlande und die Bundesrepubkik 1949-1955“ ab. „Rückblickend betrachtet“, sagte er, „war damit mein Weg nach Deutschland vorgezeichnet.“

Zumal er sich immer tiefer in die deutsche Geschichte und deutschen Befindlichkeiten einarbeitete – das Interesse an der Geschichte des eigenen Landes kam erst später hinzu. 1992 nahm Friso Wielenga das Angebot an, an der Universität Groningen moderne deutsche Geschichte und die deutsch-niederländischen Beziehungen zu lehren, fünf Jahre später wechselte er als außerordentlicher Professor für moderne deutsche Geschichte an die Universität Utrecht. Parallel dazu veröffentlichte er zahlreiche Gastbeiträge in niederländischen Tageszeitungen. Spätestens jetzt war Friso Wielenga als einer der besten Fachmänner für nahezu jedwede Deutschland-Frage von Groningen bis Maastricht bekannt.

1999 fiel ihm eine Ausschreibung ins Auge, bei dessen Lektüre er wohl sofort ahnte, dass sie perfekt zu ihm passte: Das 1989 gegründete Zentrum für Niederlande-Studien an der Universität Münster suchte einen Nachfolger für Gründungsdirektor Horst Lademacher. Leiter einer bundesweit einzigartigen wissenschaftlichen Institution, mit dem Fokus auf die Friso Wielenga vertraute binationale Forschung und Lehre, noch dazu mit Sitz im Krameramtshaus, in dem 1648 spanische und niederländische Gesandte das Ende des Dreißigjährigen Kriegs und die Gründung der Niederlande als unabhängigen Staat besiegelten – all das passte perfekt zu Friso Wielenga und dessen deutsch-niederländischen Kenntnissen und Interessen. Oder, wie er es selbst erlebte: „Dieser Arbeitsplatz an diesem historischen Ort: Es hätte nichts Schöneres geben können.“

Mit dem damaligen Geschäftsführer Loek Geeraedts und vielen anderen baute Friso Wielenga das Zentrum am Alten Steinweg zu einem weithin bekannten Wissenschaftszentrum und Studienort aus. Fakten statt Vorurteile, Tatsachen statt Klischees: Friso Wielenga, der 1995 eine Deutsche heiratete, mit der er zwei Söhne hat, räumte auf beiden Seiten der Grenze Voreingenommenheiten ab und warb um gegenseitiges Verständnis. „Das Zentrum ist ein Haus der Forschung, der Lehre und der Information für eine breite Öffentlichkeit“, urteilt er kurz vor seinem Abschied. „Damit hat es sich genau so entwickelt, wie ich es mir immer gewünscht habe und wie es zudem möglichst vielen Menschen zugutekommt.“

Natürlich wird Friso Wielenga ab September öfter als bisher mit seiner Frau verreisen, mit seinem Zwergpudel im Wienburgpark spazieren gehen und Bücher lesen, die sich nicht vorrangig mit der deutschen und niederländischen Historie beschäftigen. Aber zunächst will er eine Monographie über die Niederlande in den „politisch unruhigen Jahren“ von 2002 bis 2010 unter Ministerpräsident Jan Peter Balkenende fertigstellen. Und natürlich den einen oder anderen Vortrag halten und so manches Interviews geben – der Deutschland-Niederlande-Kenner wird gefragt bleiben. Apropos? Fühlt sich Friso Wielenga eigentlich eher als Niederländer oder als Deutscher? „Ich bin schon lange beides“, antwortet er. Um das auch amtlich zu dokumentieren, nahm er 2014 auch die deutsche Staatsbürgerschaft an. „Vor allem, weil es mich ärgerte, dass ich in Deutschland nicht wählen durfte.“

Autor: Norbert Robers

Dieser Artikel stammt aus der Unizeitung „wissen|leben“ Nr. 5, 14. Juli 2021.

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